Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

Читать онлайн.
Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



Скачать книгу

      Erschrocken fuhr sie mit der Hand an die Wange. »Nein, nein,« sagte sie kleinmüthig, »kannst sitzen bleiben und trinken, so lange Du willst; will Dir nur die Post bringen, daß wir ausgeraubt sind worden heute Nachmittag. Speck und Fleisch und Leinwand ist weg, und die groß’ Truhen ist erbrochen und Deine neuen Stiefel sind hin.«

      Der Freiwild sprang auf den Tisch und rief: »Ausgeraubt bin ich, Trawieser Rath, ausgeraubt bin ich worden!«

      »Durch das Oberfenster muß er hineingekrochen sein, der Dieb,« fuhr das Weib fort, »man sieht an der Wand die Kratzer von den Schuhnägeln.«

      »Ausgeraubt bin ich worden!« schrie der Freiwild.

      »Es muß wo so ein verhöllt’ Gesindel umstreichen,« sagte jetzt der Stromer Roderich zum Wahnfred gewandt, »alle Augenblicke hört man vom Stehlen und Rauben.«

      »Kunnt’s nicht sein, daß Du den Dieb heute gesehen hättest?« fragte ihn der Wahnfred.

      »Wesweg? Wie meinst das?« entgegnete der Stromer lauernd.

      »Weil Du voreh vom Freiwildhaus herabgekommen bist, da wir uns nachher bei der Branntweinerin getroffen haben.«

      Ein Anderer stellte sich vor den Freiwild und sprach: »Hast denn Du noch Fleisch und Speck im Hause gehabt? Hast nächst’ Wochen, wie wir zu Dir gekommen sind, um Vorrath zu sammeln, nicht gesagt, in Deinem Haus wär’ alles gar geworden und Du thätest selber Hunger leiden? Hörst, Schurkel, Dich soll man peitschen, Du betrügst die Gemein’!«

      »Was, die Gemein’!« zischelte der Freiwild im Lärme dem Sprecher zu, »Du hast Zorn, weil es Dir ist zu Schaden gewesen. Du lieferst nur das Magere ab an die Gemein’. Soll ich’s laut sagen, wo Du die fetten Stücke versteckst?«

      »Sag’s nicht, wir theilen,« raunte Jener dem Freiwild ins Ohr; dieser aber entgegnete:

      »Wir haben schon getheilt, mein Lieber. In der Roßhöhlen, wo Du Deinen Raub zusammenschleppest, habe ich Speck und Fleisch gefunden, das mir heut’ gestohlen worden ist.«

      Jetzt trat ein kleines Männlein vor, der Holzer Stom aus dem Trasankthale; man sah ihn gar nicht, er schlüpfte und rieb sich zwischen den Knochen der Anderen herum, aber man hörte seine schrille, gellende Stimme.

      »Will was reden!« schrie er.

      »Still sein, der Stom will reden,« rief es allerwärts.

      Da stand der Kleine schon auf dem Stuhl und sprach: »Leut’! Wenn es so fort geht in Trawies, so kann’s nicht halten. Alleweil stehlen und rauben thun die Löter! Uns selbst ausplündern, das ist eine Schand’. Daß sich der brauch aber bald aufhören wird, weil wir Keiner mehr was zu stehlen und zu rauben finden werden in der Gemein’, das ist noch eine größere Schand’. Arbeiten!«

      »Arbeiten mögen wir nicht!« schrie Einer entgegen.

      »Hilft auch nichts,« fuhr der Stom fort, »ist kein Segen dabei, der Himmel ist vernagelt. Von draußen herein kriegen wir nichts. Das Thier im Walde ist auch so gescheit und lauft uns nicht mehr über die Granitz herein. Uns selber auffressen?«

      Ein Gebrumm der Mißbilligung.

      »Mit Dir wär’ Einer bald fertig,« verspottete der Stromer den kleinen Redner.

      »Du Schielender Umherlaufer!« schrie der Redner, »ich denk’, mit Dir hab’ ich auch nicht lang’ zu thun. Du füllst Deinen Magen und legst Dich auf die faul’ Haut und machst Deine rostigen Späß’, wenn Einer was Ernsthaftes sagt. Du bist ein nichtsnutziger Schmarotzer, wenn nicht noch was Anderes. Hinaus! hinaus gehst!«

      Mehrere Arme packten den Stromer und zerrten ihn, während dieser fortwährend schrie: »Ist das der Dank! Ist das der Dank dafür, daß ich den Schreiner hab’ gebracht?« zur Thür hinaus. Vielleicht war das sein Glück; Wahnfred hatte den Roderich eben ins Verhör nehmen wollen, was er eigentlich an diesem Nachmittage beim Freiwildhause zu thun gehabt habe, und seine Schuhe untersuchen, ob sie an der Wand Kratzer hinterlassen konnten und ob sie Ähnlichkeit hätten mit jenen, die er bei seinem Vorübergehen zum Fenster hineinschlüpfen gesehen zu haben glaubte.

      Der Holzer Stom fuhr aber in seiner Rede fort: »Weil das Arbeiten nichts nutzt und das Sichselberfressen nichts taugt, alsdann so sage ich: Wenn wir nicht wollen hin sein, so müssen wir uns zusammenthun, daß wir eine Schaar sind und keck hinausfahren zu den Herrenhäusern und zu den Meierhöfen und uns das Recht und die Lebensmittel nehmen, wo wir sie finden.«

      »Eine Räuberbande?« versetzte Wahnfred und hielt sein Haupt hin, als glaube er, nicht recht verstanden zu haben.

      »Von einer Räuberbande habe ich nichts gesagt.« fuhr der Redner fort. »Wenn die Ungarn und die Türken einfallen und Häuser und Schlösser niederbrennen, so heißt man das anders. Wenn die Schweden kommen und die Kaiserlichen selber die Höfe ausplündern, und der Salzburger Bischof Aschermittwoch hält das ganze Jahr, weil er Burgen und Dörfer zu Aschen brennt – wer wird denn da Räuberbande sagen? – Trawies ist auch eigenständig geworden jetzund. Trawies hat streitbare Männer. Und wenn uns die da draußen Krieg erklärt haben, werden wir uns feiglings verkriechen, wie der Luchs ins Loch? Giebt’s nicht Löwen in der Wildniß? Und sehen wir auf unserem alten Kirchenthor nicht den Löwenkopf eingemeißelt? Jetzt wird’s aufkommen, was der Löw’ bedeutet zu Trawies. Männer! Einen Feldzug wollen wir halten!«

      »Feldzug! Landkrieg! Herrenerschlagen!« Diese Worte wurden nun wild durcheinander gerufen; Einzelne griffen schon zu den Knütteln, zu den Messern, als gelte es zur Stunde. Die Weiber sprangen auf und thaten krächzend dar, sie blieben nicht daheim, sie zögen mit Sensen und Streugabeln und Kohlenhaken aus, und gierig zuckten schon ihre scharf benagelten Finger. Der Stom blinzelte und lächelte vergnügt, als er die Wirkung seiner Rede sah.

      »Das geht schon gut,« schmunzelte er, »aber vorerst muß ein Feldherr gewählt werden. Der braucht keine Riese zu sein an Leibesgestalt, aber im Kopf muß er’s haben und heiß muß er dreingehen, recht teufelmäßig scharf und nichts achten – g’rad hinfahren wie ein brüllender Löw’ – ich wollt’ ihm’s schon zeigen!«

      Allsogleich schickten sie sich an zur Wahl. Und wäre es auch nicht für ein Ausbrechen aus Trawies, meinten die besonneneren, ein Oberhaupt müsse für jeden Fall sein. Ob das Oberhaupt an Leibesgestalt groß oder klein sei, an dem sei allerdings nicht viel gelegen; auch das, ob derselbe das Maul gut brauchen könne oder nicht, sei Nebensache; hausgesessen dürfe er aber nicht sein, das Los der freien, gleichen Bürger müsse das seine sein, daß er nicht etwa zurückneige zu altverrosteten Einrichtungen, die das alte Übel wieder herbeiführen könnten. Und einen festen Kopf müsse er haben und eine sichere Hand, sei es mit dem Werkzeug oder sei es mit der Waffe, und den Beweis müsse er geliefert haben, daß ihm die Gemein’ über Alles gehe, auch über sich selber. Es sei nur Einer im Haus, von dem man das sagen könne, auf den ein Vertrau wäre, und der es für Ehren- und Pflichtsache halten müsse, die Wahl anzunehmen.

      Da verneigte sich der kleine Stom und er sagte, es freue ihn, er mache sich eine Ehr’ daraus und halte es für seine vorderste Pflicht, der Gemein’ zu Nutze zu sein.

      Jene aber wiederholten, es gebe nur Einen im Hause, den sie zur Wahl vorschlagen könnten, und das wäre der tapfere Befreier der Gemeinde Trawies aus Knechtsbanden, es wäre der thatkräftige Mann – der Schreiner Wahnfred.

      Jetzt war ein entfesseltes Geschrei:

      »Wahnfred soll unser Oberhaupt sein, unser Feldherr, unser Führer und König!« Die Weiber schrien noch am heftigsten und Jede gab ihm zwei Stimmen, die eine dem Bürger, die andere dem Manne.

      Mittlerweile hatte Wahnfred seine stets wieder aufsteigende Entrüstung nach Kräften niedergekämpft; Unmuth und Zorn erfüllten seine Seele. War das wirklich Trawies? Er war gekommen in der Absicht, das mit kirchlichem Fluche belegte und vom Staate verlassene Völklein zu hüten, zu beruhigen, wieder besseren Bahnen zuzuführen. Und nun sollte er dieser Bande von herabgekommenen rohen Gesellen und Dirnen Oberhaupt sein? Andererseits war es ihm klar, daß er nur auf diesem Wege, auf den sie ihn drängten, Einfluß und Macht über