Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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lauscht alles ahnungsvoll dem Himmel, und der Atem Gottes säuselt stimmungsvolle Lieder durch die goldenen Saiten der milden Sonne.

      Der Himmel ist ja so redlich geworden, er hält tagsüber mehr, als er des Morgens mit seinen nebeltrüben Augen verspricht. Man schaut in sein blaues, stilles Aug'...

      Dort sitzt an einem Waldfeuer der Hirtenknabe. Er tut runde Dingelchen aus dem Sack und schiebt sie in die Glut.

      »Sage mir, Junge, woher hast du die Erdäpfel?«

      Er wird rot und sagt: »Die Erdäpfel, die – die hab' ich gefunden.«

      »Gesegne dir sie Gott, aber ein andermal finde sie nicht mehr, sondern gehe die Winkelhüterin an, wenn du Hunger hast; sie schenkt sie dir.« – Geschenkte schmecken nicht, gefundene tun's besser, ist auch das Salz schon dabei, gelt?

      Dort steht ein Strauch, der hat sich gestern abends mit einem Kettlein von Tauperlen geschmückt; heute ist der Tau erstarrt und brennt der Pflanze schier das Herze ab.

      Ich habe an einem solchen Nachsommertage einmal eine sehr alte Frau im Walde sitzen gesehen. Die Frau hat einst ein Kind gehabt. Das ist in die Neue Welt gegangen, ins heiße Brasilien, um das Gold zu suchen. Der herbstliche Gesichtskreis ist so grenzenlos klar, daß die Mutter in die ferne Vergangenheit vermag zu schauen, wo der liebe Knabe steht. Sie schaut ihn an, sie lächelt ihm zu, sie schlummert ein. Am andern Morgen sitzt sie noch auf dem Stein und hat einen weißen Mantel um. Der Schnee ist da, der Nachsommer ist vorbei. Und über das Wasser schifft ein Blatt Papier, das zieht gegen die heißen Zonen Südamerikas. Einem sonnenverbrannten Mann gibt es Nachricht vom fernen Daheim: Mutter im Walde gestorben. – Ein kleines Tränlein windet sich mühsam zwischen den Wimpern hervor, die Sonne saugt es rasch auf, und nach wie vor heißt die Losung: Gold! Gold!

      Käme noch ein einziger Brief zurück ins alte Mutterland, er müßte erzählen: der Sohn im Golde erdrückt. –

      Was träume ich hier? Es ist der Weltlauf, der mich nichts angeht. Ich will Frieden haben mitten im stillen Herbsten dieses Waldes.

      Dort oben in der Buchenkrone löset sich ein müdes Blättchen los, sinkt von Ast zu Ast und tänzelt an unendlich zarten schillernden Spinnfäden vorüber und hernieder zu mir auf den kühlen Grund. – Die Menschen in der Ferne, mit denen ich vormaleinst gelebt, was werden sie treiben? Wird der Sohn meiner Herrschaft, der liebe Knabe, ein einziges Mal an mich gedacht haben, und das außerordentliche Mädchen...

      Einsamkeit kann einsam Leid nicht bannen. – Ich muß mich nach Dingen umsehen, die mich zerstreuen und erheben und die mich nicht einseitig werden lassen in meiner Umgebung.

      Ich habe begonnen, Pflanzenkunde zu treiben; ich habe mit meinen Augen aus Büchern herausgelesen, wie die Eriken leben und die Heiderosen und andere; und ich habe mit meinen Augen dieselben Pflanzen betrachtet, stunden- und stundenlang. Und ich habe keine Beziehung gefunden zwischen dem toten Blatt im Buche und dem lebendigen im Walde. Da sagt das Buch von der Gentiane, diese Pflanze gehöre in die fünfte Klasse, unter dieser in die erste Ordnung, komme in den Alpen vor, sei blaublütig, diene zur Medizin. Es spricht von einer Anzahl Staubgefäßen, von Stempel und Fruchtknoten usw. Und das ist der armen Gentiane Tauf- und Familienschein. Oh, wenn so eine Pflanze ihre eigene, mit eitel Ziffern gezeichnete Beschreibung selbst lesen könnte, sie müßte auf der Stelle erfrieren! Das ist ja frostiger als der Reif des Herbstes.

      Das wissen die Waldleute besser. Die Blume lebt und liebt und redet eine wunderbare Sprache. Was wissen die nicht von der Schlüsselblume, vom Frauenschühlein, vom Muttergotteshäuberl, vom Schneeglöckel, vom Vergißmeinnicht für schöne Geschichten! So gaukeln die kleinen Blumenseelen im Gemüte des Älplers umher. – Aber ahnungsvoll zittert die Gentiane, naht ihr ein Mensch; und mehr bangt sie vor dessen leidenschaftglühendem Hauche als vor dem todeskalten Kusse des ersten Schnees.

      So bin ich der nicht Verstehende und Unverstandene. Sinnlos und planlos wirble ich in dem ungeheuren lebendigen Rade der Schöpfung.

      Verstünde ich mich nur erst selbst. Kaum nach dem Fieber der Welt zur Ruhe gekommen und mich des Waldfriedens freuend, drängt es schon wieder, einen Blick in die Ferne zu tun, so weit des Menschen Auge kann reichen. – Dort auf der blauen Waldesschneide möcht' ich stehen und weit hinaus ins Land zu anderen Menschen sehen. Sie sind nicht besser als die Wäldler und wissen auch kaum mehr; jedoch sie streben und ahnen und suchen dich, o Herr!...

      Auf der Himmelsleiter

       Inhaltsverzeichnis

      Eines schönen Herbstmorgens habe ich mich aufgemacht, daß ich den hohen Berg besteige, dessen höchste Spitze der graue Zahn genannt ist. – Bei uns im Winkel herunten ist doch allzuviel Schatten, und da oben steht man im Lichtrunde der weiten Welt. Es ist kein Weg, man muß geradeaus, durch Gestrüppe und Gesträuche und Gerölle und Zirmgefilze.

      Nach Stunden bin ich zu der Miesenbachhütte gekommen. Das junge heitere Paar ist schon davon. Die lebendige Sommerszeit ist vorbei; die Hütte steht in herbstlicher Verlassenheit. Die Fenster, aus denen sonst die Aga nach dem Burschen geguckt, sind mit Balken verlehnt; der Brunnen davor ist verwahrlost und sickert nur mehr, und das Eiszäpfchen am Ende der Rinne wächst der Erde zu. Die Glocke einer Herbstzeitlose wiegt daneben, die läutet der versterbenden Quelle zu ihren letzten Zügen.

      Das Gartenbeet, das die Sennin im Sommer so sorgsam gepflegt hat, auf welchem lieblich die hellen Blüten haben geflammt, wuchert jetzt wild, halbverdorrt, zernichtet. Oh, wie sehnsuchtsvoll wartet im jungen Frühling unser Auge auf die ersten Blumen des Gartens! Mit all unseren Mitteln stehen wir dem Beete bei in seinem Keimen; wie schützen wir es in seinem Grünen und Blühen, und mit welch' stolzer Freude bewundern wir sein hochzeitliches Prangen! – Nun aber beginnt unsere Liebe für den Garten mählich zu erkühlen, wir reichen ihm nicht mehr unsere Hände. Allein prangt er weiter und wird eine Wildnis von unsäglicher Schönheit. Aber umsonst – des Menschen Gemüt ist satt geworden, und der Garten verwuchert und verblaßt – unverstanden und unbeklagt.

      In meinem Gärtlein wachsen brennende Nesseln, und Hummeln summen darin. Ich sollt' wohl irgendwen haben, der es bestellt!... Geht hinweg, ihr bösen Geschichten! Ein Narr könnt' einer werden, wollt' man dran denken ...

      Ich habe mich auf den Kopf des Wassertroges gesetzt und mein Frühstück verzehrt. Das ist ein Stück Brotes aus Roggen- und Hafermehl gewesen, wie es hier allerwärts genossen wird. Das ist ein Essen, wie es – buchstäblich – den Gaumen kitzelt, recht grobkörnig und voll Kleiensplitter. Draußen im Land, wo Weizen wächst, tät' so ein Backwerk nicht schmecken; hier ist es ganz der Gegenstand der Bitte: Gib uns heut' unser täglich Brot! – Gibt aber auch Zeiten in dieser Gegend, in welcher der Herrgott selbst mit dem Haferbrote kargt; da kommt gedörrtes Stroh und Moos unter den Mühlstein. – Mir gesegne Gott das Stück Brot und den Schluck Wasser dazu! Mit dieser Zubereitung, ihr Herrenköche, schmeckt alles gut.

      Nachher heb' ich an, weiter zu steigen. Zuerst bin ich über das Kar hingegangen, aus dessen Mulden überall verwaschene Steine hervorquellen. Dazwischen stehen falbe Federgrasschöpfe und Flechtengefilze. Einige zarte, schneeweiße Blümlein wiegen sich auch und blicken ängstlich um sich, als hätten sie sich gar sehr verirrt in die Felsenöde herauf und möchten gerne wieder zurück. Von dem einst so schönen roten Meere der Alpenrosen stehen die spießigen Struppen des Strauches. Ich steige weiter, umgehe einige Felswände und die Kuppe des Kleinzahn, dann schreite ich einer Kante entlang, die sich gegen den Hauptgebirgsstock hinzieht. Da habe ich die augenblendenden Felder der Gletscher vor mir, glatt, leuchtend wie Elfenbein, sich hinlegend in weiten, sanften Lehnen und Mulden oder in schrundigen, vielgestaltigen Eishängen von Höhe zu Höhe. Dazwischen ragen starre Felstürme auf, und dort in luftiger Ferne über die lichten Gletscher erhebt sich ein dunkelgrauer, scharfzackiger Kegel, weit emporragend über die höchsten Gipfel des Gebirges: mein Ziel, der graue Zahn.

      Ein scharfkalter Luftstrom hat gerieselt von den Gletschern her, und das ganze unmeßbare Himmelsrund ist fast finsterblau gewesen, daß ich über den grauen Zahn herüber jenen Stern hab' erblickt, den wir zu ersten Morgen-