Die Drachenprinzessin, Band 2. Ambros Chander

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Название Die Drachenprinzessin, Band 2
Автор произведения Ambros Chander
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737568746



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ruhig. Vor ihr stand ihr Therapeut und zugleich der Mann aus ihrem Traum, dem die Frau das kleine Bündel entgegengestreckt hatte.

       Dich!

      Emma warf dem Drachen einen resignierten Blick zu und schüttelte den Kopf. Und wieder …

       Tut mir leid!

      Sie sah dem Drachen kurz und ruhig in die Augen und ein Erkennen überkam sie. Emma seufzte und sah dann wieder zu dem Mann mit dem schlohweißen Haar zurück, der genauso bewegungslos dastand wie in ihrem Traum. Er hatte darin keine Anstalten gemacht hatte, das Bündel

      …sie, korrigierte sie sich nun selbst, entgegenzunehmen.

      Sie wusste, dass dies Wirklichkeit war, hatte es in ihrem Traum mit erschreckender Klarheit gewusst.

      »Mein Name ist Vásíphel«, sagte er nun. Seine Stimme war wie das Rascheln des Laubes im Wald, wenn der Wind wie ein Flüstern durch die Bäume weht. »Setz dich bitte!«

      Emma ging zu dem Lager, auf dem sie eben noch gelegen hatte, und ließ sich darauf nieder. Alle Anspannung schien mit einem Mal von ihr gewichen zu sein und die eben noch empfundene Wut und Verwirrung waren von einer inneren Ruhe hinweggespült worden. Emma hatte das Gefühl, dass dies nicht von ungefähr passierte, sondern dieser Mann dafür verantwortlich war.

      Sie saß da, ließ die Schultern hängen und lauschte dem, was er ihr nun erzählte. Er begann seine Geschichte mit einem Königspaar, das eine Tochter hatte, Aemiliana. Ihr Glück war perfekt, doch eines Tages starb die Königin völlig unerwartet.

      Die genauen Umstände und die Rolle, die er selbst darin gespielt hatte, verschwieg Vásíphel. Er war noch nicht bereit, sich dem zu stellen, zumindest nicht ihr gegenüber.

      Er fuhr fort, die Geschichte von Aemiliana zu erzählen. Davon, wie der König sich eine neue Frau nahm und wie diese ihren Mann so manipulierte, dass er seine eigene Tochter töten lassen wollte. Ein wehrloses Kleinkind von gerade mal einem Jahr. Doch dieses Kind hatte Glück, denn es hatte einen persönlichen Schutzengel. Seine Amme Catríona, die ehemalige Zofe der ersten Königin. Catríona wollte das Kind in Sicherheit bringen und lief mit ihm davon. Doch die neue Königin, Morla, schickte ihre Schergen hinter ihnen her, um ihren bösartigen Plan zu Ende zu bringen.

      »Sie rannte durch einen Wald, der immer dichter wurde«, murmelte Emma leise vor sich hin, während sie zu Boden starrte. Ihr Traum lief noch einmal vor ihrem geistigen Auge ab. »Und dann traf sie …« Emma hob den Kopf und sah Vásíphel an, der sie anlächelte. »Mich«, beendete er ihren Satz. »Und bat mich um Hilfe.« »Aber du hast ihr nicht geholfen«, sagte Emma. Es war kein Vorwurf, nur das nüchterne Benennen einer Tatsache.

      Vásíphel sah sie unverwandt an, noch immer dasselbe Lächeln auf dem Gesicht, das zuvor auf Emma so beruhigend gewirkt hatte. »Habe ich nicht?«

      Er warf die Frage in den Raum und die Erkenntnis traf Emma blendend hell wie ein Blitz. »Das Licht!«, sagte sie.

      Vásíphel nickte nur. »Das Licht öffnete ein Tor in eine andere Welt, aus der du nun zurückgekehrt bist, Aemiliana.« Seine Augen blickten sie freundlich an und Emma hielt seinem Blick stand. Sie wusste, worauf er hinauswollte. Und so unwirklich, so unglaublich es sich auch anhörte, tief in ihrem Innern fühlte sie doch, dass er die Wahrheit sagte.

      Sie war Aemiliana!

      »Ich wusste, dass Morla nicht aufhören würde, nach dir zu suchen«, fuhr Vásíphel fort. »Auch, dass sie dich finden würde, wenn du in dieser Welt bleiben würdest. Also schickte ich dich fort, zusammen mit deiner Amme. Damit du leben und erwachsen werden konntest, bis du schließlich zurückkehren und die Prophezeiung erfüllen würdest.« »Welche Prophezeiung?«, fragte Emma. Vásíphel setzte die Geschichte fort und erzählte, wie Morla in all den darauf folgenden Jahren Angst und Schrecken verbreitet und den Tod über das Land gebracht hatte. Er erzählte Emma von der Prophezeiung der Elfen, die gewoben worden war, lange bevor Morla an die Macht kam und auch lange bevor Aemiliana das Licht der Welt erblickte.

       Die rechtmäßige Erbin des Drachenthrons, Sie kehrt schon bald zurück. Sie floh in die andre Welt davon. Doch getrübt, so ist ihr Blick. Sie weiß nichts von ihrem wahren Ich, Hat sich auf ihr neues Leben eingestellt. Doch fühlt sie so einsam sich, In der für sie so fremden Welt. Der Wolf wird sich mit dem Drachen paaren, Und bricht damit den Bann. Das bringt Frieden nach all den Jahren. Wenn sie ihn denn lieben kann. Doch ist der Wolf in die andre Welt gereist, So lausche still und gib gut Acht, Denn alles verlangt doch seinen Preis. Mit unaufhaltsam großer Macht. Für den Tod ein Leben, Damit bleibt das Gleichgewicht. Einer muss es geben, Das verhindern lässt sich nicht!

      Er ließ die alten Worte wirken und beobachtete seine Tochter genau. Dann führte er die Geschichte zu Ende und offenbarte ihr, dass sie dazu auserkoren sei, das Land von Morlas Schreckensherrschaft zu befreien und wieder Frieden nach Laingladhdôr zu bringen.

      Doch das war zu viel für Emma. Ihr schwirrte der Kopf von alldem. Sie musste hier raus. Als sie aufstand, war sie äußerlich ruhig, doch in ihrem Innern wütete ein Orkan. »Ihr irrt euch«, sagte sie nur. »Ich bin nicht die, für die ihr mich haltet.« Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen. »Aemiliana!«, rief Meridiana und wollte sie aufhalten. »Nicht«, warf Vásíphel ein. »Lass sie gehen.« »Aber sie muss doch …«

      »Gar nichts muss ich!« Scharf klangen die Worte der Frau, die bis vor kurzem noch Meridianas Freundin gewesen war und von der so viel abhing. »Und ich heiße Emma, nicht Aemiliana!« Sie drehte sich um und rannte aus dem Raum, die Stufen hinunter. Sie bemerkte nichts von der Idylle und Zauberhaftigkeit ihrer Umgebung. Nahm nicht wahr, dass sie sich im Innern eines riesigen Baumes den Weg nach unten bahnte und auch nicht, wie friedlich und ruhig alles um sie herum war. Denn sie war alles andere als das. Sie war aufgewühlt, durcheinander und konnte nicht begreifen, was hier gerade passierte. Mit ihr passierte. Und das machte ihr Angst. Eine Angst, die ihre eisigen Klauen in sie schlug und sie dazu brachte davonzurennen.

      Ja, davonrennen, dachte sie. Das kannst du wirklich gut.

      Doch sie rannte weiter, von ihrer Furcht getrieben, bis sie schließlich nicht mehr konnte. Erschöpft hielt sie an und stützte sich an einem Baum ab. Sie rang nach Atem, als sie das Plätschern von Wasser vernahm. Sie lauschte dem Geräusch und nahm noch etwas anderes wahr. Stimmen, die sie flüsternd zu rufen schienen. Sie lauschte weiter und merkte kaum, dass sie sich bewegte. Sie ging vorwärts und setzte einen Fuß vor den anderen, bis sie schließlich eine kleine Lichtung erreichte. Magisch angezogen, steuerte sie darauf zu und blieb vor einer Felsformation stehen. In einem natürlich entstandenen Becken sammelte sich das Wasser einer Quelle, die weiter oben im Fels entsprang. Oben auf dem Felsen stand eine riesige Esche, deren Äste sich über das ganze Land auszubreiten schienen. Sie kannte diesen Ort, hatte ihn schon einmal gesehen. In einem Traum. Die Wasseroberfläche hatte ihr in einem Bild gezeigt, wie sie durch ihren Spiegel in diese Welt ging. Genau so, wie sie es am Ende auch getan hatte.

      Aemiliana schloss die Augen und lauschte den Geräuschen um sich herum. Dem Plätschern der Quelle und dem Flüstern im Wind. Doch jetzt war da noch etwas anderes. Ein leises, monotones Surren. Sie öffnete ihre Augen wieder und versuchte das Geräusch zu lokalisieren. Sie blickte am Felsen hinauf zu der riesigen Esche und sah dort drei Frauen in langen, dunklen Kapuzenumhängen. Die Frau links hielt eine Waagschale, die sich ungleich neigte. Die Frau auf der rechten Seite saß an einem Spinnrad, mit dem sie weiße Fäden spann, die wie Nebel in alle Winde verstreut wurden. Von ihr kam das leise Surren, das Aemiliana gehört hatte. Doch die Frau in der Mitte war es, die sie in ihren Bann zog. Sie trug einen mit schwachroten Zeichen verzierten Umhang, dessen Kapuze sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Ihre linke Hand hielt sie mit der Innenfläche nach oben. Darüber schwebten in einem Halbkreis sieben kleine ovale Steine. Nur schwach konnte Aemiliana erkennen, dass auf ihnen etwas abgebildet war. Abwechselnd traten alle sieben Steine in die Mitte des Halbkreises, einer nach dem anderen. Parallel dazu zeichneten sich auf dem Umhang der Frau leuchtende Zeichen in feurigem Rot ab. Zu jedem Zeichen sprach sie ein Wort. Immer nur eines, aber alle hörten sich für Aemiliana seltsam an.