Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Ihre Freundin, die schon lange leidend zu sein scheint, hat unterwegs einen Blutsturz erlitten. Begeben Sie sich schleunigst zu ihr. Ich musste sie den Händen eines Kollegen überlassen, da meine Weiterreise unaufschieblich ist. Sagen Sie ihr, sobald sie zu hören fähig ist, dass ihrem Gatten von mir keine Gefahr droht.
Meine Frau fand Selma im Morphiumschlaf und ließ sich als helfender Engel an ihrem Bette nieder, von dem sie nur wich, um an das meinige zu eilen, nachdem Gustav mich im Gasthof abgeliefert hatte. Dort lag ich dann drei Wochen mit ausgestrecktem Fuß untätig, ohne den schwer bedrängten Freunden helfen zu können.
Mit dem Gesicht eines Verzweifelnden erschien Gustav an meinem Lager. Denn er liebte Selma doch, und mehr, als er selber gewusst hatte. Seit er in die Gefahr, sie zu verlieren, blickte, ging ihm auf, was er an ihr besaß und was er bisher vor seinem inneren Wühlen übersehen hatte. Diesmal klagte er auch nicht über die Dämonen, die sich aufs neue gegen sein Schaffen verschworen, er sprach nur von Selma. Täglich wenigstens einmal holte er Angela weg, weil die Kranke sich nach ihrer weichen Stimme und ihren linden Händen sehnte. Als sich nach langen vierzehn Tagen ihr Zustand zu bessern schien, und man daran denken konnte, sie in die mildere Luft des Genfer Sees zu bringen, fuhr er nach Montreux voraus, wo er vergeblich ein Unterkommen für die Kranke suchte. Ein freundlicher Zufall führte ihm jedoch seinen alten Freund und Anhänger Dr. Ruhland in den Weg, der sich einer schwachen Lunge wegen am See aufhielt, und dieser fand ihm in dem gleichfalls windgeschützten kleinen La Tour de Peilz ein schönes sonniges Stockwerk unmittelbar am Wasser. Dorthin brachte er die Kranke in Gesellschaft einer geschulten Wärterin und der vertrauten Magd. Dass wir nachfolgen würden, sobald mein Fuß es gestattete, verstand sich von selbst und war schon bei Übernahme der Doppelwohnung vorgesehen. Die beiden Frauen trennten sich mit Leid, doch verlangte Selma in ihrer Schwäche nach keiner Aussprache mehr; nur die Botschaft Sommers hatte Angela ihr noch tröstend zugeflüstert.
Ehe er schied, brachte Gustav mir seinen »Befreier« in der neuen Fassung.
Du hast jetzt Zeit und Sammlung zum Lesen, sagte er ernst; lies und sage mir dann klar und offen, wie ich dich kenne, was du davon hältst. Dein Urteil soll mir ein Gottesurteil sein.
Ich las einen ganzen Tag und eine halbe Nacht, und als ich fertig war, las ich zum zweiten Mal. Es war die alte, bezwingende Sprache, vielleicht in noch gesteigerter Kraft, es waren die Gestalten, an denen ich mich einmal berauscht hatte. Aber ein seltsames Dämmerlicht umschwankte sie, entkleidete sie ihrer Unmittelbarkeit und überzeugenden Nähe. Oder lag es an mir, dass ich, um soviel älter geworden, die erste jugendliche Begeisterung nicht mehr aufbringen konnte? Nein, es lag an der Sache. Zwar der Anfang war fast derselbe geblieben, und auch die »Varusschlacht« hatte noch viel von ihrer alten Größe, aber den dritten Teil, den Tod des Befreiers, konnte ich nur als völlig misslungen betrachten. Die Vorstellung, dass Arminius kein anderer als Siegfried sei, hatte gewiss etwas Bestechendes und war ja dem Dichter schon früher nahegetreten; jetzt wurde sie Anlass, dass sich alles trübte und verwirrte. Die beiden ersten Teile standen noch im hellen Licht der Geschichte, der dritte verlor sich ins Mythisch-Mystische. Die erschlagene Alraune, Wotan und die Siegsgöttinnen waren in der »Varusschlacht« nur Mittel gewesen, die der von hellenisch-römischem Geist berührte Cheruskerfürst brauchte, um sein Volk aufzurütteln. Im dritten Teile spielten sie leibhaft herein. Der vernichtete Varus spukte in Gestalt des Drachen Fafner verwirrend herum. War’s nicht, um ernstlich an dämonische Einflüsse zu glauben? Der Gedanke, aus dem das Unglück des Oheims geflossen war, sollte auch dem Neffen zum Verhängnis werden. Sein Werk hatte sich rächend gegen ihn selbst gewandt. Nicht seine Innenkraft hatte versagt, sie ging nur fehl, weil sie nicht mehr von der natürlichen Quelle gespeist war. Wie hatte er doch selbst einmal bei Molfetta im Hinblick auf die Griechen geurteilt? Große Dichtung, sagte er, ist nicht das Werk eines Eigenbrötlers, an der großen Dichtung schafft ein ganzes Volk. Jetzt war er losgerissen von seinem Volk, er büßte seine Entfremdung von Heimat und Leben. Das Schlimmste war, dass er, um einen Ausgleich zwischen den beiden verschiedenen Auffassungen des Cheruskers herzustellen, nachträglich die Varusschlacht im gleichen Sinne überarbeitet und damit das fertige Stück zwar auf geistreiche Weise, aber höchst verderblich entstellt hatte. Wohl lag auch noch in dieser abgeirrten Fassung reiches poetisches Gold ausgeschüttet, aber als Ganzes war das Werk eine Missgeburt.
Als ich fertig war, gab ich, ohne irgendeine Meinung zu äußern, die Blätter an Angela, die keine geeichten Kunstmaße, aber ein sehr lebendiges, angeborenes Gefühl für poetische Werte besaß.
Sie las entzückt und hingerissen. Aber von Zeit zu Zeit ließ sie das Blatt mit einem »Das verstehe ich nicht« sinken. Als sie zu Ende war, blätterte sie zurück, wie ich es getan hatte, und sagte dann ganz bestürzt und verwirrt:
Aber das sind ja unmögliche Dinge.
Es waren in der Tat unmögliche Dinge. Und ich stand vor der Aufgabe, ihm das zu sagen, denn von mir erwartete er die Wahrheit! Der unglückliche Mann hing jetzt, wie ich vor wenigen Tagen auf dem Gletscherhang, zwischen Sein und Nichtsein. Und ich, statt zu tun, was er getan hatte, dem Freund einen Halt zu geben, ich sollte ihn hinunterstoßen! Es gibt keine Zeit in meinem Leben, wo ich mehr gelitten hätte als damals. Auch die schwersten Lagen hatten sonst immer noch das Gute, dass der Weg unweigerlich vorgezeichnet war. Hier standen zwei Wege offen, die beide ins Verderben führten. Welchen sollte ich gehen? Ich hatte Augenblicke, wo ich wünschte, er hätte mich in den weißen Abgrund rollen lassen.
Angela sagte: Wenn er so groß ist, wie ich ihn halte, wird er die Wahrheit hören können.
Das wird er freilich, entgegnete ich, aber wie wird sie auf ihn wirken, jetzt, in diesem traurigen Augenblick?
Und doch bleibt dir nichts andres übrig, da er sie von dir erwartet, meinte sie. Schweigen wäre schlimmer, und das Schlimmste: ihn auf dem Irrweg weitergehen zu lassen.
Tag und Nacht ging es in mir auf und ab: Was sage ich? Wie sage ich’s? Und sollte ich wirklich sprechen, da ihm ja doch nicht zu helfen war? Ich sah bereits auch die Alexandertragödie ahnend ins Uferlose zerrinnen. Der Brahmane