Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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so klar und niedlich gewesen, daß ich schier vermeint, sie lägen wenige Büchsenschußweiten vor mir und wären aus gleißendem Zucker geformt.

      Gegen Morgen hin fällt die Gegend ab in den welligen Grund des Waldes. Und die sonst so hochragenden Almweiden liegen tief wie in einem Abgrunde, und dort und da liegt das graue Würfelchen einer Almhütte. Von der Mitternachtsseite heran gähnen die schauerlichen Tiefen des Gesenkes, in deren Schatten das glanzlose Auge des Sees starrt.

      Nun bin ich ein paar Stunden den beschwerlichen und gefährlichen Weg der Kante entlang gegangen bis zu den Gletschern. Hier habe ich meine Steigeisen an die Füße gebunden, das Ränzlein enger geschnallt und den Bergstock fester in die Hand genommen. Der Bergstock ist ein Erbstück von dem schwarzen Mathes. Es ist in diesem Stocke eine Unzahl kleiner Einschnitte, die aber nicht andeuten, wie oft etwan sein früherer Eigner den Zahn oder einen anderen Berg bestlegen, sondern wie viele Leute er im Raufen mit diesem Knittel zu Boden geschlagen hat. Ein unheimlicher Geselle! – und mir hat er emporhelfen müssen über die weite, glatte Schneelehne, hinweg über die wilden Eisschründe und letztlich hinan den letzten steilen Hang auf die Spitze des Zahn. Hat's getreulich getan. Und wie gerne hätte ich von diesem hohen Berge aus dem Mathes nachgerufen in die Ewigkeit: Freund, das ist ein guter Stock, wärst hoch mit ihm gekommen, hättest ihn verstanden! –

      Stehe ich jetzt oben? Geht's nicht mehr weiter?

      Wenn ich so ein Wesen tät' sein, das sich an den Sonnenfäden könnt' emporspinnen in das Reich Gottes...

      Unter einem Steinvorsprung auf verwitterten Boden hab' ich mich hingesetzt, hab' die Dinge betrachtet. Hart um mich sind die feinen zerbröckelten Zacken der senkrecht liegenden Schiefertafeln gewesen. Über mir wogt vielleicht ein scharfer Luftstrom hin; ich höre und fühle ihn nicht; mich schützt der Felsvorsprung, die höchste Spitze des Zahn. Auf meine Glieder legt sich die freundliche Wärme des Sonnensternes. Die Ruhe und die Himmelsnähe tun wohl. Ich sinne, wie das wäre in der ewigen Ruh... Und selig sein! – ewig zufrieden und schmerzlos leben; nichts wünschen, nichts verlangen, nichts fürchten und hoffen durch alle Zeiten hin... Ob das nicht doch ein wenig langweilig wird? Ob ich mir nicht etwan doch einmal Urlaub nehmen möcht', daß ich hier unten wieder könnt' die Welt anschauen. Mein Gutsein dahier geht leichtlich in eine Nußschale hinein. Aber ich meine, wenn ich einmal oben wär': herunten wollt ich wieder sein. 's ist ein Eigenes um irdisch Freud' und Schmerz!

      Nur eines wollt' ich mir bedenken; ginge ich auf Urlaub zurück. Ein gutes Engelein müßte mir seine Flügel mitleihen; wie wollt' ich fliegen über die weißen Höhen und sonnigen Gipfel und Kanten, bis in die Ferne dort, wo die Säge der Gebirgskette den lichten Himmel durchschneidet; und auf jenem letzten weißen Zähnchen wollt' ich ruhen und hinblicken in die Weiten des Flachlandes und zu den Türmen der Stadt. Vielleicht könnte ich den Giebel des Hauses erblicken, oder gar das Gefunkel des Fensters, an dem sie steht...

      Und tät' ich das Gefunkel desselbigen Fensters erblicken, dann wollt' ich gern umkehren und zurück in den Himmel.

      Ob es wohl wahr ist, daß man von dieser Spitze aus das Meer kann sehen? – Meine Augen sind nicht klar, und dort im Mittag zittert das Graue der Erde mit dem Grauen des Himmels ineinander. – Den festen Boden kenne ich; was Moder ist, nennen sie fruchtbare Erde. Könntest du, mein Augenblick, nur ein einzigmal das weite Meer erreichen! – –

      Als endlich die Sonne sich so gewendet, daß der blaue Schatten ist erschienen auf meiner steinigen Ruhestatt, da habe ich mich erhoben und bin emporgestiegen auf den allerhöchsten Punkt. Ich habe den Rundblick getan in die Zackenkrone der Alpen.

      Und danach bin ich niedergestiegen an den Felshängen, den Gletscherschründen, den Schneefeldern; bin hingegangen auf dem langen Grat, bin endlich wieder herabgekommen auf die weichen Matten. Da sind vor mir wieder die Waldberge, gewesen; aus den Tälern ist die Dämmerung gestiegen. Diese hat mir fast wohlgetan; vor meinem überreizten Auge hat es noch lange geflimmert und gefunkelt. Eine Weile habe ich die Hand davorgehalten. Und als ich meinen Blick wieder vermocht zu heben, da hat auf den Höhen das Gold der untergehenden Sonne geleuchtet.

      Wie ich zu der Miesenbachhütte komme, vor der ich des Morgens eine Weile gesessen bin, veranstaltet der schalkhafte Zufall eine Begebenheit.

      Ich denke, da ich so vorübergehen will, just darüber nach, wie freundlich und heimatlich ein bewohntes Menschenhaus dem Wanderer entgegengrüßt, hingegen aber, wo so eine leere verlassene Stätte gespensterhaft dasteht, schier ein hochragender Sarg.

      Da höre ich von der Hütte her plötzlich ein Gestöhne.

      Meine Füße, sonst recht müde schon, sind auf einmal federleicht geworden, haben davonlaufen wollen, aber der Kopf hat sie nicht fortgelassen, und die Ohren haben angestrengt gelauscht, und die Augen haben gelugt. Unter einem Winkel des Dachvorsprunges ist ein Pfauchen und Schnaufen, und da sehe ich gar was recht Sonderbares. Aus der braunen Holzwand ist ein Menschenhaupt mit Brust, zwei Achseln und einer Hand herausgewachsen, und allsamt ist es lebendig und zappelt, und von innen höre ich, wie die Füße poltern.

      Aha, denke ich, ein Dieb, der sich da drin vielleicht die Taschen ein wenig zu voll angestopft hat und beim Herauskriechen unselig steckengeblieben ist. Es ist ein junger Kopf mit krausem Haar, aufgestrichenem Schnurrbärtl, weißem Hemdkragen und rotseidenem Halstuche, wie man das sonst in den Wäldern selten findet.

      Wie er mich gewahr wird, schreit er hell: »Du heiliges Kreuz, aber das ist ein Glück, daß da einer kommt. Erweiset mir die Guttat und helfet mir ein wenig nach, es braucht ja nur ein klein Ruckel. Das ist schon ein verflixt Fenster das!«

      »Ja, Freund«, sage ich, »da muß ich dich früher wohl ein wenig ausfragen. Wissen tät' ich's, wer dich am leichtesten könnt' herauskriegen; der Gevattersmann mit der roten Pfaid, der tät' dir schön sachte das Stricklein an den Hals legen, ein wenig anziehen – gleich wärst in der freien Luft.«

      »Dummheiten«, entgegnete er, »als ob der ehrlich Christenmensch nicht kunnt steckenbleiben, ist das Loch zu eng. Ich bin der Holzmeistersohn von den Lautergräben und geh' heut' über die Alm in den Winkelegger Wald hinab. Wie ich da an der Hütten vorbeigeh', seh' ich die Tür angelweit offen, daß sie der Wind allfort hin und her schlägt, 's ist nichts drin, denk' ich bei mir selber, gar nichts drin, was der Müh' wert wäre, daß sie's forttrügen, aber eine offene Tür in einem stockleeren Haus mag eins nicht leiden; über den ganzen Winter hindurch der Schnee hereinfliegen, das ist keine gute Sach'. Die Sennin muß es eilig gehabt haben, wie sie ab ins Tal getrieben hat – das ist schon die Rechte, die alles offen läßt. – Nu, ich geh' darauf hinein, mach' die Tür zu, und weil gar kein Schloß ist, rammle ich von innen ein paar Holzstücke vor, steig' nachher auf die Bank, will durchs Rauchfenster hinaus und verklemm' mich da, daß es schon des Teufels ist.«

      Ich hab' dem Burschen aber noch nicht getraut und guck' ihm eine Weile zu, wie er zappelt.

      »Und steckenbleiben, meinst, wolltest nicht da unter dem Dach, bis morgen ein paar Leut' kommen und dich kennen täten?«

      Da knirscht er mit seinen Zähnen und macht die heftigsten Anstrengungen, aus seiner bösen Lage zu entkommen.

      »Muß morgen in aller Früh zu Holdenschlag sein«, murmelt er.

      »Was willst denn zu Holdenschlag?« sage ich.

      »Nu, mein Gott, weil eine Hochzeit ist!« brummt er unwirsch.

      »Und mußt 'leicht wohl dabei sein?«

      Er will nicht mehr antworten. »Jessas und Anna, weil ich dazugehör'!« stößt er endlich heraus.

      »Nachher freilich, nachher müssen wir schon trachten, daß wir dich loskriegen«, sage ich, klettere an der Wand ein wenig empor und heb' an dem Burschen zu zerren an, bis wir die zweite Hand heraus haben; dann geht's schon leichter. Nicht lange darauf, so steht er auf dem Boden, sucht seinen davongerollten Spitzhut auf, schlingt sich die steif gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hochrotem Gesicht nochmals empor zu dem Rauchfensterlein und ruft: »Du Höllsaggra, da hat's mich derwirscht gehabt!«

      Dann sind wir in der Dämmerung zusammen hinabgestiegen gegen den Winkelegger Wald. Der Bursche hat nicht recht mit