Название | Montag oder Die Reise nach innen |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847659303 |
»Sie meinen, über Gott und Satan?«
»Und über die Kunst und die Technik, die der Kunst zugrunde liegt.«
»Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich Maler werden möchte. Früher glaubte ich nur, dass ich es werden könnte. Jetzt weiß ich, dass ich es will.«
»Die Fähigkeit, ein guter Maler zu werden, hat viel mit der Kunst des Lebens zu tun. Wenn du die Kunst des Lebens beherrscht, wirst du vielleicht kein Maler mehr werden wollen, es sei denn, deine Kunst kommt aus inneren Quellen, die zutiefst positiv sind, und dient der Entwicklung. Denkst du, dass du für eine solche Aufgabe bereit bist?«
»Ich weiß nicht. Sie glauben, es gibt so etwas wie die Kunst des Lebens?«
»Die meisten ahnen nichts davon. Sie sind so arglos wie Tiere«, sagte Montag und öffnete langsam die Augen, um mich nachdenklich anzusehen. »Gedankenlose, unbewusste Tiere. Was nicht ausschließt, dass sie sich durchaus wohl dabei fühlen.«
»Und die Intellektuellen? Die Wissenschaftler und Künstler?«
»Nun, vielleicht sind sie nicht so klug, wie sie glauben«, erklärte er lächelnd und machte eine vage Handbewegung. »Intelligenz und Klugheit werden leicht verwechselt. Intelligenz setzt einen vielleicht in die Lage, sein Garagentor einzubauen und finanziell einen guten Schnitt zu machen.
Aber ohne Klugheit erleiden wir emotionalen Schiffbruch. Klugheit ist die Fähigkeit, in vollständigem Einklang mit seiner Umgebung zu leben. Das bringt die Widerstände und Gefahren keineswegs zum Verschwinden, ebenso wenig wie den Schmerz. Wir leiden immer noch, aber auf einer verwandelten, höheren Ebene.«
»Sind Sie Experte in solchen Fragen?«
»Sagen wir einmal, ich hatte sehr viel Zeit, darüber nachzudenken.« Montag deutete auf das hellbraune, gebohnerte Parkett. »Sobald dein Bewusstsein in der Lage ist im Glanz die ganze Wahrheit über das Universum zu lesen, wird alles sehr einfach.«
»Sie lesen irgend etwas in den gebohnerten Parkettfliesen?«, fragte ich ungläubig.
»Nicht in so direktem Sinne, wie man eine Zeitung liest. Aber in gewisser Weise eignet sich jedes Objekt dazu, das Bewusstsein auf eine höher Stufe zu heben. Jeder Gegenstand kann als Katalysator dienen. Selbst der Glanz des Parkettbodens. Allerdings gibt es bessere und schlechtere Katalysatoren.«
»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen?«
»Nur, wer reif dafür ist, wird das verstehen. So reif wie eine Frucht, die jeden Moment vom Baum fällt.«
»Und – bin ich reif dazu?«
»Kommt darauf an. Liegt dir irgend etwas daran, das herauszufinden?«
»Ich weiß nicht.«
»Eine gute Antwort.«
Er schloss wieder die Augen und schwieg. Ich saß neben ihm und beobachtete, wie die kalte Wintersonne, die durch die Scheiben des Museums fiel, über seine Gesicht wanderte.
7
Zu dieser Zeit befand sich meine Familie in keiner guten Verfassung. Dornenvogel hatte meinen Vater zu einem gewagten Spekulationsgeschäft überredet. Anstatt komplette Häuser zu bauen, fand er, sei das Klima jetzt günstig für Betongerippe.
Verkaufen wir der Dritten Welt doch einfach vorgefertigte Elemente, aus denen sich komplette Betongerüste von Häusern herstellen lassen, alles nach Schema f. Danach müssen sie diese Gerüste nur noch mit Mauerwerk oder Platten verbinden, Platten aus Lehm oder Kuhdung.
Wenn nichts anderes da ist, auch aus Wellblech, Pappe oder Bastmatten. Die Betongerippe werden von eingelassenen Kunststoffverbindungen zusammengehalten, ohne jede Schweißnaht, ohne Mörtel. Klick – und fertig. Was halten Sie von der Idee, Herzbaum?
Und mein Vater, dieser Oberdiot, murmelt tatsächlich: »Hört sich gut an, klingt genial.«
Er glaubte Dornenvogel, einem von der amerikanischen Steuerfahndung gejagten Betrüger, dass kaum jemand in der Dritten Welt fähig sei, Pfeiler aus anständig geflochtenem Stahlbeton auf ein Fundament aus ebenso stabilem Beton zu setzen und daraus ein ordentliches Hochhaus zu bauen.
Er hatte bei einem Urlaub in Hammamet gesehen, wie schief Fellachen schon eine einfache Mauer hochzogen und war zu der Schlussfolgerung gelangt, sie seien den zivilisierten Ländern hoffnungslos unterlegen. Er hätte nur irgendeinen beliebigen Reisekatalog oder ein Lexikon aufschlagen müssen, um zu entdecken, dass man überall auf der Welt genauso gute Hochhäuser baute wie hier.
Aber er hatte sein Bewusstsein vor dieser Erkenntnis verschlossen – er wollte es vor der Realität verschließen, weil die Aussicht auf eine unermessliche Gewinnquelle ihm ein genauso selig einlullendes Gefühl verschaffte wie der süße Schnuller dem Säugling.
Dornenvogel beauftragte – mit dem Kapital meines Oberhirten, womit sonst? – eine nigerianische Firma, die augenblicklich die Produktion der Bauelemente begann, als habe sie die Konstruktionszeichnungen schon fertig in den Schubladen gehabt. Dornenvogels Kompagnon war ein Fabrikant namens Halleluja Dumbo vom Stamm der Tschibutis, der Beziehungen zum Bauministerium besaß.
Mein Vater verlor innerhalb eines dreiviertel Jahres die Hälfte seines Vermögen. Das traf ihn härter als jeder krebsig entartete »Granatapfel«. Von da an hatte er so gut wie überhaupt keinen Stuhlgang mehr – jedenfalls, wenn man seinem allmorgendlichen Gejammer durch die Badezimmertür glauben durfte.
Und meine Mutter entdeckte inzwischen ihre Liebe zu einem Schüler der zehnten Klasse unseres Gymnasiums. Er sah drei Jahre älter aus, hatte so strohblondes Haar wie die Mädchen in den Blondinenwitzen und einen Körper, der durch irgendein neues amerikanisches Bodybuilder-Präparat aufgeschwemmt war. Es ließ die Muskeln quasi über Nacht wachsen, ehe man überhaupt eine Hantel angerührt hatte.
Sie holte Tarzan jeden Tag von der Schule ab, und natürlich setzte sie alles daran, dabei auf gar keinem Fall ihrem Sohn über den Weg zu laufen. Deshalb hatte ihr minderjähriger Liebhaber sich unter fadenscheinigem Vorwand (Platzangst auf dem Schulhof) vom Hausmeister den Schlüssel für den Hinterausgang besorgt. Wir werden nicht rot, weil wir etwas getan haben, dessen wir uns schämen müssten, sondern weil wir dabei ertappt worden sind.
Ich hatte schon genug mit mir selbst zu tun, also beschloss ich, ihre Liebschaft nicht weiter zu verfolgen und mich einfach an den Gedanken zu gewöhnen, dass manche Frauen kurz vor dem Ende ihrer Gebärfähigkeit noch einmal die Liebe entdecken.
Alexander Montag lud mich an diesem Abend zu sich nach Hause ein. Aus einem Grund, den ich mir nicht erklären konnte, war ich ungewöhnlich nervös, aber auch begierig, nun endlich seine Wohnung in der scheußliche alten Mietskaserne kennenzulernen, nachdem ich ihm so oft gefolgt war.
Vielleicht erwartete ich dort irgendein Geheimnis zu entdecken, Zimmer voller okkulter Gegenstände, in denen schwarze Messen abgehalten wurden und halbnackte Hexen tanzten, wie auf den Bildern Hieronymus Boschs. Aber der größte Teil der Wände war mit Büchern bedeckt. Die Regale reichten bis zu den kunstvoll geschwungenen Deckenornamenten. Es gab nur einen kurzen Korridor. Man ging durch breite Türbögen von einem Raum zum anderen, so dass der Eindruck entstand, es handele sich um eine verzweigte alte Bibliothek.
»Lieber Himmel«, sagte ich. »Haben Sie das etwa alles gelesen?«
»Ich bin seit meiner Kindheit ein besessener Leser.«
»Diese alten Bücher sind sicher sehr wertvoll? Aber Sie arbeiten trotzdem im Museum?«
»Oh, ich bin nicht nur wegen des Verdienstes dort.«
»Finden Sie es nicht langweilig, auf dem Stuhl zu sitzen und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht?«
»Nein«, sagte er lächelnd. »Es ist spannender als ein Film. Komm, lass uns einen Tee trinken, Marc. Dann erzähle ich dir, auf welche unterhaltsame Art