Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Gott, verdient hab' ich's nicht!«

      »'s wird wohl ein rechtes Unglück sein,« meinte der Bauer, »aber tu' sich's der Herr Schulmeister nicht gar so schwer legen. Und wenn ich was helfen kann, tu' Er's sagen.«

      »Vergelt's Gott, Heidepeter! Ihr seid eine gute Seele, ich kenn' Euch schon lang' – wohl gar schon seit fünfunddreißig Jahren. Hab' Euch ja das Häubl zurückgeschoben, wie Euch der Pfarrer getauft hat. Ja mein, wenn derselb Pfarrer noch leben tät'! Der hätt' mich nicht abgedankt, nicht fortgeschickt wie einen Taglöhner zur Feierabendzeit, und wenn ich dem Halterlois schon zehn Glocken geläutet hätt'. Bin wohl schon alt und kann der Schule nicht recht mehr vor sein. Zum neuen Kirchenregiment kann ich mich auch nicht schicken. Dasselbe wißt Ihr noch, wie mich der neue Herr Provisor einen Beelzebubenpropheten geheißen hat. Ich hab' gewußt, daß ich damit nichts Unrechtes tu' und hab' meine Extralehrstunden fortgesetzt. Nachher müßt Ihr's auch gehört haben, daß sich letzthin der irrsinnige Halterlois das Leben genommen hat» Der Herr Provisor hat dem Unglücklichen die Verscheidenglocke verweigert, und da ist die Mutter des Toten zu mir gekommen, weil ich ja auch der Mesner bin, und hat mich gebeten um Gottes willen, daß ich die Glocke läute für ihren Sohn. Der Lois ist immer ein rechtschaffener Mann gewesen, die alte Frau hat ihr Lebtag gar soviel gehalten auf ein Sterbegeläute, und tief in die Seele hinein hat sie mir erbarmt, wie sie so bitter bitterlich geweint hat, und ich hab' gedacht bei mir selbst, der Herr Provisor ist bei einem Amtsbruder in Großhöfen, da nehm' ich's auf mich, und weil sie um Gottes willen bittet, so läute ich die Glocken; man kann der armen Frau keinen besseren Trost schenken. Der Lois ist begraben worden im Schachen, wo sie ihn gefunden haben, und wie jetzt die Glocken klingen, eilt die Mutter hin zum Grab und betet ein Vaterunser. Der Herr Provisor hat die Glocken nicht gehört, und das Gebet nicht, und er hat das Leid und den Trost der armen Mutter nicht empfunden – aber von den Glocken haben ihm die Leute berichtet. Gestern morgens, wie ich ihm das Meßkleid umhüll', lacht er mich noch an, und ich denk': Ei ja, der Herr Provisor ist zuletzt doch auch ein recht braver Herr, ich getrau' mich mit ihm schon auszukommen. Darauf bin ich mit meiner Holzkraxe gegangen und hab' mir von den Bauern meine Getreidegebühr zusammengetragen. Die Leut' meinen's recht gut mit mir und fassen mir tüchtig auf, hätt' mir den ganzen Winter durch kein Schnittel Brot kaufen dürfen. Zwei heiße Tagwerk sind's freilich für unsereinen, aber mein, wer trägt nicht gern schwer, was ihm gehört, 's hat schon zu dämmern angefangen, wie ich mit der letzten Trag ins Dorf gekommen bin. Drauf, wie ich vor meiner Haustür steh', den Schlüssel aus der Tasche zieh' und mich schon freu' auf das Rasten, denk' ich mir: Der Tausend, wer hat sich denn da heut' einen Spaß gemacht? – Ist das Schloß versiegelt gewesen. Ich setz' ab, guck das Ding besser an – ja, Heidepeter, da seh' ich's wohl! – Mit dem Gemeindesiegel ist mir das Schulhaus verschlossen. – Na, denk' ich mir, das ist jetzt schön! Werf' meine Trag ab und lauf' in den Pfarrhof, wo jetzt auch das Gemeindeamt ist. Nach dem Provisor schrei' ich. Nicht daheim, ruft die Wirtschafterin, unten auf dem Steinhaufen sollt ich's suchen, wenn ich was verloren hätt' – und schlägt mir die Türe vor der Nase zu. – Da ist mir schon das Blut zum Herzen gefahren.«

      Dem alten Manne preßte es schier die Kehle zusammen, die Worte waren halb erstickt.

      »Aber steh'n bleib' ich nicht vor der Pfarrhoftür und anklopf' ich auch nicht. Zum Steinhaufen lauf' ich hinab, und da find' ich Euch meine Sonntagswäsch', meinen schwarzen Rock und meine Geige. Und zwischen den Saiten steckt so ein schmales Blättel Papier. Nu, da ist's, mögt es lesen, Heidepeter.«

      »Rechtschaffen gern,« entgegnete der Heidepeter gedehnt, »aber 's ist halt so eine Sach', die Schul' ist so viel weit weg – ich kenn' keinen Buchstaben.«

      »Je nu, dann wär' das Lesen freilich eine Kunst,« sagte der Schulmeister, »indes, allzeit ist's auch nicht gut, wenn man lesen kann. Das Briefl tut mir altem Mann folgendes kund:

      »Es schmerzt uns, im Namen des hochw. Konsistoriums und der hiesigen Gemeinde Euch Nachstehendes mitteilen zu müssen. Nachdem Ihr, Michel Bieder, Schullehrer in dasiger Pfarre, in dem Unterrichte der Jugend zu wiederholten Malen gegen die Verordnungen gehandelt, Euch trutzig widersetzet und Euch letzther sogar unterfangen habet, in beispielloser Eigenmächtigkeit eine kirchliche Funktion zugunsten eines Selbstmörders zu verrichten, sei Euch kund und zu wissen getan, daß wir Euch Eures Amtes entheben.

      Das Pfarramt zu Rattenstein.«

      Der Alte schwieg.

      Peter putzte in großer Verlegenheit die Kerze und sagte dann:

      »Ja, das hätt' der Herr Schulmeister halt wissen sollen, daß man nicht jedem mir nichts, dir nichts ins Grab nachläuten darf.«

      »Und so lieg' ich da auf dem Steinhaufen, und nichts fehlt mir mehr zum Bettelmann als der Sack und der Stecken. Die Sterne sind schon am Himmel gestanden, vom Walde her hat ein Uhu gelacht – hat mich ausgelacht. Was fang' ich jetzt an? Verstoßen, ich armer, alter Mann, der vierzig Jahre in der Pfarre Schullehrer war, der eine Gemeinde begraben und eine getauft hat. Ich lieg' jetzt auf dem Steinhaufen in der kalten Nacht, und mein Haar ist feucht vom Tau. Von der Kirchenuhr herab hör' ich das Ticken; wie ein Vogel die nackten Körner von der herbstlichen Saat, so pickt sie mir von meinem armen Lebensrest eine Sekunde um die andere weg. Nur zu, nur zu, Pendel, 's ist schon spät. Da fällt's mir ein: Wer läutet denn heut' die Abendglocke? – Bin aufgesprungen und hinauf über den Hügel zur Kirche, wo man durch den Turm geht. Die Glocken hab' ich alle beim Strick gefaßt und geläutet, all' auf einmal. Und das war der Abschied von meiner lieben Kirche und von der Gemeinde. Die Toten in den Gräbern hätt' ich aufwecken mögen und ihnen das Unrecht klagen; – sie haben fortgeschlafen in der Ruh', ich hab' meine Bettelschaft eingeläutet. Dann hab' ich mir im Gesträuche an der Kirchhofsmauer meinen Stock geschnitten und bin fort und fort – ich kann noch rechtschaffen laufen. Kaum drei Stunden bin ich gewandert, bis da herauf in die Einöd.«

      Der Alte stützte seinen Kopf und hielt die flache Hand vor die Augen.

      »Närrisch!« sagte die Bäuerin, die schon eine Weile mit der Suppenschüssel an dem Tisch gestanden war, »und jetzt will der Herr Schulmeister in die Wildschroffen hinauf?«

      »Komm' ich denn da in die Wildschroffen?« entgegnete der Schulmeister, »o Gott, was tät' ich denn in diesem Gestein?«

      Er verdeckte wieder sein Gesicht.

      »Es ist ein rechtes Kreuz und kein Herrgott drauf, sagt die alte Einschicht-Res, und 's ist richtig«, sprach das Weib. »Tu der Herr Schulmeister jetzt in Gottes Namen die Suppe essen, daß Er was Warmes kriegt. Der lieb' Herrgott wird's schon recht machen, dasselb' ist keine Sach'. – Peter, komm' ein Eichtel mit mir in die Küch'. Du mußt mir das Rauchtürl zumachen, ich kann's völlig nicht derlangen.«

      Aber es war nicht des Rauchtürls wegen.

      Als die beiden Eheleute in der Küche waren, sagte das Weib:

      »Du wirst es einsehen, Peter, daß wir den Schulmeister nicht so fortgehen lassen können. Ich bin zu ihm in die Schul' gangen, und ich kann ein Gebetbüchel brauchen; 's tät mir mein Lebtag kein Bissen Brot mehr schmecken, wenn ich mir sagen müßt: Dein alter Lehrer geht betteln. Was meinst, wenn wir ihm das obere Stübel herrichten täten? Im Winter könnt' er uns die Spän' klieben, und im Sommer, wenn wir auf der Weid' sind, tät er uns auf die Kinder schauen, und lernen könnten sie auch wohl was bei ihm. Schau, 's wär' halt doch gut, wenn sie was lesen könnten, und der Bub' hätt' so eine Freud dazu; und in der Schrift auch, ich will nicht nachgeben, bis er seinen Namen schreiben kann.«

      »Dasselb' ist kein Muß, Klara,« entgegnete der Peter, »wer ist denn in der Einöd, der seinen Namen schreiben kann? Kein Mensch. Die Arbeitsleute haben auch zu grobe Händ' für so was; wenn's d'rauf ankommt, so macht man's Kreuz.«

      Die Bäuerin darauf:

      »Da wundert's mich nachher gar nicht, daß wir soviel Kreuz haben in der Einöd. Aber mir steht's nicht an, und ich mein', mit dem Schulmeister könnten wir uns eine Stufe in den Himmel bauen.«

      »Du denkst ans eine, und ans andere nicht. Du weißt es recht gut, daß wir nur fünf Metzen Korn bauen, und daß wir im Winter kein' Milch und kein Schmalz haben; du weißt, daß wir kein Fleisch im Kasten haben,