Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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schien so hell auf den weißen Schrein, der den Glanz wieder zurückstrahlte auf die traurigen Gesichter, so wie der Mond die Nächte unserer Erde beleuchtet.

      Als sie zum Grabe kamen, fuhren die Träger, von einem Geräusche erschrocken, zurück. Ein paar kleine aschgraue Vögel flatterten hervor aus der Grube und ins Gestämme hin; zwei junge Ammern waren es, die in der Erde nach Insekten gesucht haben mochten. Es ist kein Grab so tief, daß in ihm nicht wieder Leben wäre.

      Sie senkten nun den Sarg hinab; sie machten das so rasch als möglich, sie warfen mit den Händen Erde darauf, wühlten mit den Armen Erde hinab, rührten mit der Schaufel Erde hinab, bis vom Sarge das letzte Stückchen Weiß verdeckt war. Sie füllten das Grab mit Erde und legten endlich noch die Rasendecke darüber, und fegten mit Reisig den Staub hinweg, bis alles wieder glatt und grün und kaum die Spur des neuen Grabes zu merken war.

      Wahnfred wendete sich gegen die Übrigen und sagte: »jetzt sind wir fertig, jetzt seid mir bedankt. Ich danke Dir, Bart vom Tärn, für die Freundschaft, die Du meinem Weibe unter Deinem Dach und an Deinem Tisch erwiesen hast; ich danke Dir, Hausfrau, für die Liebe, mit der Du sie gepflegt und getröstet hast; ich danke Euch, Hausgenossen, daß Ihr so gut gegen sie gewesen seid und ihr Liebes gethan habt bis zu dieser Stund’! Ich danke Dir, Gallo, daß Du hinaufgestiegen bist mit dem Licht und sie mir hast helfen begraben. – Und nun,« er ergriff die Hand des Bart, »nun bitte ich Dich, behalte meinen Knaben und sei ihm ein väterlicher Freund, wenn ich nicht bei ihm bin. Ich gehe hinab nach Trawies.«

      Er schüttelte Allen die Hand, er drückte den Knaben an die Brust. Er trat vom Grabe weg und stieg rasch zu Thale.

      Die Leute gingen auseinander, der Feuerwart heimwärts, die Anderen ins leere Haus. Sie blickten traurig auf den Schragen hin, auf welchem die Bahre geruht hatte, auf das Bett, in welchem die Arme monatelang hingesiecht war still und ohne Klagen. Das Haus war weit und öde. Es war ein Werktag und der Acker bedurfte des Pfluges, aber der Bart hatte angeordnet, daß seine Leute an diesem Tage zum stillen Gedenken an die Heimgegangene ruhen sollten.

      Auf dem Grabe war nur ein Mensch zurückgeblieben – Erlefried. Er stand allein da und hatte immer noch das Sträußchen in der Hand, das er seiner Mutter vermeint gehabt. – Warum ließen sie es nicht auf ihre Brust legen? Als ob er nicht ohnehin Herzweh haben werde, weit länger, als bis der Sarg da unten zu Moder sein wird! Und wer hat ihn gefragt, ob er eine Zeit zu erleben wünsche, in welcher er um seine verstorbene Mutter nicht mehr trauern werde!

      So dachte der Knabe; er fühlte etwas wie Zorn gegen den Bart und sein Weib und er wollte nicht in das Haus zurück. Auf diesem Rasen stand er nun und sann nach, wie denn das sein könne, daß seine Muttern da unten liege, fest eingegraben in die feuchte Erden? – Wie er so dastand, wohl zart am Körperbau, aber schlank, und wie sein üppiges Gelocke das aufrechte Haupt umrankend Schatten legte über sein Gesicht, den Ernst desselben noch erhöhend, da war er kein Kind. Die leichtlebige Behendigkeit des Knaben war weg und in seiner Stirn ging’s wie ein neues Ahnen auf – weit vorauseilend den Jahren.

      Dieser eine Winter hatte mehr an ihm gethan als sonst Jahre thun, die im Alltagsschritte an fröhlichen Knaben vorübergehen. Harte Erfahrungen führen den Mann rascherem Altern, und den Knaben rascherer Entwicklung zu. Der Körper bewegt sich nur so lange in jener planlosen, tollenden Ungebundenheit, die wir Kindeslust nennen, als er von dem Geiste noch nicht gebändigt wird. Ist dieser durch Zeit, Zucht oder Erfahrung kräftig genug, den Körper zu beherrschen, ist es der feste Wille, der das Wort führt, dann geht die Mannheit an. Auch bei Mädchen, deren inneres Leben noch weit empfindlicher ist, wirkt heißer Schmerz wie die Gluth der südlichen Zonen – saugt den Thau der Kindheit auf, entwickelt im Herzen frühzeitig die Ahnung der Jungfrau. Erlefried sann und brütete; nun hörte er den Gesang der Vögel.

      Ihr seid lustig, so dachte er, ja, wenn ich wüßte, was ihr euch so viel zu sagen habt! Meine Mutter hat mir wohl erzählt von dem Drachen, dessen Fleisch man berühren muß, um den Gesang der Vögel zu verstehen. Aber der Drache ist ein Ungeheuer und will Jeden, der ihm in die Nähe kommt, verschlingen.

      Gemach, Junge, noch ist jener Drache nicht in deiner Nähe, mit dem die germanische Mythe die sinnliche Leidenschaft gemeint hat, und die Vögelein im Gezweige sind vielleicht verwunschene Engel und erzählen sich, wie sie eben vom Himmel geflogen kämen. Dort war heute ein großes Fest. Eine Dulderin, eine liebgetreue Gattin und Mutter, noch in der Jugend Jahren, angethan mit schneeweißem Kleide, ist in den Himmel gezogen. Alle Glockenblumen haben geläutet im himmlischen Garten und der Erzengel hat die Einziehende erwartet an der goldenen Pforte und hat sie zwischen den Jungfrauen und Blutzeugen hindurch zu Maria der himmlischen Königin geführt. Diese hat sie umhalst, hat sie geküßt, hat ihr einen Kranz von Rosen auf das Haupt gelegt, hat ihr den lieblichsten Platz angewiesen zu ihren Füßen.

      Wo solche Mär im kindlichen Haupt widerspielt, da singen leicht die Vögelein das nämliche Lied. – Ein Rehbock war’s , der ihn aus seinen Träumen weckte. Das Thier stand zwischen dem Gestämme und schaute auf den Knaben, der jetzt doch wieder Kind war.

      »Warum läufst du nicht davon?« rief ihm Erlefried fast drohend zu. »Siehst du nicht, daß ein Mann hier steht, der dich todtschießen könnte?«

      Das Thier trabte mit seinem hochgehobenen Haupte noch einige Schritte näher; wie herausfordernd winkte es mit seinem Geweih.

      »Geh!« sagte der Knabe und hob die Hand, »ich thue dir ja nichts. Heute wollen wir gut sein aufeinander. Siehe, meine Mutter ist gestorben ...«

      Plötzlich wendete sich der Bock und lief durch das knisternde Gestrüppe rasch davon. – Hingegen nahte ein Anderes, welches das Thier verscheucht zu haben schien.

      Sela kam herangeschlichen, das kleine Mädchen, das schöne Mädchen. Sie war aber gar nicht mehr klein, sie war nur schön, und an diesem erkannte sie Erlefried wieder.

      »Erlefried,« rief ihm das Kind entgegen. Er hörte es, er sah sie an, aber er wußte nichts zu antworten.

      »Erlefried,« wiederholte das Mädchen und war schon ganz nahe an ihm. »Du hast einmal gesagt, wenn ich Dich wolle, so soll ich Dich rufen. Nun will ich Dich.«

      »Soll ich Dich über das Wasser tragen? Nun, da bin ich,« sagte Erlefried und sah in das frische Angesicht Sela’s.

      »Ich will Dich nur sehen, Erlefried, dann gehe ich wieder. Ja, ich geh’ schon wieder.«

      »Magst Du Violen?« fragte er und hielt ihr den Strauß der Veilchen hin.

      Sie nahm den Strauß und sah in das Angesicht Erlefried’s und überlegte bei sich, wie sie es nur angehen solle, ihn zu zerstreuen, zu erheitern, heute, da sie seine Mutter begraben hatten.

      »Bist Du also nicht auf dem Hirschen geritten?« fragte sie.

      »Ich auf dem Hirschen? Auf welchem?«

      »Wie Du jetzt so dastehst – möchte ich es glauben. Was Du trotzig geworden bist, Erlefried! Der Hirsch ist tiefnächtig im Kraut gelegen und hat geschlafen. Du schauest ihn zuerst nur so an, gehst um ihn herum, betrachtest sein Geweih. Er legt den Kopf an seinen Leib hin. Die giebst nicht nach, streichelst ihn, setzest Dich auf das Thier. Ja, ja, Erlefried, ich habe alles ganz genau gesehen. Der Hirsch rührt sich gar nicht. Du nimmst ihn beim Geweih und schlägst mit den Fersten an seine Seiten – nachher springt er auf. Springt auf und mit Dir davon. Du lachst, ist ein lustiges Reiten, und der Hirsch hebt zu laufen an hinein in den Wald. Mir wird angst und bang; Du haltest Dich fest ans Geweih und lachst noch immer und rufst um Hilfe. Du reitest durch den ganzen Tärn, Du reitest in die Trasankfelsen hinauf. Ich seh’ alles und hör’ alles und kann mich nicht rühren, und vom Trasank springt der Hirsch über die Wildwiesen ins Trawies herab, just gegen die Wand, wo sie die heilige Dreifaltigkeit ins Wasser geworfen haben – jetzt bin ich Dir auf einmal munter geworden.«

      Wie lebhaft sie das erzählt hatte!

      »Geträumt hast Du von mir?«

      »Ja, in der heutigen Nacht. Jetzt hab’ kein Gut thun mögen, bis ich gesehen hab’, daß Du da bist und alles nicht wahr ist. Ja die Violen nehm’ ich schon, und gieb Achtung, Erlefried und reite auf keinem Hirschen.«