Название | Am Rande. Eine Bemerkung |
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Автор произведения | Anna Lohg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742722935 |
Es war noch der Traum der Aufklärung, dass die allgemeine Schulbildung den Menschen an sich von seinen Fesseln befreien werde. Lesen, Schreiben, Rechnen würde unweigerlich die Vernunft erwecken, welche dann das Menschengeschlecht erhelle und zur Vollendung geleite. Das ist inzwischen kalter Kaffee, wahlweise echter Käse, denn bedingungslose Bildung für alle gilt heutzutage als soziale Romantik, gleichsam damit erscheint die Aufklärung als sentimentale Verklärung. Dies verdankt sich allerdings nicht der Einsicht, dass die Vernunft absolut überbewertet wird und die Vollendung des Menschen bloß den besten aller Affen zeitigen würde. Gleichwohl wurden die Ideale der Aufklärung sowieso nie wirklich ausprobiert, vielmehr verdaut, um die Vernunft sodann als ökonomische Rationalität wieder auszuscheiden. Nunmehr, quasi im Zeitalter der Posterhellung, wird einfach fröhlich Alles auf eine mögliche Ausbeute abgeklopft, selbst Utopien müssen profitabel sein, weswegen es keine mehr gibt. Daher erscheint die Gesellschaft endlich vollkommen, wenn mit dem Glück der Wenigen die Glückseligkeit aller vollbracht sei und mit Papst und demokratischem Kommerz nichts mehr zu wünschen übrig bliebe.
Wohlstand und Bildung für alle gelten somit als historisch überwunden, Forderungen nach Gleichheit, Gemeinwohl, Solidarität wirken mittlerweile kleinkariert. Nach dem Diktat der Rentabilität führen solcherlei Gelüste zu schwindenden Mitteln, mithin schnurstracks in die Misere. Das gute Leben kann es schlicht nicht für alle geben, weil es sich nicht rechnet, basta, siehe ein Jeder zu, wo er bleibt. Nur Leistung und Effizienz im Wettbewerb würden sich lohnen und das, koste es, was es wolle. In diesem Sinne wird voll auf die Innovationen zukünftiger Generationen vertraut, welche gestärkt und gestählt fraglos technische Wunder vollbringen werden und müssen, wie das Klima kontrollieren, Radioaktivität entschärfen, verseuchte Böden entgiften, Trinkwasser recyceln, Luft erneuern, Rohstoffe herstellen, ganz neue Arten im Labor produzieren, reinste Natur im Plastik entdecken und vieles andere mehr, nur an der wunderbaren Gesellschaft, die wir ihnen hinterlassen, werden sie rein gar nichts mehr verbessern brauchen.
Und so gesehen kann ich mir eben ein Ei pellen, weil nämlich mein Kopf mit Bildungsschrott zugemüllt ist. Befleißigte Betrachtungen über die Gesellschaft sind längst zum wertlosen Zeug erklärt, soziologische Untersuchungen, historische Analysen, philosophische Beratungen braucht heute niemand mehr. Außer noch als Exzellenz poliert, da könnte ich mich als bezahlte Soziologin im schwarzen Rollkragen in einen beigen Sessel setzen und auf Nachfrage ernsthaft antworten: "Ich bin eine Intellektuelle." Yeah, boa, ey. "Als Vertreterin des Sektionalismus nach Claude Debutant, sage ich Ihnen, die Gesellschaft leidet massiv unter Ihrer Friktionalität." Dann wüsste ich sehr genau, was ich damit meine, könnte es nur nicht so gut erklären. Neulich mal, als das Telefon klingelte, da stand ich ganz kurz davor, in die Nähe dieser Exzellenzhaftigkeit zu geraten. Schneller als ich für möglich hielt, hätte ich mich dafür poliert, damit alle anderen matt auf der Strecke bleiben, und wenn nötig irgendwas von Friktionalität gefaselt. Aber alles in allem war es nur ein versehntlicher Moment der Unaufmerksamkeit.
Da ruft doch tatsächlich mein ehemaliger Professor an, Jahre nach meiner letzten Prüfung und bietet mir einen Job an. All diese Jahre hatte er mit befristeten Stellen an der Universität zugebracht und auf eine Anstellung als ordentlicher Professor gehofft, doch mit Verweis auf stets leere Kassen werden selbst gute Lehrer nicht gebraucht. Immerhin sei er durch Beziehungen kürzlich an einem kleinen soziologischen Institut untergekommen, sagt er mir am Telefon. Jetzt hätte er Fördergelder eingetrieben und könne damit ein paar Stellen schaffen, die er nun mit seinen besten Schülern besetzen wolle. Die Besten sind wohlgemerkt immer jene, die sich mit einem Professor oder sonst wem zumindest meistens einverstanden zeigen, eben eine erlesene Runde von Gleichgesinnten.
"Das klingt nach Vetternwirtschaft.", meine ich.
"Netzwerk.", nennt er das.
Ob ich Interesse an seinem Angebot hätte, fragt er, als wolle er einen Witz machen, aber er weiß ja nicht, dass ich mich von einem miniaturisiertem Job zum nächsten hangle. Nachdem er aus mir einen Doktor der Sozialwissenschaften gemacht hat, denkt er zwangsläufig, aus mir wäre etwas anderes geworden, als eine empörte Aushilfe. Trau mich gar nicht, ihm das zu sagen, keine Ahnung, vermutlich ist es mir peinlich. Bemüht ungerührt erkläre ich ihm, ich würde so dies und das machen, nichts wichtiges eigentlich, klar hätte ich Zeit für ein ganz zwangloses Mittagessen. Es sollte ein ganz lockeres Vorstellungsgespräch werden, zwischen Pizza und Pasta oder was das Budget sonst hergibt, mit seinen Kollegen vom Institut, bei denen er einen schweren Stand hätte. Ein Plausch über den Ernst der Zukunft in verkrampfter Entspannung, nichts wichtiges eigentlich, kein Problem, eine einfache Sache, eine Formalität.
Nach dem Telefonat irrte ich eine Weile im Höhenflug. Völlig abgehoben, vermeinte ich, wieder wer zu sein oder endgültig wer zu werden, auf jeden Fall irgendwie irgendwer ging ich auch aufrechter. Mein Leben bekäme endlich einen ökonomischen Sinn, scheint dies wie die einzige Berechtigung des Daseins, wird doch alles andere als kosmische Platzverschwendung abgetan. Und obendrein, wenn der Plan des Professors aufginge, dann könnten wir, er und seine gleichgesinnten Schüler, schon bald das kleine Institut übernehmen, sowas passiert nämlich mit Vettern im Netzwerk. Mit unseren Theorien, die meist reine Anschauungen sind, könnten wir im Konzert der Weltverbesserer mitspielen, jene sind meist trunken von sich selbst überzeugt, als hätten sie ein gefährliches Rauschmittel intus, fühlen sie sich mit vernebeltem Verstand unverwundbar und überlegen, glauben sogar, das schiere Glück sei ihr eigener Verdienst. Noch während ich so als Exzellenz aufgemotzt durch meinen traumhaften Höhenflug taumelte, fiel mir unverhofft dieser Nebensatz wieder ein, über die Kollegen, bei denen der werte Professor einen schweren Stand hätte. Daraus folgte eine simple Vorhersage, so leicht wie Salz in Wasser auflösen, denn diese Kollegen würden in dem Netzwerk sogleich die Vetternwirtschaft erkennen, sie konnten also gar nicht umhin, als mich geradewegs abzulehnen. Mitnichten würden sie sich das Institut kapern lassen, denn auch sie brauchen es, um mit ihren Anschauungen ernst genommen zu werden. Doch weil die Zukunft angeblich Überraschungen bereit hält, bin ich mitten in die Vorhersage gelaufen, bei der wird dann bei Pizza und Pasta saßen und die Kollegen mir deutlich ihre abwartende Zurückweisung zeigten. Eine ganz klare Sache, eigentlich, nichts wichtiges.
Aber, was soll ich sagen? Eine Absage habe ich bislang nicht bekommen, sehr geehrter Herr Professor, lieber Max. Wie lange ist das jetzt her? Du hast Dich nicht mehr gemeldet und das wundert mich, gelinde ausgedrückt. Sicher, auch ich hätte längst anrufen können, wir hätten höflich ein paar Worte gewechselt und die Sache damit aus der Welt geschafft. Wie zwei Erwachsene hätten wir diese Absage ausgeräumt. So steht das Unausgesprochene noch immer im Raum, mir merkwürdig im Weg, während Dir die Angelegenheit vermutlich zwischen Stapeln an zu bearbeitenden Papieren verloren gegangen ist. Irgendwo zwischen den Zeilen bin ich Dir entfallen.
Es war nett von Dir, mag auch nett nicht das richtige Wort sein, mich diese Ewigkeit nach meiner Prüfung anzurufen, um mir eine Stelle anzubieten, es wenigstens zu versuchen. Dein Anruf versetzte mich eine kurze Weile in Hochstimmung, diese Aussicht auf eine Stelle hinter Büchern, das ist mir immer noch das friedlichste Versteck der Welt. An der Universität konnte ich dieses Getöse vom erklärten Krieg um das beste Produkt noch weitestgehend überhören, zumindest glauben, es hätte nichts mit mir zu tun. Das war mehr als naiv, denn auch im Elfenbeinturm geht es darum, sich selbst als Marke zu begreifen und Forschung als Marketingstrategie mit patentierbarer Erkenntnis. Das Überleben der Gattung scheint von frisierten Quartalsbilanzen abhängig, weswegen Innovation zum Erfordernis wird und nur jene Fragen erlaubt sind, die einen beträchtlichen Gewinn versprechen. So war es vermutlich auch nicht die Neugier, welche den ersten Menschen vom Baum gelockt hat, sondern seine Gier.
Bei diesem tierischen Spiel wollte ich nicht mitmachen, dafür war ich mir viel zu schön, drauf geschissen, auf den Abschluss, all die bunten Titel, mir ist es nämlich scheißegal, wer das größte Geweih hat. Mich interessieren andere Sachen, also verließ ich eilig die Universität, wunder wer weiß, was ich glaubte zu finden. Aber in all meiner schönen Pracht und eiteln Verweigerung musste auch ich von irgendwas leben, so habe ich mich kleinlaut ein ums andere Mal beworben, um irgendeinen verlorenen Posten im akademischen Mittelbau, schließlich habe ich sonst nichts gelernt. Natürlich sollte ich