Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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im Bewußtsein seines richterlichen Amtes.

      »Ist zu Hause, liegt draußen im Stübel; er hätt' schon lang' gern einmal wieder mit dir was plaudert, kommst aber jetzt gar so selten.«

      Sie gingen in das hintere Stübchen, kehrten aber bald wieder zurück, denn der Wirt war trostlos besessen von den Geistern seiner Gruft.

      »Wo ist Euer Sohn?« fragte der Beamte die Schänkin.

      »Je, der Davidl, der ist jetzt die ganze Wochen nicht daheim; er ist draußen beim Rattensteiner Pfarrer im Tagwerk.«

      »Er ist vor einer Stunde hier gesehen worden!« versetzte der Beamte streng.

      »Nu, wenn Ihr's besser wißt,« entgegnete das Weib, sich zurückziehend, »und wenn Ihr Euch schon soviel Recht macht's mit den Leuten, Ihr Winkelkriecher, Ihr Schelme –«

      Der Beamte ging ihr nach und drohte ihr mit dem Einsperren, wenn sie noch so ein Wort sage. So sagte sie denn nichts, aber sie schwieg auch nicht, sie brummte. Dann begann die Durchsuchung des Hauses. Man stöberte im Keller, im Stalle, in den Scheunen, man beunruhigte alle Haustiere, man rührte gar einen Wespenschwarm auf, aber man fand den Burschen nicht, so daß der Haberturm schon sagte:

      »Wird doch fort sein.«

      In demselben Augenblick aber hörte man ein Gewinsel und ein Geschrei auf einer der hohen Fichten, und nieder von Ast zu Ast, mehr kollernd als kletternd, kam der Davidl, umkreist und umsummt von dem aufgestöberten Wespenschwarm.

      Da war zuerst Heiterkeit unter den Männern, aber bald begann die ernste Untersuchung.

      Der Bursche stand nicht bloß vor dem Jagdherrn, sondern auch vor der Gemeinde als Angeklagter da. Der Haberturm hatte dessen Festnahme angeordnet, und er hielt ihm nun vor, daß er und die Seinen vor allem die Ursache der Unruhe und Zwietracht in der Gemeinde seien. Er, der Davidl, habe in letzter Zeit durch Wildern und Waldfreveln dem Grafen zu dem harten Vorgehen Anlaß gegeben.

      Rudolf und Regina erzählten nun ihr Zusammentreffen mit dem Wilderer an jenem Sommermorgen und wie er sich mit dem Fläschchen Scheidewasser so unglücklich verteidigt hatte.

      Es kamen noch andere Anklagen vor, und sie wurden begründet und aufgeschrieben.

      Davidl verteidigte sich nicht, er hielt sein rotes Tuch vor sein Gesicht – nicht aus Schande, sondern aus Schmerz der Wespenstiche wegen. Seine Mutter kam mit kalten Umschlägen und hätschelte den Burschen und zeterte mit den Männern, beschimpfte sie, nannte sie Ehrabschneider, Verleumder und zuletzt auch Räuber. Dann zählte sie hundert Wohltaten auf, die sie den Einwohnern der Einöde stets bewiesen.

      »Und jetzt ein solcher Undank!« schloß sie, »das tut wohl weh im Herzen, das tut weh!«

      Dann weinte sie über sich und ihr unschuldiges Kind.

      Es kamen auch andere Leute herbei, denn es war bald bekannt geworden, daß es heute gelte, die gleisnerischen, heimtückischen Wirtsleute, die endlich jedem verhaßt geworden waren, niederzudrücken. Verbittert durch die mißlichen Verhältnisse in der Einöde, durch die Androhungen des Patrons, wollten sie alle Schuld auf das Zapfenwirtshaus wälzen. Der Hahnenkamp war auch gekommen, ließ sich ein Glas Wein geben und rief der Wirtin höhnisch zu:

      »Frau Wirtin, sollst leben! und dein Söhnerl daneben! Hab' ich nicht schon vor vielen Jahren einmal gesagt: Eure Bäume da draußen tragen saubere Früchte! ›Zapfen, Zapfen!‹«

      Da trat der Rindenschlager-Lenz vor:

      »Reiß' dein Klapperwerk nicht so weit auf, Steffel Hahnenkamp, du trägst auch dein Teil dazu bei, wenn wir abgestiftet werden. Du bist alleweil der Anstifter gewesen gegen den Waldherrn, hast gleich vom Niederschlagen geschrien, wenn ein Jagdtreiben gewesen ist. Das läßt sich so ein Herr nicht gefallen. Wenn's mir so kommen tät' – gleich abstiften!«

      »Weil du ein Herrenlecker bist!« schrien andere, »Und weil einer dahin und ein anderer dorthin zieht, deswegen fällt die Einöd' auseinander.«

      »So mag sie zu Scherben gehen, in's Teufels Namen ...!«

      Aufgegeben war die Einöde von den Einödbewohnern selbst. Und der arme Heidepeter irrte in den Schroffen und Wäldern umher und suchte sein Weib.

       * * *

      Es war ein Tag nach dem Herzen Gottes.

      Still und rein lag der Herbstmorgen über den Waldbergen; die kühle Luft war so klar, daß man in den Wildschroffen jedes Steinchen und jedes Klüftchen zu sehen glaubte. Gewaltig hoch türmten sich die leuchtenden Wände über den Waldungen.

      – »Wer hat deine Grundfesten gegraben, wer hat dich aufgebaut, du erhabene Alpenwelt! Wer hat dich erdacht, wer hat dich gewölbt, wer hat dich gekrönt, du herrlicher, wunderbarer Wald! Du bist ein allgemeines Vaterhaus, du bist eine unerforschte Welt, du bist ein Tempel mit ewigem Harfenklang! Wie sie hinausziehen, groß und klein, reich und arm, du gibst allen das gleiche Grün, das gleiche Blühen, das gleiche Reifen, den gleichen Schatten; du grüßest alle mit gleichem Fächeln und Flüstern, du küssest alle mit gleichem Lebensodem, du hüllest sanft die Herzen in Frieden und badest sie in träumender Ruh', du lieber, holder Wald!«

      So rief Gabriel aus in seiner feierlich gestimmten Seele, als er eines Tages hinging über die Höhen der heimatlichen Waldberge.

      Nach jahrelanger Abwesenheit kam er zurück von der Hauptstadt, um endlich seine armen Eltern, seine liebe Schwester wiederzusehen.

      Er hatte nicht den gewöhnlichen Weg genommen, er kam über die Alpen her, er wollte das Bergland wieder einmal so recht genießen. Er war im schmucken Kleide des Älplers, das er angetan hatte, um die Heimat damit zu ehren. Den Jammer ahnte er nicht, der ihn daheim erwarten sollte.

      Gabriel war groß geworden, er schritt durch den Wald wie ein junger Priester, so feierlich.

      Fremd und allein, wie er hingezogen vor Jahren, kam er wieder zurück. Wohl hatte er seine Studien glücklich vollendet, seine Prüfungen glänzend bestanden; er hatte Aussicht auf eine bevorzugte Professorenstelle, man prophezeite seinem durch schwere Schicksale geläuterten, nach hohen Idealen strebenden Geiste eine glückliche Zukunft. Aber er hatte nun die Welt kennengelernt in ihrem Prunk und Stolze, in ihrer glitzernden Armseligkeit, und er sehnte sich wieder zurück in den Wald.

      Gabriel sah jetzt die Natur mit ganz anderen Augen an als einst. Manche poetische Anschauung hatte ihm die Wissenschaft verdrängt, dafür war durch sie manch neue merkwürdige Seite enthüllt worden. Er wußte nun, daß der rohe Eigennutz auch außer dem Menschen in dem Naturleben herrscht. Als Knabe hatte er weinen müssen vor Rührung, wenn er eine Heuschrecke sah, die ihre Vorderfüße gegen den Himmel streckte, sie war ihm die fromme, stille Gottesanbeterin. Heute wußte er, daß sie ihre Füße emporreckt, um Mücken zu fangen.

      Oft fand er als Knabe in den Splint der Fichten geheimnisvolle Buchstaben eingegraben, die sich in wunderlichen Formen schlingen, aber nie kreuzen; »die Waldjungfrau hat damit die Geschicke der Menschen beschrieben, aber niemand kann die Zeichen lesen«. Heute kannte Gabriel den schädlichen Borkenkäfer, der mit seinem Rüssel die Buchstaben gräbt, und heute verstand Gabriel die Buchstaben zu enträtseln, sie heißen Tod dem Walde!

      So hatte die Natur für Gabriel vielleicht den Heiligenschein verloren, dafür aber blickte er ihr tief ins Leben.

      Als Gabriel gegen die drei riesigen Tannen kam, die an der oberen Waldgrenze standen und der Pfaffenhut genannt wurden, sah er dort bläulichen Rauch emporwallen, und als er näher kam, hörte er heitere Männerstimmen. Der Graf Frohn hielt hier mit seinen Jagdgenossen Gelage und Mahlzeit.

      Gabriel ging seines Weges, aber der Jagdtag der fröhlichen Gesellschaft hatte ein seltsames Ende.

      Zuerst schlug das Wetter um.

      Es mögen die Herbsttage noch so still und rein sein viele Wochen hin – plötzlich wird es anders. Wie war an diesem Morgen die Luft noch so klar und ruhig; da begann zur Mittagszeit sachte das dürre Laub der Erlen und Haselnußgesträuche zu tänzeln und zu hüpfen über den