Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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Es hat sich ein langwieriger Fachstreit daran geknüpft, der heute noch fortläuft, denn bisher hat nur einer die richtigen Formeln gefunden und der hat sie noch nicht veröffentlicht – Alpha: Du?!

      Vinzenz: Und denkt auch nicht daran, sie preiszugeben!

      Alpha küßt ihn stürmisch: Oh Du! Du! Ich habe es ja immer gewußt! Aber Du wirst mir das noch genau erklären? Ich glaube, ich verstehe es schon, aber wenn es noch schwieriger sein sollte, so werde ich einfach Mathematik studieren. Das ist ja wunderbar, ich werde etwas wissen, wovon selbst mein Universitätsprofessor keine Ahnung hat!

      Vinzenz: Der ist ja doch überhaupt Historiker.

      Alpha: Wovon kein Mann-kein Mann, sagst Du, außer Dir? – eine Ahnung hat!

      Vinzenz: Wir haben etwas viel Wichtigeres zu tun. Du hast einflußreiche Freunde. Mir fehlt bloß ein Anfangskapital.

      Alpha bedenklich: Aber ich habe sie nie um Geld gebeten. Das würden sie nicht gewohnt sein. Das würden sie vielleicht gar nicht tun.

      Vinzenz: Ja, wovon lebst Du denn eigentlich?

      Alpha: Sie geben mir Ratschläge. Tips, weißt Du? Bärli, dann der Nationalrat, die wissen das doch voraus. Dann kaufen und verkaufen sie auch auf meine Rechnung.

      Vinzenz: Und wenn Du Verluste hast –?

      Alpha: Ich habe noch nie verloren.

      Vinzenz: Ach so, dann ist es ja gut. Weißt Du, dann machst einfach Du mit mir das Geschäft und läßt es von ihnen bloß besorgen. Ich gründe die «Gesellschaft zur Verhinderung unmoralischer Glücksspiele», und Du nimmst mir die Aktien ab. Es ist ja nur für einen Augenblick nötig, denn mit der ersten Operation sprenge ich die nächstbeste Spielbank.

      Alpha: Dann hast Du rasend viel Geld, und dann? Was werden wir dann tun? Was machen wir mit dem Geld?

      Vinzenz: Wir werden nie zu Ende kommen mit dem Geldverdienen. Wir werden uns drei Autos kaufen und reisen. Vorn Du und ich. Dann unsre persönliche Bedienung. Dann meinethalben zwei von diesen Aufsichtsräten unsrer Gesellschaft; solange, bis wir sie los sind. Wir werden in Nizza sein, in Spaa, in Monaco, in Ostende, in den Vereinigten Staaten, in Südamerika. Wir lassen uns einen Ozeandampfer baun, der ganz wie ein Schloß eingerichtet ist. Wir reisen mit unsren eigenen Zügen. Wir streun soviel Geld unter die Menge – es kommt uns ja gar nicht darauf an, – bis die Leute vor uns kriechen wie die Reptilien. Überall läuft uns schon unser Ruf voraus! Wenn wir Geld brauchen, saugen wir eine neue Spielbank auf.

      Alpha: Aber wenn keine Spielbank mehr übrig geblieben ist?

      Vinzenz: Dann kehren wir das Prinzip um und gründen selbst eine. Das geht nämlich mit dieser Formel auch. Eine unsprengbare Spielbank. Oder ziehst Du vor, daß ich meine Formel an eine bestehende Bank verkaufe?

      Alpha: Nein, nein!

      Vinzenz: Eben. Wir kehren das Prinzip um, und gründen selbst die Monopolbank. Wir saugen von da an einfach alles Geld der Welt an uns. Weiß Gott, was daraus wird? Das läßt sich einfach nicht absehn. Wir können die innerasiatischen Steppen kaufen, bewässern, und ein Gartenreich dort gründen. Das könnten wir nach Gesetzen regieren, die wir uns seinerzeit ausgedacht haben, damals bevor ich mit dem Dampfer wegfuhr. Du wirst Kaiserin.

      Alpha: Du, das sind jetzt banale Einfälle.

      Vinzenz: Ja, als Gedanken! Cäsar sein zu wollen oder Goethe oder Laotse, das ist eine Banalität. Aber bedenke, wie sich das ändert, wenn man es wirklich ist. Wir können ja mit unsrem Geld in der Politik, in der Kunst, in der Moral, in allen Angelegenheiten des Lebens uns wirklich zu allem erheben lassen, was wir wollen, und vernichten, was uns nicht gefällt. Das läßt sich wirklich nicht ausdenken.

      Alpha mit offenen Augen: Nein, das läßt sich nicht zu Ende denken. Und Deine Formel ist wirklich?

      Vinzenz: Da sieh. Er zieht ein Pack Papiere aus der Tasche.

      Alpha: Differentialquotienten, nicht wahr?

      Vinzenz: Du bist wirklich wunderbar; was Du alles weißt! Partielle. Und Iterationen. Und – Weißt Du, man versteht, daß Bärli aus Liebe zu Dir verrückt geworden ist.

      Alpha: Was, Bärli?

      Vinzenz düster: Schwer nervengestört.

      Alpha ganz schwach, an ihn gelehnt: Es läßt sich nicht ausdenken. Mein ganzes Leben lang habe ich mir auszudenken versucht, was ich machen würde, wenn ich alles machen könnte, was ich will. Du darfst mich nicht wegen der Menschen geringschätzen, die Du bei mir gesehn hast; ich habe es eben nach verschiedenen Seiten versucht, aber ich habe sie nie ernst genommen. Weißt Du, ich glaube, ich bin eigentlich eine Anarchistin: Sie haben nie in mir die Sehnsucht zum Schweigen gebracht, endlich auf meinen richtigen Platz zu kommen! Und nun hältst Du den Arm um meinen Leib. Und hebst mich auf wie der große Zaubervogel, der wiedergekommen ist. Und wir fliegen ganz hoch hinauf.

      Vinzenz: Wohin es uns gefällt-!

      Alpha: Hoch zu der nimmer schweigenden Stimme, die mir zusprach. Aufspringend, wild. Ich glaube es nicht, Vinzenz! Auf ihn sinkend. Mach mit mir, was Du willst …!

      Vinzenz trägt wehmütig, selbst berauscht lächelnd, die ohnmächtig Hingegebene in den Alkoven und zieht die Vorhänge zu.

      Freundin nach einem Augenblick des Spähens und Lauschens sich hereinstehlend, geht an Alphas Schreibtisch und nimmt – Hut am Kopf – Papier und Schreibzeug. Das Geschriebene teils mitlesend, teils laut prüfend: Verzeih mir, Geliebte, daß ich gelauscht habe. Ich bin unglücklich. Nein, ich bin glücklich. Doch bin ich unglücklich. Ich bewundere Dich noch viel mehr, seit er Dich liebt. Aber ich bin unglücklich. Es ist der einzige Mann, den ich je erblickt habe. Du weißt, leider, ich habe viele gesehn. Wenn einer vor mich trat – mit seinen hungrigen, von Sympathie feuchten Augen: .. so rührt es mich immer im Grunde an. Sie weint. Ich weiß nicht mehr, wie ich leben soll. Ich werde ihm mein Vermögen vermachen, um zu Eurem Anfangskapital beizusteuern. Ich könnte auch mit Fürst … sprechen. Oder nehmt mich als Gesellschaftsdame an … Ach, ich weiß, daß man ein solches Wunder nicht teilen kann! Eure vernichtete, tief unglückliche – sei nicht böse, wenn ich tiefunglücklich sage, ich weiß ja, daß ich Eurer nicht wert bin – Es tritt Bärli ein; in Gegensatz zu seinem früheren Verhalten unheimlich ruhig; von oben bis unten schwarz, feierlich verstört, in der Hand eine Browning. Er stößt auf die Freundin, welche sich erhoben hat, und gerät sichtlich aus dem Konzept.

      Bärli heiser: Was wollen Sie da?

      Freundin: Ich? Herr Bärli?

      Bärli: Ja.

      Freundin: Aber!

      Bärli: Fort!

      Freundin: Aber?

      Bärli: Sofort! Er hebt die Pistole gegen die Gelähmte. Sie stören mich!

      Die Freundin flüchtet mit einem fürchterlichen Schrei aus dem Zimmer. Alpha öffnet erstaunt und entrüstet den Vorhang.

      Bärli: Aah! Er verbirgt die Pistole am Rücken.

      Alpha: Aah! Sie haben schon wieder eine Pistole! Vinzenz!!

      Vinzenz schon an der Tür: Ich hole Hilfe! Ich bin gleich wieder da! Er macht das Zeichen der Geistesgestörtheit. Ab.

      Alpha nachrufend: Vinzenz! Vinzenz!

      Bärli treibt Alpha schwarz, schweigend und langsam durch das Zimmer, die Pistole am Rücken. Düster: Machen Sie keinen Lärm, Alpha, es nützt nichts mehr.

      Alpha will zur Tür, er treibt sie wortlos in die entgegengesetzte Ecke, Alpha will zum Fenster, das gleiche. Endlich hält Alpha eingeschüchtert still.

      Alpha: Wa – was wollen Sie?

      Bärli: Sphinx.

      Alpha: Sphinx? Oh Gott, Sie sind krank, Bärli. Lassen