Название | Am Rande. Eine Bemerkung |
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Автор произведения | Anna Lohg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742722935 |
"Sie sind ja schon wieder hier.", es spricht das blanke Entsetzen aus dem, der für meinen Fall zuständig gemacht wurde, während ich vorerst mit den Schultern zucke. "Sie hätten längst eine geeignete Arbeit finden müssen!"
Wie ein Kindermärchen kommt es daher: das Elend der Knechtschaft habe in eine prächtige Zukunft geführt. Auf dem leuchtenden Pfad der industriellen Massenproduktion seien wir, mein Fallmanager und ich, voran geschritten in die gegenwärtige Herrlichkeit. Heute verrichten Maschinen rund um die Uhr im Akkord die harte Arbeit. Mit monotonen Bewegungen stellen sie Wohlstand her, wir sitzen daneben und gucken zu. Damit sei das Joch der Industriegesellschaft überwunden und selbige in eine gemütliche Dienstleistungsgesellschaft überführt, lebe es sich nebenbei in einer Wissensgesellschaft, doch ich weiß nicht so ganz genau wovon. Als könne Wissen zur industriell produzierten Massenware werden, die sich verpacken, vermarkten, verkaufen ließe, am Ende hergestellt von Maschinen rund um die Uhr im Akkord oder mal wieder von den Knechten.
"Wenn sie ständig alles in Frage stellen, kommen sie nicht weiter.", will er mir helfen. "Sie müssen sich den Spielregeln anpassen."
Mensch ärgere dich nicht, es ist doch bloß ein Spiel: das Spielfeld ist der Markt, die Mitspieler sind allesamt rationale Akteure, Humankapital der Einsatz und gespielt wird nach der etwas wirren Regel, mit der größt möglichen Gier im Besonderen den Nutzen im Allgemeinen zu maximieren. Die Gier ist in diesem Spiel sowas wie der Joker, Egoismus, Überheblichkeit, Selbstgefälligkeit, Missgunst ein gutes Blatt. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Knaller, gar das tollste Spiel, Spaß macht es auch keinen, aber darauf kommt es nun wirklich nicht an, denn es geht einzig und allein ums gewinnen.
"Sie müssen mitspielen, sonst haben sie verloren.", sagt er sanft. "Es kostet sie doch nichts, wenn sie sich ein wenig besser präsentieren!"
In diesem Spiel bekommt durchweg alles ein Preisschild verpasst und wird umgehend zur Ware gemacht. Damit alles wächst, muss ständig neue Ware her, beliebig, austauschbar und flugs nicht mehr zu gebrauchen. Diesem Wahn verfallen, gilt es den eigenen Wert zu steigern, dazu wird der Körper optimiert, mit Silikon aufgepolstert, schließlich gestrafft, gezupft, modelliert, damit sich das Selbst im Wettbewerb der Kunstfiguren schlagen kann. Alles Leben wird an der Effizienz gemessen, am Ende wird das Feuermachen patentiert, das Rad privatisiert, der Ackerbau ein Bestseller und der freie Bürger zum wahllosen Kunden.
"Es gibt doch eine riesige Auswahl.", versucht er zu trösten. "Jeder kann etwas passendes finden."
Dieses Marktspiel befriedigt jedes Bedürfnis, es regelt alles, obendrein ganz von alleine. Es werde von einer unsichtbaren Hand gelenkt, so wie einst Gott die Himmelskörper auf ihren Bahnen hielt, habe der Mensch mit seinen Allüren darauf keinen Einfluss. Für den Markt sei kein Mensch verantwortlich, demzufolge verteilt sich Armut und Reichtum nachgerade göttlich.
"Sie müssen ihre Chancen nur richtig ergreifen.", ermuntert er mich. "Es liegt einzig und allein an ihnen."
Obschon kein Mensch für den sich selbst regulierenden Markt verantwortlich sei, muss Knechtschaft oder sonstige Ausgesetztheit niemand mehr als seligmachende Prüfung begreifen: Gott hat es so gewollt. Mit dieser leidigen Fremdbestimmung ist endgültig schluss, es bedarf keines allmächtigen Wesens mehr, welches sich darum kümmert, dass es einem schlecht geht. Nicht für diesen göttlichen Markt, aber für die eigene Misere ist endlich jeder selbst verantwortlich. Es gilt die gefeierte Freiheit des Einzelnen, am Hungertuch zu nagen.
"Sie können doch nicht immer machen was sie wollen.", mahnt er. "Und obendrein meinen, sie wüssten alles besser."
Mit der Inquisition wurde Gott nie bewiesen, aber irrwitzige Realitäten geschaffen: Unerwünschte, wenn sie dem Scheiterhaufen entkamen, verfaulten als Ketzer im Kerker. Nunmehr, im Fortschreiten der Humanität, landen die Abtrünnigen als Ausschussware in der Suppenküche, gewissermaßen die Kerker der ökonomischen Lehre.
"Denken sie auch an ihre Altersvorsorge.", sagt er, während ich so kurz davor stand, nie wieder mehr Tampons zu verbrauchen. "Das kann doch alles nicht so schwer sein!"
Die Rezeptur dieses allgegenwärtigen Glaubens ist schlicht: eine Brise übersinnliche Marktkräfte vermengt mit ein bißchen Evolutionstheorie. Aus dieser schlichten Verwurstung kommt eine Metaerzählung heraus, alles bestimmend handelt selbige vom transzendentalen Kampf der Leitsungsstarken im Wettbewerb um Marktanteile. Dies gilt allerdings einzig unter strikter Ausblendung der Theorie der Abstammung, wären ansonsten nicht immer nur die Anderen die Affen.
"Reißen sie sich einfach mal zusammen.", er meint, ich solle mich bloß ein bißchen mehr anstrengen. "Sie müssen lernen sich durchzusetzen."
Konkurrenz wird zum ultimativen Prinzip erhoben, angelehnt an Moschusochsen, die sich gegenseitig die Köpfe rammen, so lange bis einer übrig bleibt, der dann vorbildlich produktiv kopuliert. Daher werden jene reich belohnt, welche die meisten Schädel zertrümmert haben. Eine Umwelt, wie geschaffen für Psychopathen, die sind am besten angepasst, an diese Halluzination die den Skrupel nicht duldet. Und so lässt manch eine Umwelt eine Anpassung fragwürdig erscheinen.
"Stehen sie zu ihrer Verantwortung.", er lächelt, ich zurück. "Sie können nicht ewig vom Staat leben."
Schlußendlich ist es ein gängiges Heldenepos, in dem das klassische Gegensatzpaar um die Vormacht ringt: ein unbescholten fleißiger Markt wider einen gierig saugenden Staat. Mythologisch, sprich so steht es irgendwo geschrieben, sollte der Staat dazu dienen, den archaischen Krieg des Jeder gegen Jeden zu unterbinden, derweil mit dem Markt eben jener Krieg zum Prinzip erhoben wird. Das Ganze wird abgehandelt, als handele es sich um die Rivalität zweier Fabelwesen, die wirklich existieren, als würden Staat und Markt ihr ganz eigenes Leben führen und die hilflosen Menschen beherrschen, deren Hirngespinste sie sind. Ähnlich wie Götter, ausgedacht als Orientierung, um die Welt in ein Unten und ein Oben zu zerlegen. Eine Welt, die immer komplexer wird, weil sie mit so vielen eigenmächtigen Fabelwesen bevölkert ist, die der Orientierung dienen sollen.
"Mein Gott.", seufzt er.
Dermaleinst standen sich Kirche und Staat wie zwei Drachen gegenüber, scheint das Denken einen Gegensatz als Anker zu brauchen, Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß, wäre ansonsten die ganze Geschichte grau. Aber seit Gott tot ist, ungefähr bei einem Erdbeben in Lisboa gestorben, ist die Kirche geschwächt, für das Wesen Staat kein ebenbürtiger Widersacher mehr. Diese Lücke, welche die quasi gottlose Kirche hinterlassen hat, wird nunmehr mustergültig durch den Markt gefüllt. Auch diesem feuerspeienden Fabelwesen stehen eine handvoll Propheten samt Jünger zu Diensten, die mit Inbrunst ihre Lehre hinaus tragen und zum wahren Marktglauben bekehren wollen. Sie predigen von ihrem Gott dem Wachstum, verbreiten ihre Gebote über Wettbewerb und Leistung; sie stoßen Prophezeiungen über den nächsten Konjunkturzyklus aus; sie verkünden ihre Heilsbotschaft der individuellen Selbstverwirklichung in der paradiesischen Warenwelt; sie behandeln Widersprüche im Weltbild als Wunder; sie begreifen Krisen als eine Prüfung des Marktes; sie befürchten, dass eine Abweichung von der wahren Lehre in die Depression führe; sie versprechen Seligkeit durch Profit und Erlösung durch Rendite; sie verstehen Kritik als Blasphemie. Die Tempel sind zweifellos brechend voll, in denen möglichst besinnungslos dem Konsum gefrönt wird. Und wie bei jedem Glauben gilt: der Grad der Verblendung wird mit dem Gehalt an Wahrheit gleich gesetzt.
"Sie haben doch studiert.", schüttelt er den Kopf.
So bleibt wohl selbst die Bildung fragwürdig, wenn mit ihr die Knechtschaft nicht abgeschafft wurde.