Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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nicht an diesen Augenblick; treten Sie mit mir nebenan ein, ich werde Ihnen die Ereignisse rasch erzählen.

      Politiker: Aber man muß die Polizei verständigen, das geht so nicht.

      Vinzenz: Das ist schon veranlaßt. Auch aus diesem Grund treten wir nebenan ein.

      Musiker als erster, sein Taschentuch vor der Nase und dem Toten bei allen Wendungen den Rücken zudrehend, tritt in das Nebenzimmer, die übrigen folgen. In der Tür Gelehrter: Es ist aber doch eine Rücksichtslosigkeit, solche Unannehmlichkeiten zu bereiten.

      Der junge Mann: Unbildung. Ab.

      Alpha bleibt reglos ins Unbestimmte schauend sitzen, den Rücken zu Bärli.

      Bärli richtet sich erst vorsichtig und um sich blickend, dann rasch auf und zieht seinen Rock aus: Bitte, borgen Sie mir eine Kleiderbürste, Alpha.

      Alpha fährt mit einem unterdrückten Schrei herum.

      Ich habe jetzt genug davon. Er holt sich eine Bürste, reinigt wütend seinen Anzug und zieht den Rock an. Diese Kaffern hatten mir noch gefehlt. Mich zu solch einer lächerlichen Exzentrizität zu verleiten! Machen Sie leise, ich will fort.

      Alpha vor Zorn errötend: Wie? Sie haben auch auf sich nicht wirklich geschossen?

      Bärli: Blind; Phantasieschüsse; wie das Vinzenz nennt, Kolibrischüsse.

      Alpha: Welch unwürdige Komödie! Sie wollten mich dumm machen?!

      Bärli: Ich glaube, ich habe mich selbst dumm benommen. Aber daran sind nur Sie schuld. Ich hätte mich sonst nie von diesem Schurken Vinzenz dazu verleiten lassen. Geben Sie bitte acht: Ich habe ihm für diese Komödie noch einen Scheck versprochen, ich streiche eine Null ab, das genügt für Euch! Hält ihn grob hin. Adieu.

      Alpha: Sie schulden mir Aufklärung! Sie haben sich erlaubt – ich hätte auch vor Schreck sterben können –: Und Sie behaupten, daß Sie das mit Vinzenz abgekartet haben …?

      Bärli: Adieu, adieu. Ich gebe keine Aufklärungen. Ich bin befreit, in der Tat ebenso befreit, wie Sie es vorhin von sich behaupteten.

      Alpha: Aber Sie erlauben sich zu allem noch ein ganz respektloses und ungezogenes Benehmen!!!

      Vinzenz tritt ein, von dem lauten Gespräch beunruhigt.

      Alpha: Vinzenz! Dieser Herr sucht sein unwürdiges Betragen mit Ihnen zu entschuldigen, er behauptet, es mit Ihnen verabredet zu haben?

      Vinzenz: Hören Sie, Alpha, wenn wir schrein, kommen noch mehr Leute; es ist schon jetzt entschieden einer zuviel im Zimmer: seien wir froh, wenn Herr Bärli der sein will. Ich werde Ihnen alles später in Ruhe erklären. Den Scheck betrachtend. Dagegen ist gleich jetzt zu bemerken, daß hier eine Null zu wenig ist.

      Alpha reißt ihm das Papier aus der Hand, zerknüllt es und wirft es gegen Bärli, dem es von der Brust abprallt. Bärli stößt es zornig mit dem Fuß zurück.

      Vinzenz hebt das Papier auf, glättet den Scheck, legt ihn auf den Tisch, stellt Tintenfaß und Stuhl hin und lädt Bärli zum Schreiben ein: Gott, ich habe es wahrhaftig nicht wegen des Geldes getan. Wenn Ihnen aber nachher die Sache nur noch den zehnten Teil von dem wert erscheint, was Sie vorher dafür geben wollten, so beweisen Sie damit gerade, daß Ihre Befreiung ein zehnfach vergrößertes Honorar wert war.

      Bärli sieht ihn an. Allmählich lacht er: Sie haben gar nicht unrecht. Man soll nicht sagen, daß ich keinen Grund hatte, mich zu bedanken. Er setzt sich an den Tisch. Alpha reißt ihm das Tintenfaß weg und wirft die Feder zur Erde.

      Vinzenz beruhigend zu Alpha: Ich habe ihm ja bloß geraten, statt eines wirklichen Doppelmords blind zu schießen.

      Alpha hochmütig ablehnend: Aber warum denn?

      Vinzenz: Nun, er wollte Dir eben einen Denkzettel geben. Solchen unkomplizierten Leuten muß man ihren Willen lassen, da kann man nichts machen. Da ihn Alpha abweist, zu Bärli. Habe ich Ihnen nicht gesagt: Sie sind Kaufmann, nehmen Sie Tod auf Kredit?! Habe ich Ihnen nicht geraten: schießen Sie blind und Sie werden gar kein Bedürfnis mehr haben, wirklich zu schießen? Ich hatte Ihnen versprochen, daß Sie fortab nur noch das Geld ernst nehmen werden!

      Bärli: Und das tue ich auch, seien Sie beruhigt.

      Vinzenz wieder zu Alpha: Er hat alles erlebt, was man daran erleben kann. Die Fortsetzung ist gar nicht von Wert; kopfschüttelnde Menschen, Polizeikommission, Leichenkarren. Es steht wahrhaftig nicht dafür, wirklich zu leben! Damit habe ich doch ganz in Deinem Sinn gesprochen.

      Alpha: Aber das war eine Unverschämtheit!

      Vinzenz: Von wem?

      Alpha: Von Dir!

      Bärli hat inzwischen mit der Füllfeder ein neues Papier ausgestellt: Ich sehe, Alpha, daß ich mich Ihnen gegenüber immerhin eines Unrechts schuldig gemacht habe – Alpha weist ihn kühl ab. Er schiebt den Scheck an die Tischkante; zu Vinzenz. Hier. Zu Alpha. Aber Sie sind jetzt wenigstens sicher vor mir: Man tut nichts zweimal. Steht auf.

      Alpha: Das ist falsch: Man verliebt sich, so oft man will!

      Vinzenz der den Scheck studiert hat: Du hast ihm solchen Eindruck gemacht, daß er geglaubt hat, ohne Seele kann er nicht leben. Ich habe ihm gesagt: ein einzigesmal bei Leidenschaften bloß so tun, und man nimmt sie nie wieder ernst! Das Seelische ist eine Kreditangelegenheit und ruht auf Treu und Glauben. Aber Geldsachen, – sagen Sie: ist der Scheck auch gültig?

      Bärli der Alpha schwankend beobachtet hat, reißt sich los: Ja. Und Gott behüte Sie davor, mir je unter die Hände zu kommen!

      Rasch ab.

      Alpha: Also Du bist ein infamer Intrigant!

      Vinzenz: Aber ich hab doch Dein Leben gerettet, indem ich ihn von seiner Leidenschaft heilte.

      Alpha: Mein Leben! Aber was ist Dich seine Leidenschaft angegangen?!

      Die Freunde stecken die Köpfe durch die Tür.

      Vinzenz: Ja, denken Sie, er ist inzwischen ruhig fortgegangen.

      Alle durcheinander: Wie? Was? Geschmacklos! Scherz? Dumm! Taktlos!

      Vinzenz: Ja, wirklich unbegreiflich geschmacklos. Aber dafür wollen wir ihn auch nicht in die «Gesellschaft zur Bekämpfung unmoralischer Glücksspiele» aufnehmen. Zu Alpha. Ich habe Ihnen mitzuteilen vergessen, teure Freundin, daß unsre Gründung inzwischen endgültig perfekt geworden ist.

      vorhang

      Dritter Akt

      Szene wie im zweiten Akt.

      Alpha in einem bizarren Trauerkleid. Vinzenz in schäbigem Anzug. Packt sehr defekten Besitz in ein fragwürdiges Leinenköfferchen sehr sorgfältig, fast kleinbürgerlich bedachtsam ein.

      Vinzenz: Es war sehr schön! Aber es ist besser, daß ich ausziehe. Deine schönen Geschenke! Es wird mir alles eine liebe Erinnerung sein.

      Alpha zornig vor ihm auf und ab gehend: Sie sagen, daß diese ganze Idee mit der Spielformel ein schamloser Schwindel ist!

      Vinzenz: Laß sie!

      Alpha: Sie haben sich informiert. Sie behaupten, daß Du sie einfach betrogen hast!

      Vinzenz: Nun, ja, natürlich.

      Alpha: Daß Du ihnen einfach hast Geld entlocken wollen!?

      Vinzenz: Das nicht gerade. Aber was wirst Du Dich denn damit sie widerlegen zu wollen.

      Alpha: Aber ich werde das doch nicht auf mir sitzen lassen!

      Vinzenz: Auf Dir?

      Alpha: Daß Du nichts als ein Hochstapler bist!

      Vinzenz: Siehst Du, mir ist das sehr unangenehm. Das sind doch alles Leute mit Beziehungen