Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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macht sich nicht viel aus der Liebe?

      Alpha: Mache ich mir etwas aus seiner Liebe? Weiber. Geschichten!

      Freundin: Ich mache mir auch nichts daraus. Ich liebe natürlich die Menschen. Aber es ist mein Unglück, daß es bei Männern schneller geht.

      Alpha: Er hat aber auch für Musik wirklich nichts übrig.

      Freundin: Die Kunst langweilt ihn überhaupt, hast Du gesagt? Recht hat er! – Du! Ich glaube, ich höre ihn im Vorzimmer!? Sie läuft weg, läßt aber Vinzenz noch eintreten. Ich gebe gar nicht so viel auf Musik, wie Du glaubst. Für einen wirklichen Mann ist sie ganz gewiß nichts und für uns arme Weiber auch nur etwas, weil es so wenig wirkliche Männer gibt! Ich könnte ja meiner Violine manchmal den Hals umdrehn! Küßt Alpha rasch und herausfordernd, dann, nicht ohne mit einem langen, begeisterten Blick Vinzenz zu streifen, ab.

      Alpha: Schade, daß ihr Atem so unangenehm riecht, wenn er heiß wird … Ich bin ja so glücklich, daß Du wieder da bist. Ich habe das alles ja so satt!

      Vinzenz sie betrachtend: Du hast Dich wenig verändert. Der Ausdruck ist heute etwas anders, aber der ist bei Dir ja künstlich. Mein Gott, was warst Du für ein Mädel. Was warst Du für ein Wunderding von Mädel! Wenn ich die Augen schließe, stehst Du auf der Dampferbrücke; der Wind rauft mit Deinen Röcken, die Beine strecken sich und halten den einen Arm hochgestemmt, der Arm hält das kleine weiße Taschentuch über sich, und oben hinaus lodert es wie eine luftfarbene Flamme. Unsre Zuversicht war es, die oben hinausloderte, unsre Liebe und unsre Träume. Du standest wie ein Berserker.

      Alpha: Und Du hättest nach drei Wochen zurückkommen sollen und bist fünfzehn Jahre lang nicht gekommen!

      Vinzenz: Ja, das ist es eben. Man kann es natürlich von zwei Seiten ansehn, von damals und heute. Damals hattest Du sehr große Ideen: Reichtum, Leidenschaft, Berühmtheit, das war eigentlich alles noch nichts! Und als Wirklichkeit hattest Du bloß mich. Du warst so unverdorben wie ein hungriger Magen und hattest einen herrlichen Lebensappetit. Ich aber auch. Also waren wir eigentlich gar nicht wie Mann und Frau, sondern wie zwei Mädchen, die sich nach dem gleichen Mann sehnen!

      Alpha: Aber ich hatte Dich lieb!

      Vinzenz: Ja, das ist es doch: ich hatte Dich auch lieb. Damals auf dem Dampfer, Du warst noch nicht verschwunden, standest noch steil und klein da, beschloß ich schon, unser Versprechen – wie soll ich sagen? – zu lösen. So lieb hatte ich Dich!

      Ich hatte Dich so lieb, daß jeder Strauch, jeder kleine bellende Hund gewissermaßen einen Du-Akzent davon hatte. Du kennst das, Du hattest mich ja auch so lieb. Man ist kein Körper mehr, sondern nur ein Wölkchen in einer klaren Durchlässigkeit, in der die andren Menschen und Dinge auch nur wie Wölkchen sind. Man versteht die Reden der Berge und Täler, des Wassers und der Bäume, weil man zueinander auch nicht mehr mit Worten spricht, sondern nur mit dem Glück des Daseins als zwei kleine nebeneinander geritzte Striche in der Unendlichkeit. Man kann schließlich kein Stücklein Brot mehr essen, sondern kaut daran wie eine Gebetsmühle.

      Ich war damals auf dem Höhepunkt dieses Glücks; damals, als ich abreiste. Da sagte ich mir plötzlich, daß Kathi – damals hast Du ja noch nicht Alpha geheißen – ich sagte mir also, daß man unmöglich Kathi oder Vinzenz heißen und sich dauernd in solchen Zuständen befinden könne.

      Alpha: – Kein Mensch weiß hier, wie ich hieß! Bitte vergiß nicht! –

      Vinzenz: Außer Halm, der sich gerade damals um Dich bewarb. Hatte ich nicht recht? Mag der Teufel wissen, was für Zustände es sind. Aber eines ist sicher: daß man sie in Stein festhalten kann, wie Bernini die vom Pfeil des Himmels getroffene heilige Therese, oder in Versen, aber nicht im Fleisch und Blut. Wo kommt dieses Unirdische hin? Da packte es mich plötzlich: wo das hinkommt, will ich auch hinschaun! Ich bin meiner Liebe nachgereist; im vorhinein sozusagen.

      Alpha: Du hättest den Glauben haben müssen. Sie zieht ihn neben sich.

      Vinzenz abrückend: Meine Mütze recht hoch in die Luft zu werfen? Vielleicht wäre sie dann bis in den Anziehungsbereich des Mondes gedrungen und nie mehr zurückgekommen, und ich hätte ihr nachfliegen müssen?

      Weißt Du auch, Alpha, wer das zum erstenmal sagte? Und erinnerst Du Dich, wann? Zwei Tage damals vor der Reise? Und erinnerst Du Dich, wer die Mütze nicht werfen wollte? Zu welchem Mond ist sie kurz danach geflogen? Wenn ich zurücksinne, ist mir, als ob Du damals schon zwischen mir und dem ehrbaren Himmelskörper des Herrn Apulejus-Halm geschwankt haben müßtest.

      Alpha faßt seine Hand: Du hast zuviel verlangt. – Für damals.

      Vinzenz sich wieder loslösend: Nein, Alpha, Du hast recht gehabt! Siehst Du, schließlich habe ja auch ich später ein oder das andre Mal die Mütze geworfen, und einige Wochen später klatschte eine flatternde Gans zur Erde.

      Mit diesen Sachen muß es schon eine schwer zu verstehende Bewandtnis haben. Und mit niemand vermöchte ich darüber zu sprechen als mit Dir. Wo immer ich später und bei wem immer ich war, hatte ich das Gefühl: darüber sprechen will ich erst mit Dir, die es weiß, wie wir damals waren. Es war mir auf der Wanderschaft: weil wir zugleich den Weg verloren hatten, könnten wir auch nur gemeinsam einen wiederfinden.

      Alpha: Aber heute? Du hast doch gesagt, daß man Deine Rückkehr auch von heute ansehn muß!

      Vinzenz lächelnd: Was habe ich gesagt? Heute? … Ach ja. Ganz recht … Sag einmal, Kathi – er nimmt ihre Hand-, solang man Mädchen ist, das muß doch – muß doch das Leben, und muß die Hoffnung so aufregend ungefähr sein, wie wenn man es hinter einem Fenster von Mattglas sähe? Heute verstehe ich es erst, denn später werden überall die Scheiben eingeschlagen. Scherben, leere Rahmen. Sie an sich ziehend. Ich habe es ja so satt. Und Du – bist auch nicht glücklich …? Nur vor dem – was damals zwischen uns – sein Ende nicht gefunden hat: – liegt noch ein Wunderglas. Das letzte. Laß es uns auch zerbrechen. Sie küssen sich. Umschlungen gegen den Alkoven. Unterwegs Halt auf der Ottomane.

      Alpha besorgt: Du bildest Dir nichts darauf ein, daß ich Dich liebe? Es ist ganz unwichtig.

      Vinzenz: Ein bißchen liebst Du doch wohl diesen Bärli?

      Alpha: Ach was, was ist das?

      Vinzenz: Eben. Gar nichts. Geld ist gar nichts, solange es in Aktien und Unternehmungen und dergleichen wie in Steinkäfigen eingesperrt ist. Ich habe eine wundersame Erfindung. Kein Mensch kennt sie. Dir will ich sie als erstem erzählen. Wir werden viel, viel reicher sein als Bärli. Kannst Du Dir vorstellen, was reich sein heißt?

      Alpha: Nun, was hat Bärli schon Besondres?

      Vinzenz: Gott! er ist ein armer Teufel gegen uns! Er ist wie ein Kellner, der sein Brett mit Gläsern vorsichtig tragen muß; aber wir schmeißen es hin, sobald es uns beliebt, denn wir haben sofort ein neues … Du hast davon gehört, daß es im Glücksspiel Systeme gibt?

      Alpha: Aber Vinzenz, das ist ja doch Unsinn!

      Vinzenz: Natürlich, was Du davon gehört haben kannst, ist Unsinn; es gibt keines von diesen Spielersystemen, das ich nicht im kleinen Finger hätte, ich habe darin viel Erfahrung. Es sind alles dilettantische Versuche, die mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung in Widerspruch stehn. Deshalb sagen auch wir Mathematiker, daß überhaupt ein «System» unmöglich sei. Aber nun gib acht: was ich Dir jetzt sage, weißt Du sicher nicht. Es sind zwei Arbeiten von einem bekannten Gelehrten vorhanden, die sich mit dieser Frage befassen und nachweisen, warum die wirklichen Zahlen der Wiederholungen, wie sie sich aus jedem Versuch ergeben, von der berechenbaren, sogenannten «mathematischen Erwartung» abweichen. Und das tun sie. Es kommt zum Beispiel im Roulette seltener eine lange Serie heraus, als man mathematisch erwarten dürfte. Hast Du davon gehört?

      Alpha wie ein ehrgeiziges Kind: Natürlich; ich habe es nur augenblicklich vergessen.

      Vinzenz: Also das gibt es. Und nun kann man auf Grund dieser Erfahrung die mathematische Berechnung berichtigen, nicht?

      Alpha