Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



Скачать книгу

Sturm­wind das Dach sei­nes Häu­schens ab­ge­tra­gen hat­te. Aber das Kind habe sich vor den Fi­gu­ren so ge­fürch­tet, dass auch ihm ganz un­be­hag­lich zu­mu­te ge­wor­den sei.

      Ihr wer­det mich aber doch nicht von hier weg­schi­cken, Groß­va­ter, ohne dass ich Eure Kunst­schät­ze we­nigs­tens ge­se­hen habe? Eine Samm­lung al­ter Wand­tep­pi­che mit fi­gür­li­chen Dar­stel­lun­gen? Um die hät­te sich’s ja al­lein ver­lohnt, den Weg hier­her zu ma­chen.

      Ach nein, Herr, Sie dür­fen sich nichts Be­son­de­res vor­stel­len. Kunst­schät­ze sind es nicht, es sind nur so alte ge­web­te Din­ger, schä­big und an­ge­fres­sen, die schon seit Hun­der­ten von Jah­ren dahän­gen und wei­ter ver­stau­ben. Nein, Sie se­hen gar nichts dar­an und la­chen mich aus, wenn ich Sie hin­füh­re. Bloß bei Nacht, wenn man die Ker­ze bren­nen lässt oder wenn der Mond drü­ber hin­streift, ma­chen sie so son­der­ba­re Ge­sich­ter, dass man denkt, sie schau­en einen an. Aber in den un­te­ren Sä­len hän­gen schö­ne Ge­mäl­de, die will ich Sie ger­ne se­hen las­sen, da­mit Sie nicht um­sonst her­auf ge­wan­dert sind.

      Er schloss die Ein­gangs­tür auf.

      Das In­ne­re der Vil­la war, wie es der Wan­de­rer er­war­tet hat­te. Wei­te Prun­kräu­me ohne Wohn­lich­keit, au­gen­schein­lich zu Empfangs­zwe­cken ge­baut, eine je­ner an­spruchs­vol­len Vil­len, die von den Be­sit­zern nur vor­über­ge­hend be­zo­gen wer­den, um hoch­ste­hen­de Gäs­te fest­lich zu be­wir­ten; auf die­se Be­stim­mung wie­sen auch die bau­fäl­li­gen Stal­lun­gen und Wa­gen­schup­pen im Hofe hin. An den Wän­den eine lan­ge Rei­he von Bild­nis­sen tos­ka­ni­scher Herr­scher, bei Co­si­mo I. be­gin­nend, alle hö­fisch lang­wei­lig, da­zwi­schen ein paar leid­li­che Ko­pi­en nach Wer­ken der großen Kunst. Nur we­ni­ges, aber mäch­ti­ges Haus­ge­rä­te, echt und alt mit der un­säg­li­chen Stim­mung von Ver­waist­heit und Schwer­mut, wie sie sol­che seit Men­schen­ge­den­ken nicht be­nütz­ten Räu­me aus­at­men. In den Schlaf­ge­mä­chern die schö­nen, frei­ste­hen­den Rie­sen­bet­ten mit bro­ka­te­nen Pracht­ge­hän­gen und der da­zu­ge­hö­ren­den rei­chen Tru­he am Fu­ßen­de, ve­ne­zia­ni­sche Spie­gel, ein­ge­leg­te Spin­de, kunst­rei­che Kan­de­la­ber, lau­ter Kost­bar­kei­ten ver­gan­ge­ner Ge­schlech­ter, un­ter de­nen zu ru­hen der Ein­dring­ling gar kei­ne Lo­ckung spür­te.

      Auf sein Drän­gen führ­te ihn der Alte dann auch eine brei­te Stein­trep­pe hin­auf in das obe­re Ge­schoss. Hier war das Reich der Spinn­we­ben und des Ver­falls, die Luft sto­ckig, alle Räu­me mit über­zäh­li­gem Haus­rat an­ge­füllt oder völ­lig leer­ge­las­sen, weil die Fens­ter fehl­ten.

      Und der Tep­pich­saal?

      Hier ist er.

      Eine ver­quol­le­ne Tür wird auf­ge­sto­ßen, und ein lang­ge­streck­ter, schmä­ler­er Raum, das gan­ze Haus der Brei­te nach von West nach Ost durch­zie­hend, mehr Ga­le­rie als Saal, emp­fängt die Ein­tre­ten­den. Die Schmal­wän­de sind fast ganz von den mäch­ti­gen drei­ge­teil­ten Fens­tern ein­ge­nom­men, je zwei an ei­ner Sei­te, die, wenn die Lä­den ge­öff­net sind, Licht und Luft in Strö­men ein­las­sen, eine schön kas­set­tier­te De­cke, de­ren ge­bräun­tes Gold in der Abend­son­ne auf­leuch­tet, an bei­den Längs­wän­den nichts als die Tep­pi­che. Ein Blick ge­nügt dem Kun­di­gen, um zu er­ken­nen, dass er eine zwar schlecht er­hal­te­ne, aber nicht un­be­deu­ten­de Samm­lung vor sich hat. Es ge­schieht ihm nicht zum ers­ten Mal, dass er an ganz ver­wahr­los­ter Stät­te einen Kunst­wert ent­deckt, für den sei­ne Be­sit­zer blind ge­we­sen. Da­rum pflegt er sich auch fest­zu­ha­ken, wo er so et­was wie eine Wit­te­rung hat; aber eine Ern­te wie die­se ist doch eine Über­ra­schung.

      Da seid ihr ja, dach­te be­frie­digt der Wan­de­rer, denn es schi­en ihm in die­sem Au­gen­blick fast, als ob er der Tep­pi­che we­gen ge­kom­men sei. Denn Fi­gu­ren­tep­pi­che wa­ren sei­ne Lei­den­schaft, er zog sie der Ma­le­rei bei wei­tem vor, und er pfleg­te zu ver­si­chern, dass das größ­te Meis­ter­ge­mäl­de sich nicht an er­grei­fen­der Aus­drucks­kraft mit der stei­fen Un­ge­schick­lich­keit so ei­nes ge­web­ten Tep­pich­bil­des ver­glei­chen kön­ne. Sie ta­ten eine ähn­li­che Wir­kung auf ihn wie die Ma­rio­net­ten, die ihn auch in tiefe­re Ent­zückung ver­set­zen konn­ten als die größ­te Dar­bie­tung dra­ma­ti­scher Kunst. Denn die Pup­pen, sag­te er, das sei­en die wah­ren Künst­ler, sie stell­ten nicht das Ein­ma­li­ge dar, son­dern das Ab­so­lu­te, die ewi­ge Idee. Al­les Leid der Erde sei in so ei­nem Kas­perl bei­sam­men, wenn er hilf­los an der Wand leh­ne und nur die Hand noch lei­se be­we­ge, über­wäl­tigt von Schmerz. Dann sei es schwer, sich der Trä­nen zu ent­hal­ten. So gehe es ihm auch mit der frü­hen, noch ein­fäl­ti­gen Tep­pich­schil­de­rei, denn je fer­ner der Wirk­lich­keit, je nä­her der Vor­stel­lung, die das wah­re Le­ben sei.

      Hier an der ab­ge­le­gens­ten Stel­le des Ca­sen­ti­no, in ei­nem Raum, den seit lan­ge nur Spin­nen und As­seln be­wohn­ten, fand er sei­ner Lieb­ha­be­rei eine Be­frie­di­gung, de­ren Fül­le ihm fast den Atem nahm. Blei­ben! sag­te eine Stim­me in ihm, die­sel­be, die ihm ge­bo­ten hat­te zu kom­men. Die Tep­pi­che an der dem Ein­gang ge­gen­über­lie­gen­den Nord­wand zo­gen ihn be­son­ders an, sie schie­nen die äl­tes­ten zu sein, ihre Far­ben wa­ren teil­wei­se ver­blasst, auch hat­ten die Mot­ten da und dort an ih­nen ge­ar­bei­tet, aber alle ent­stamm­ten sie ei­ner schöp­fe­ri­schen Fan­ta­sie und ed­ler, ziel­si­che­rer Kunst­ge­sin­nung. Da gibt es Frau­en in Prunk­ge­wän­dern, ge­wapp­ne­te Rit­ter, be­la­ger­te Fes­tun­gen, ren­nen­de Ros­se und ge­fäll­te Lan­zen, Lie­bes­gär­ten mit jun­gen Paa­ren; gan­ze Zeiträu­me voll wil­der und zärt­li­cher Be­geb­nis­se, Ge­schich­te oder Le­gen­de, sind auf die­ser Wand bei­sam­men. Wo der Raum nicht aus­ge­füllt ist, schie­ben sich Schmal­stücke mit flo­rea­len Dar­stel­lun­gen, so­ge­nann­te »Ver­dü­ren«, ein. Min­der fes­selt ihn die ge­gen­über­lie­gen­de süd­li­che, die mehr­fach von Tü­ren un­ter­bro­chen ist. Ihre Tep­pi­che sind bei wei­tem bes­ser er­hal­ten, weil sie nicht aus Wol­le, son­dern aus Sei­de ge­wirkt und mit Gold­fä­den durch­zo­gen sind, aber an Kunst­wert er­schei­nen sie dem emp­find­li­chen Auge beim flüch­ti­gen Über­blick ge­rin­ger, weil die leb­haft be­weg­ten Grup­pen von au­gen­schein­lich his­to­ri­schem In­halt stark und an­spruchs­voll aus der Wand her­austre­ten. Ei­nem Kind moch­te wohl da­bei das Fürch­ten kom­men.

      Der Be­trach­ter wen­det sich wie­der zu der ers­ten Wand zu­rück, de­ren Far­ben sich jetzt in der Abend­glut mehr und mehr ent­zün­den, dass auch hier die For­men plas­ti­scher her­aus­kom­men und die gan­ze Flä­che ein be­weg­te­res, aber nicht un­ru­hi­ges Le­ben emp­fängt. Da und dort rührt ein dar­ge­stell­ter Ge­gen­stand an einen Win­kel sei­ner Erin­ne­rung, wo er den Schlüs­sel dazu ver­mu­tet, ohne ihn so­gleich zu fin­den; die letz­te Grup­pe aus­ge­nom­men, de­ren Be­deu­tung nicht zu ver­ken­nen ist. Auf die Fra­ge, ob man wis­se, was die an­de­ren Bil­der dar­stell­ten, schüt­telt der Füh­rer den Kopf. Er kennt ja die Tep­pi­che von klein auf, denn er ist auf dem Gut ge­bo­ren, wo sein Va­ter vor­dem den glei­chen Pos­ten in­ne­ge­habt, und er hat sie von je miss­ach­tet ge­se­hen, ja, er hat sich in frü­he­rer Zeit, als noch die alte Herr­schaft ab und zu auf der Vil­la wohn­te, in ihre See­le hin­ein ge­schämt, dass man nicht dar­an dach­te, die al­ten ver­staub­ten Lap­pen weg­zu­neh­men und sie durch eine lus­ti­ge bun­te Pa­pier­ta­pe­te zu er­set­zen, die dem Raum nach sei­ner Mei­nung viel bes­ser