Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Gabriel geht sich die Füße ab,« murmelte er, »wird mir zuletzt auch noch krank vor Gram.«

      »Unten beim toten See sehen sie alleweil ein Licht herumfliegen«, sagte das Weib.

      »Und das kann ich mein Lebtag nicht glauben, daß der Herrgott meine Klara so verlassen hätt', daß sie mir ins Wasser gegangen wär'. Res, ich hab' kein' Fried' und kein' Ruh'.«

      Die Res hatte still zugehört, plötzlich aber tat sie eine lebhafte Bewegung und rief:

      »Jetzt laß das Trübsalblasen sein, Peter, und tu einmal einen Jauchzer!«

      Er starrte die Res an.

      »Mit dem Beten und Traurigsein richten wir beim Herrgott nichts mehr aus, dasselb' hab' ich schon gesehen; auch gut, so wollen wir singen und jauchzen, daß ihm die Ohren gellen!«

      Und sie stieß einen grellen Ton hervor, der vielfach im Gewände widerhallte.

      Von den Waldungen herüber hallte es, von der Schlucht herein hallte es auch. Und wie hell und deutlich! War das Widerhall? Nein, das war ein selbständiges Klingen und Schallen, das waren Töne aus einem Horn. – Wer bläst hier im Walde? Hatte die Res mit ihrem Schrei Geister geweckt? Wer kommt da? Stehen die Toten auf?

       * * *

      Ein alter, halblahmer Mann und seine Tochter, ein blindes Mädchen, die sich durch das Land bettelten, fanden eines Tages draußen auf der Ebene neben der Straße an einer Zisterne ein betagtes Weib sitzen. Das zerrte an seinen ärmlichen Kleidern und wusch mit der hohlen Hand die Augen und die Stirne.

      »Was macht denn die Muhme da bei dem Wasser?« fragte der Alte halb als Gruß, halb aus Neugierde.

      »Mein, was werd' ich machen,« antwortete das Weib, »dunkel will's schon werden.«

      »Ihr seid ja vom Gebirge her, ich kenn's an Eurem Gewand.«

      »So, vom Gebirge bin ich her?« versetzte die Fremde ein wenig verwundert, »ja, 's wird wohl sein.«

      Der Bettler fragte sie noch um manches, aber sie sagte als Antwort immer: »Vom Gebirge bin ich her, man kennt's am Gewand.«

      Dann im Selbstgespräch:

      »Ja, richtig, man wird's wohl kennen. Ich seh's ein, ich hätt' doch noch warten sollen auf den Peter, allein werd' ich dasselb' Haus nicht finden, wo er herausschaut durchs Fenstergatter. 's wird halt schon soviel dunkel auf der Welt.«

      »O du dreidoppelter Morgenstern übereinand!« rief der Bettelmann jetzt aus, »das ist ja die Heidepeterin aus der Rattensteiner Pfarre! So laßt Euch einmal recht anschauen. Und was sag' ich denn! Die Peterin in der Einöd', mein Lebtag, bei der ich vorzeiten meine beste Milch getrunken hab'! He, schaut mich an, ich bin ja der alle Greg, der Jägersknecht, der in Eurem Haus allweg auf dem Herd gesessen ist und sein Tabakfeuer geholt hat. Mein, das ist die Heidepeterin! Jeßtl, Hedwig, die Frau ist zuletzt gar nicht recht in Ordnung mit dem Kopf.«

      Das Weib starrte den Alten an und gab verworrene Antworten. Dann holperte es zum Mädchen und sagte:

      »Grüß' dich Gott, Regina!« setzte aber sogleich dazu: »Schau das junge Volk an, jetzt ist sie schon wieder eine andere.«

      Dann nahm sie der alte Greg am Arm und sagte:

      »Heidepeterin, jetzt gehen wir all drei zusammen und suchen die Einöd' auf. Siehst du, Musik haben wir euch bei uns!« Und er blies in ein Waldhorn, daß es schmetterte.

      Und da humpelten drei Bettelleute die Straße entlang. Vorüberziehende blieben stehen und sahen ihnen nach und sagten: »Gott erbarm'! das sind drei Ausgesuchte: das eine ist lahm, das andere ist blind, das dritte ist lahm und blind und gar noch was dazu.«

      Die arme Klara paßte prächtig zu den zweien: sie wurde endlich heiter und wußte nicht warum.

      Einmal, als sie an einem Kruzifix vorüberkamen, wie sie häufiger und häufiger dastanden, je mehr sie dem Gebirge nahten, stand die Heidepeterin still und sagte:

      »Aha, da hängt er. Meinem Peter haben sie's just so gemacht.«

      Einmal stand eine Kapelle am Weg, da meinte sie:

      »Das ist mir ganz recht, jetzt da drin sitzt unser' liebe Frau. Muß ein wenig was mit ihr reden, wir sind gut miteinander.« Und als sie am Marienbilde stand, hielt sie ihm die Hand hin: »Grüß' dich Gott! Jetzt hätt' ich dich im Himmel oben gesucht, und du bist so in der Fremde da. Ja, und jetzt muß ich dich schon fragen, halten sie meinen Gabriel noch eingesperrt? Und wegen was denn, weißt mir gar nichts zu sagen? Ei ja, jetzt bleib' ich da bei dir. Du kennst mich ja, jeden Samstag einen Rosenkranz hab' ich dir verehrt, weißt es noch? Ich bin die Heidepeterin.«

      »Was denn aber muß geschehen sein in der Einöde!« meinte der Greg, »und wie sie die irrsinnige Person so herumwalgen lassen in der Welt!«

      Sie hatten ihre Not, bis sie das Weib mit sich fortbrachten.

      Das Mädchen sprach ihr zu mit guten Worten, und da sagte Klara einmal: »Nein, aber lachen muß ich auch über mich, ich bin 'leicht doch ein ganzer Narr. Dank dir Gott, Regina!«

      »Wie seid Ihr denn so weit weggeraten von daheim?«

      »Von daheim?« sagte Klara verwundert, »ja, wenn es recht aufkommt, dasselb' weiß ich zuletzt selber nicht.«

      So kamen diese drei Menschen schwer wandernd und bettelnd nach Tagen endlich in das Gebirge. So nahten sie immer mehr der entlegenen, unfruchtbaren Waldgegend mit ihren armen, verkommenen Menschen – die Einöde genannt. –

      Das Hallen und Schallen – der alte Greg blies sein Waldhorn – war näher und näher gekommen, nun aber plötzlich verstummt. Aus dem Waldesdunkel kamen drei Menschengestalten.

      Die Einschicht-Res hielt ihre Hand über die Augen, blickte den Nahenden entgegen und rief: »Wer kommt da? Peter, die Toten stehen auf!«

      »Meine Klara!« schrie der Peter und lief dem mühseligen Weiblein entgegen und umarmte es lachend, weinend.

      Sie sank vor Müdigkeit auf einen Stein. Sie trug noch ihre alten Kleider, sie hatte noch ihren trüben Blick, sie zitterte, sie hielt die Hände zusammen und rief mit lallender Stimme:

      »Daß du mich nur wieder hergeführt hast, du liebe Mutter Gottes, und daß ich mein Leben nur ertragen hab' mögen! – Peter,« sagte sie dann traurig, »'s ist umsonst, jetzt bin ich überall herumgegangen und hab' ihn nicht gefunden.«

      »O Klara,« schluchzte der Peter, »nur solang', solang' ausbleiben, warum hast du mir das angetan? Du hast mich gepeinigt, nicht zu sagen; ich hätt' nicht selig werden mögen!«

      »'s will halt nicht mehr licht werden auf der Welt«, murmelte sie und fragte dann lebhaft: »Die Regina habt ihr 'leicht auch einsperren lassen?«

      So kam sie zurück, irr und wirr.

      Die Hühner flatterten scheu herum und schlugen den Rauch des Mittagsfeuers nieder. So viele Leute waren sie nicht gewohnt. –

      Und das war eine glückselige Stunde, als auf der Bachwiese die Kinder aus dem Heidehause an dem Arme des Vaters ihre verloren geglaubte Mutter heranhumpeln sahen.

      Aber Gabriel hätte sie kaum mehr erkannt. Das war seine arme, kranke Mutter, an die er gedacht hatte viel tausendmal, die er sooft im Traume gesehen, gesund und fröhlich und arbeitsam, wie sie einst gewesen in den Tagen seiner Kindheit.

      In der Gegend der Einöde ist bei erwachsenen Leuten das Küssen nicht Sitte, aber Gabriel stürzte hin vor das Weiblein und küßte ihm Wangen und Stirn und Augen und Mund.

      O Gott, seine Mutter!

      Klara erkannte ihren Sohn sogleich. Einen Freudenschrei tat sie, dann war Stille einen Augenblick. Das Weib zitterte am ganzen Körper, und dann hub es ein stilles, süßes Weinen an ...

      Der Heidepeter hatte wieder jenes krampfhafte Aufatmen.

      »Jetzt wird es schon besser werden, liebe Mutter,« sagte