Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

Читать онлайн.
Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



Скачать книгу

und habe mich mit ihnen unter Spielen und Märchenerzählen ergötzt.

      Ein paar Tage später komme ich wieder hinauf. Da geht es dem Kranken ein gut Teil schlechter. Er kann sich nicht mehr aufrichten, wenn die Wut kommt.

      Was ihm denn eigentlich fehle?

      »So viel geschlagen ist er worden«, hat mir das betrübte Weib mitgeteilt.

      Ich bin anfangs durch die Kinder eingeführt worden und genieße im Hause des Mathes einiges Vertrauen. Ich gehe öfters hinauf; ich will allzumal auch das Elend im Walde kennenlernen.

      Einmal, als der Mathes in einem ruhigen Schlummer liegt und ich neben dem Lager sitze, atmet das Weib schwer auf, als trüge sie eine Last. Dann sagt sie die Worte: »Ich getrau' mir's wohl zu sagen, auf der Welt gibt es keine bessere Seel', als der Mathes ist. Aber wenn ein Mensch einmal so gepeinigt worden von den Leuten, so niedergedrückt, so schwarz gemacht wie er, so müßt' er kein frisch' Tröpfel Blut im Leib haben, wollt' er nicht wild werden.«

      Und ein wenig später fährt sie fort: »Ich wüßt' zu reden, ich hab' ihn von Kindeszeit auf gekannt.«

      »So redet«, habe ich entgegnet, »in mir habt Ihr einen Menschen vor Euch.«

      »Lustig ist er gewesen wie ein Vöglein in den Lüften; hell 'zuckt hat alles an ihm vor lauter Freud' und Lebendigkeit. Und er hat's damalen noch gar nicht gewußt, daß er zwei großmächtige Meierhöf' erben sollt'; hätt's auch nicht geachtet; am liebsten ist ihm die Erden Gottes gewesen, wie sie daliegt im Sonnenschein. – Wartet nur, 's ist nicht allerwe' so fortgegangen.«

      Und nach einer weiteren Weile fährt das Weib fort: »In seinem zwanzigsten Jahr herum mag's gewesen sein, da ist er einmal mit einer Kornfuhr in die Kreisstadt gefahren. Das Fuhrwerk hat ein Überreiter (Gendarm) zurückgebracht; der Mathes ist nicht mehr heimgekommen.«

      »Oho! Heimgekommen schon!« unterbricht sie der Kranke und will sich heben. – »Es ist nichts Unrechtes, daß du erzählst, Weib, aber wissen wirst es nicht recht, bist ja nicht dabeigewesen, Adelheid, wie sie mich erwischt haben. Ich erzähl's selber. Wie ich in der Stadt mein Geschäft fertig hab', geh' ich ins Wirtshaus, daß ich mir ein wenig die Zunge netz'. Auf dem Kornmarkt, müßt' ihr denken, wird das Red'werk trocken, bis der letzte Sack vom Wagen geschätzt ist. – Wie ich in die Wirtsstuben tret', sitzen ihrer drei, vier Herren bei einem Tisch, laden mich ein, daß ich mich zu ihnen setz' und mit ihnen Wein trink'. – Freundlich sind die Herren gewesen, eingeschenkt haben sie mir.«

      Der Mann unterbricht sich, um Atem zu schöpfen; sein Weib bittet ihn, daß er sich schone. Der Kranke hört es nicht und fährt fort: »Von den Welschen haben sie erzählt, die in Ewigkeit keine Ruh' geben wollen, und von den Kriegszeiten und dem lustigen Soldatenleben; und gleich darauf fragen sie wieder, wie das Korn geraten, was der Scheffel koste. Ich bin lustig worden, hab' meine Freud' gehabt, daß sich mit weltfremden Leuten so schön über allerhand plaudern läßt. Da hebt einer das Glas; unser König soll leben! – Wir stoßen an, daß schier die Gläser springen; ich schrei dreimal lauter als die ändern: der König soll leben!« – Der Kranke bricht ab, es zittern ihm die Lippen. Nach einer Weile murmelt er: »Mit diesem Ruf ist mein Unglück angegangen. – Wie ich wieder fort will, springen sie auf, halten mich fest: oho, Bursch, du bist unser! – Unter die Werber bin ich geraten. Fortgeführt haben sie den jungen, noch nicht ausgewachsenen Menschen; unter die Soldaten haben sie mich gesteckt, verkauft bin ich gewesen.«

      Mit den knochigen Fingern zerballt der Mathes eine Moosflocke.

      »Gräm dich nicht, Weib«, stößt er hervor, »bin schon besser. Mit meinen letzten Worten will ich das Gezücht' noch niederschlagen. Das kann ich wohl sagen: auf weitem, breitem Feld bin ich nicht so wild gewesen wie dazumal. – Heim hätt' ich mögen, heim hat's mich gezogen mit schweren güldenen Ketten. Und einmal, mitten in der stürmischen Winternacht, bin ich fort und heimzu geflohen. Im Rainhäusel hab' ich mich aufgehalten bei meiner alten Base. Und jetzt haben mich meine eigenen Landsleute verraten. Auf einmal sind die Überreiter da, daß sie mich fangen. Just, daß ich noch aus dem Häusel und in den Wald hinaufhusch' und denk', wenn sie mich überlistet haben, so überlist' ich sie wieder. Zwei große Fanghunde haben umhergeschnuppert, aber ich bin durch den Bach gelaufen und in demselben eine gut' Läng' hinan, daß die Äser meine Spur haben verloren. Und die Überreiter im Häusel haben alles durchgestöbert; ins Bettstroh und ins Heu haben sie gestochen mit ihren Messern, die Höllteufel, und die ganze Hütte hätten sie schier umgestürzt. Wie sie mich aber nicht haben gefunden, hat einer sein Brennscheit meiner alten Base auf die Brust gesetzt: auf der Stell' sag, wo er ist, oder ich schieß dich nieder wie einen Hund! – Ja, da ist er gewesen, und wo er jetzt ist, das kann ich nicht sagen. – Vor die Tür hinaus haben sie drauf das Weibel geschleppt, drei Gewehrläuf sind auf ihre Brust gerichtet, und insgeheim haben sie ihr zugemunkelt; aber gleich schrei, so laut du kannst: geh nur her, Hiesel, die Überreiter sind lang' schon wieder davon! Willst es nicht tun, wirst morgen begraben. Von all dem hab' ich im selbigen Augenblick nichts gewußt, wie ich so im Dickicht versteckt bin. Hab' aber lang gelauert und gemeint, es wäre hell erlogen, daß sie mich fangen. Da hör' ich die Base rufen: geh her, Hiesel, die Überreiter sind lang' schon davon! – Ich spring' auf und der Hütte zu, da seh' ich das Weibel die Hand' über den Kopf zusammenschlagen, da hör' ich schon das Lachen, und ich steh' mitten drin unter den Überreitern. Herrgotts Kreuz! da bin ich wohl nach meinem Taschenfeitel gefahren! Hat mir aber einer den Kolben an den Arm geschlagen. – Und ein paar Tag darauf geht's über mich los. – Die fünfzig Rutenstreiche damalen haben den Teufel in mich hineingeschlagen. – Mein zerfetzter Rücken ist mit Essig und Salz eingewürzt worden, der Heilung wegen. Es hat Eil' gehabt. Der Welsche ist ins Land gefahren wie der bös' Feind. Da bin ich freilich auch in die Hitz' gekommen und hab' drein gefeuert. Ein' einzige Pulverladung hab' ich noch gehabt, wie der Feind ist zurückgeworfen; für dieselbig' Kugel hätt' ich noch wen andern gewußt; bei uns herüben auf hohem Roß. Aber das nicht, das nicht! hab' ich mir gedacht, Aug' in Aug' ist gescheiter. Und nachher bin ich wieder durchgegangen in die Heimat.«

      »Und wenn Ihr Eure Heimat so geliebt, warum habt Ihr nicht für sie streiten wollen?« unterbreche ich ihn, »warum seid Ihr davongegangen?«

      »Mag sein, daß es eine Schurkerei gewesen«, sagt der Mathes, »mag sein. Oder 'leicht – mag's auch nicht sein.«

      »Mag das sein, wie es will«, ist meine Antwort, »ich kenne einen Mann, der hat nicht nur nicht für sein Land gestritten, sondern gegen

      »Ich bin in meiner Heimat nicht verblieben«, fährt der Mathes fort, »mein Eigentum hab' ich im Stich gelassen und hab' mich, daß sie mich nimmermehr finden, in diese hinterste Wildnis verkrochen. – Gehetzt, gehetzt, Herr Jesus! Und dahier bin ich erst das wilde Tier worden. Mein Weib, du weißt es.«

      Ein stöhnender Aufschrei war es gewesen; aber die Worte sind wie im Entschlummern gelallt. Er schweigt und schließt die Augen. Wie ein letztes Auflodern und Verlöschen.

      »Für einen Hascher haben ihn die Leut' gehalten, da er ist zurückgekommen«, setzt das Weib fort, »Groschen und Pfennige haben sie zusammengeworfen in einen Hut und ihm denselbigen Hut wollen schenken. Dafür hätt' der Mathes bald ein paar totgeschlagen; er will nichts geschenkt haben. Wie ihn darauf die Leut' zu Dutzenden verfolgt, ist er auf einen Lärchenbaum geklettert, hat sich von einem Wipfel auf den andern geschwungen wie eine Waldkatz; und da haben die Leut' gesehen, daß er doch wer ist. Aber das Hieselein haben sie ihn spottweise geheißen. – Nachher – ja freilich wohl – hat er sich ein Mädel ausgesucht –«

      »Das allerschönste im Wald!« unterbricht sie der Kranke wieder, »und ein solcher Hoffahrtsteufel ist in ihm gewesen, daß er – der Halbkrüppel – demselbigen Mädchen die Treu' nur versprochen, im Fall er kein schöneres mehr sollt' finden. Heiliges Kreuz, was ist da nicht gerauft worden! Andere haben das Mädel auch haben wollen. Dem Vornehmsten und Saubersten hab' ich die Adelheid an der Nase vorbei heimgeführt, und eine Bravere hätt' ich nimmer finden mögen.«

      Wieder schweigt er und überläßt sich dem Halbschlummer.

      »Fürchterliche Schläg' hat er oftmals bekommen«, sagt das Weib, »aber auf den Füßen ist er geblieben,