Der Verfall der Ordnung. Dominik A. Vockner

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Название Der Verfall der Ordnung
Автор произведения Dominik A. Vockner
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783944771342



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er es sich selbst eingestand, so gerne er nun noch Argumente für die Menschheit gefunden hätte, so sehr musste er auch erkennen, dass Shjen nicht unrecht hatte. Auch wenn es ihm sehr wohl bewusst war, dass man nicht alle in den selben Topf werfen sollte, vor allem, wenn er nun an seine geliebte Vael dachte, so hatte die Ansicht der finsteren Lady doch zumindest ihre Berechtigung.

      „Wobei Azazel es auch immer sehr gut verstand, den Geist der Menschen zu manipulieren“, fügte nun auf einmal Vael hinzu, die plötzlich hinter ihnen ritt.

      „Den schwachen Geist der unwissenden Menschen...“, korrigierte Shjen und beehrte die Königin nicht mal eines Blickes.

      Unvermittelt musste Vael dabei an den gefallenen Diktator Nathanel denken, dessen Sinne damals auch von Azazel verdorben worden waren. „Ich denke nicht, dass Nathanel unwissend und schwach war...“, murmelte sie.

      „Offenbar zu schwach und zu unwissend für Azazel...“, untermauerte Shjen ihre These. Mit der flachen Hand klopfte sie auf den breiten Hals ihres pechschwarzen Hengstes. Doch just stoppte sie ihre Bewegung. „Hört ihr das auch?“

      Es lag ein Rauschen in der Luft. Links ihres Weges zierte ein verworrenes Wäldchen ihren Pfad. Die meist rötlichen Blätter wackelten im milden Wind. Das Rauschen jedoch schwoll an. „Es kommt näher“, erkannte die Lady, trieb ihr Ross zu einigen Rücktritten, vom Dickicht weg. „Bezieht Stellung“, flüsterte sie. Sofort zog sich Lizsan aus seinem Sattel, geleitete sein Pferd beiseite und zückte seinen Degen.

      Kalef war auch abgestiegen. Mit erhobenem Schild stellte er sich vor die Großkönigin, während das Pony von Tanrel verängstigt schnaubte.

      Angespannt suchten die Handarmbrüste von Shjen ein Ziel im Geäst. Voller Konzentration fuhren sie nach links, nach rechts und zurück. Bis auf das immer lauter werdende Rauschen herrschte nun Ruhe. Keiner wagte es einen Laut von sich zu geben. Äste brachen, Zweige knackten, ein Trommeln schlug ihnen entgegen, gleich einem tiefen, wachsenden Donner.

      Und auch wenn man ihnen prophezeit hätte was nun geschah, hätten sie den Erzähler wohl verspottet, denn diese Realität könnte nicht einmal dem irren Gehirn eines findigen und kreativen Barden entspringen. Das Buschwerk schlug beiseite und offenbarte den Blick auf ein Schauspiel, das die acht Gefährten sich unter keinsten Umständen ausmalen hätten können.

      Erst starrten sie auf mächtige Hufe, die nach den dünnen Unterschenkeln in muskelbepackte Vorderläufe übergingen, um schließlich in breite Schultern zu münden. Die geschwungenen, weißen Hörner der beiden, schwarzen Stiere lenkten von ihren ausdruckslosen, kugelrunden Augäpfeln ab, und von den breiten Nasenlöchern, die fauchend auffächerten. Die kurzen, aber umso kräftigeren Hälse der Bullen senkten sich. Fast hätte Shjen den Abzug gedrückt, fast hätte sie Bolzen in die Schädel der Tiere geschossen.

      Doch da saßen, und das war das wahrlich Unfassbare, zwei riesige Elfen auf den strammen Rücken der mindestens fünf Zentner schweren Rinder, die offenbar keine Unze Fett zu haben schienen, nur Muskeln und Adern, dick wie kleine Äste.

      „Da seid ihr ja“, erklang die liebliche Stimme vom Stier herab, die Indarî gehörte. Shjen verstaute ihre Armbrüste und wirkte als einzige unbeeindruckt.

      „Was bei meinem Barte...“, erstaunte sich Tanrel, ohne seinen Blick von den beiden riesigen Bullen zu lassen. Seine Augäpfel schmerzten schon, denn auch das Zuschlagen seiner Lider verkniff er sich. „Das sind doch die beiden Statuen aus Trubal'Vir ... und sie reiten auf Stieren...“

      „Sehr erfreut Euch wieder zu sehen“, grüßte Lizsan Rûrden, mit verhaltenem Ton, denn auch ihn ließ der Anblick nicht kalt.

      „Wieder...?“, verwunderte sich Großkönigin Vael, und schaute ihren Geliebten kurz an.

      „Ihr habt es also doch aus Sterlingholme geschafft“, änderte Shjen abrupt das Thema.

      „So ist es“, erklärte Ryvân und strich zwischen den Hörnern seines Reittiers über dessen Kopf.

      „Wir haben so lange gebraucht, weil wir noch ein Fortbewegungsmittel besorgt haben“, berichtete Indarî, hämisch grinsend.

      „Unser Weg führt uns nach Yugotan“, gab Shjen preis. „Ihr könnt euch anschließen.“ Die Lady merkte, wie vierzehn Augen vollkommen entgeistert und erschrocken auf ihren Rücken gafften.

      „Ihr kennt diese Wesen?“, brabbelte Kalef.

      „Diese Wesen haben euch Menschen vor den Orks gerettet!“, erboste sich Ryvân. Sofort legte sich die sanfte Hand von Indarî auf seine Schulter.

      „Ganz ruhig. Ryvân“, sprach sie klangvoll, „wir sind nicht feindlich gesinnt und wissen wie man mit Waffen umgeht. Ich denke es steht außer Frage, dass unsere Dienste euch hilfreich sein werden.“

      Shjen nickte, drehte sich ihren sieben Mitreitern zu und kontrollierte deren Gemütszustände. „Ich traf sie in Sterlingholme“, erzählte sie nun, „ich fühle, dass sie für unsere Mission sehr wichtig sein können, nicht nur wegen ihrer Kampfkraft.“

      Zweimal schepperten plötzlich die Hufe von Indarîs Bullen, als sie ihr Tier herumdrehte und sich zu Shjen herabbeugte. „Habt Ihr die Elfensteine geborgen?“

      Die Lady nickte wieder.

      „Sie machen mir trotzdem Angst...“, maulte Tanrel, „diese roten Augen...“, flüsterte er, gerade so, als würde er mit seinem Pony sprechen, und knuddelte verhalten seinen Bierkrug.

      „Schön weiter den Humpen streicheln“, entgegnete Ryvân, der ihn offenbar gehört hatte, „irgendwann kommt vielleicht ein Geist heraus und erfüllt Euch Eure Wünsche.“

      Shjen konnte sich ein kratzendes Auflachen nicht verkneifen, entsann sich dann aber schnell wieder ihrer Aufgabe: „Wir sollten weiter, solange es noch hell ist.“

      Etwas verschroben stimmten die Reisenden ihr zu, ließen es sich aber nicht nehmen, gebührenden Abstand von den beiden Bullen zu halten, während sie nun mit gedämpfter Stimmung weiter nach Nordwesten ritten.

      Bis sich die Sonne senkte, wurden nur mehr wenige Worte gewechselt. Emsig hatten die beiden Milizionäre, die Kalef im Schlepptau hatte, Holzscheite herbeigeschafft, um ein Lagerfeuer zu entfachen.

      Noch war es nicht vollends dunkel. Ein Schleier, als wäre er aus Rubinen, lag auf dem Hügelland. Die kleine Baumgruppe, die sie gefunden hatten, um dort die Nacht zu verbringen, bot ihnen ausreichend Schutz und eine gute Übersicht. Es war praktisch nicht möglich, sich ihnen zu nähern, ohne schon an der Hangkante Aufsehen zu erregen.

      Alle breiteten ihre Decken, ihre Felle und ihre Tücher im Kreis rund um die Feuerstelle aus, sodass sie es warm hatten, wenn der Mond zu regieren beginnen würde.

      Lediglich Shjen und die beiden Elfen des Blutes hatten es sich etwas abseits von der Gruppe gemütlich gemacht. Das lag einerseits daran, dass die beiden großgewachsenen Spitzohren offenbar Unbehagen bei den Reisenden auslösten, andererseits aber daran, dass Shjen ohnehin einige sehr wichtige Information von den beiden haben wollte, die sie mit den anderen nicht unbedingt teilen wollte, da es wohl nur zu Unruhe und Besorgnis geführt hätte.

      „Ihr sagtet mir, Ihr würdet diese fallenden Sterne nicht zum ersten Mal sehen?“, begann die Lady nun. Indarî, die an einen Baum angelehnt saß, rupfte an den Rabenfedern ihrer Pfeile herum, die in dem Köcher klemmten, den sie abgelegt hatte.

      „Worauf wollt Ihr hinaus?“, forderte die Elfe eine genauere Formulierung der Frage, während Ryvân gelangweilt mit seiner Sichel auf einer Baumwurzel herumkratzte.

      „Ich möchte den Grund wissen, weshalb das hier geschehen ist“, fuhr Shjen fort.

      „Den kennen und kannten wir zu keinem Zeitpunkt“, stellte Indarî gleich mal klar. „Wir kämpften vor Tausenden von Jahren bereits gegen Azazel, und sein damaliger Angriff wurde auch von seinen fallenden Sternen eingeleitet.“

      „Wie habt ihr ihn besiegt?“