Wahre Kriminalfälle und Skandale. Walter Brendel

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Название Wahre Kriminalfälle und Skandale
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754936580



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fest, hat er jemals gelesen oder geschrieben. Wenn er abends nach Hause kam, trank er laut Edith viel und schlief vor dem Fernseher ein. Erst gegen Mitternacht, nachdem Edith zu Bett gegangen war, ging er in sein Arbeitszimmer und arbeitete maximal vier Stunden an den Tagebüchern.

      Aber wann wählte er die langen Texte aus den Hunderten von Büchern und Zeitschriften aus, mit denen er seinen gütigen Hitler darstellen wollte? Als die Polizei Kujaus Haus durchsuchte, fand sie eine Bibliothek mit Veröffentlichungen über das Dritte Reich, insgesamt 427 Bände. Aber regelmäßige Besucher seines Hauses und seines Ladens, darunter sein Sohn, versichern, er habe keine solche Bibliothek besessen.

      Wo wurden die Bücher aufbewahrt, wer wählte die Passagen aus, die Kujau abschrieb? Wie kamen sie schließlich in Kujaus Haus, wo die Polizei sie dann fand?

      Dieses Rätsel lässt sich leicht lösen, wenn, was ich glaube, X der eigentliche Kopf der Verschwörung war.

      Bis 1981 war Heidemann fast ständig pleite. Die Kosten für den Unterhalt der Göring-Yacht konnte er von seinem Gehalt beim „Stern“, netto etwa 60 000 Mark im Jahr, nur sehr mühsam bestreiten. Er hatte sich angewöhnt, seine Arbeitskollegen, sogar Sekretärinnen, um kleinere Beträge anzupumpen. Im Jahre 1981, nachdem die „Stern“-Gelder zu fließen begonnen hatten, ging es mit dem Lebensstil der Heidemanns aufwärts. Sie bezogen eine Luxuswohnung in Hamburg mit Blick auf die Elbe und mieteten dieselbe Wohnung im Stockwerk darüber als Heidemanns Büro.

      Ein paar Monate später mietete er noch eine Wohnung in der Stadtmitte, außerdem kaufte er zwei Häuser in Spanien. Der „Stern“ zahlte ihm insgesamt 1,5 Millionen Mark in Form von Vorschüssen und Prämien für seinen Hitler-„Coup“. Aber die Polizei hat ermittelt, dass Heidemann von Februar 1981 bis April 1983 2,5 Millionen mehr ausgegeben hat, als er verdiente. Was der „Stern“ nicht wusste: Heidemanns „direkter Draht“ zu Martin Bormann über X war sehr kostspielig. X gibt zu, von Heidemann 185 000 Mark für seine „Spesen“ erhalten zu haben. Die Hamburger Polizei fand Beweise dafür, dass es mindestens 300 000 Mark waren. Fest steht, dass der Verbleib von gut vier Millionen Mark aus der „Stern“-Kasse nach wie vor ungeklärt ist.

      Es ging diesen vier Leuten darum, ihre Thesen zu verbreiten, und der Stern war dafür natürlich ideal. Und Heidemann war zwar nicht dumm, aber völlig naiv. Er hat an Dinge geglaubt, die völlig unwahrscheinlich waren. Er war ein Fantast, aber kein Nazi. Das merkwürdige an Heidemann war, wie sorgfältig und gewissenhaft er eigentlich war. Er hat ja immer gesagt: Wir können nichts herausgeben, bevor wir nicht alle Expertisen eingeholt haben, die wir bekommen können. Dann wurde die Story viel früher herausgebracht als eigentlich geplant war, und vorher waren nur sehr wenige Untersuchungen vorgenommen worden. Die Leute vom „Stern“ wurden von ihrem Enthusiasmus für diese Sensation völlig überwältigt, das raubt einem das Denken. Die Gefahr solcher Sensationsgeschichten ist eben, dass man ihnen schnell verfällt. Heidemann war alarmiert. Er war es ja, der immer gebremst hat, aber um ihn herum waren alle völlig von dieser Sache eingenommen. Heidemann hatte anfangs immer noch gesagt, wir müssen warten, das darf noch nicht veröffentlicht werden.

      Das ist ihm nie zugutegehalten worden. Er war natürlich auch selbst schuld daran, weil er am Ende auch diesem Enthusiasmus verfallen ist, das war ja wie ein Rausch, jedes mal wenn Heidemann mit einem neuen Tagebuch kam. Ihm ist diese Sache dann auch entglitten. Es war allerdings entsetzlich, dass die ganze Schuld am Ende ihm zugesprochen worden ist, er war ja sogar länger im Gefängnis als Kujau. Die fanden das alles sehr traurig! Dass ihr Plan fehlgeschlagen ist. Mohnke etwa war sehr merkwürdig. Er hat gar nicht verstehen wollen, dass er selbst bereits eine Fälschung geplant hatte. Er beschuldigte den Kujau, Fälschungen hergestellt zu haben. Es kam ihm aber gar nicht in den Sinn, dass die Tagebücher, die er und seine Partner in Auftrag gegeben hatten, auch eine Fälschung gewesen wären.

      Mohnke fand, das sei keine Fälschung, weil es sozusagen aus dem Richtigen kam.

      Aber auch an einer anderen Stelle ist die genannte Zeitschrift fast wieder einen Schwindler auf dem Leim gegangen. Diesmal ging es um die Jagd nach dem Ex-Reichsleiter Martin Bormann.

      „Im Januar 1964 bot Erich Karl Wiedewald, damals 38 Jahre alt, in Westpreußen geboren, den „stern“ eine Bormann-Geschichte an. Er war angeblich mit dem Sekretär des Führers aus dem belagerten Berlin entkommen. Jetzt lebe dieser im brasilianischen Urwald zusammen mit weiteren Ex-Nazis auf einer riesigen Plantage und lasse sich von schießfreudigen Leibwächtern abschirmen. Wiedewald versprach, eine Begegnung zu vermitteln. Zwei „stern“-Reporter flogen nach Brasilien und warteten verabredungsgemäß wochenlang vergebens auf die Kontaktaufnahme.

      Wiewald musste Jahre später bei einer richterlichen Vernehmung in Frankfurt (am Main, d.A.) zugeben, dass seine Geschichte erdichtet war.

      Mit der Verurteilung und dem Tod Kujaus war die Sache allerdings nicht zu Ende. Es ging weiter.

      Für die gefälschten Hitler-Tagebücher zahlte der "Stern" einst 9,3 Millionen Mark. Die angeblich letzte Kladde wurde am 23. April 2004 (konnte man nicht bis „Führers Geburtstag“ aus Marketing-Gründen warten) in Berlin versteigert. Dabei kam heraus: Im Gefängnis produzierte der Stuttgarter Kunstfälscher die Imitate gleich serienweise Konrad Kujaus gefälschte Hitler-Tagebücher, mit denen der Stern 1983 den größten journalistischen Flop der Nachkriegsgeschichte gelandet hatte, sind immer noch ein guter Stoff für Geschäftemacher. Das Berliner Auktionshaus Jeschke, Greve & Hauff hat am 23. April 2004 als Los Nummer 2378 "das originale und authentische Tagebuch Adolf Hitlers, letzter Teil, begonnen am 15. April 1945", meistbietend angeboten.

      "56 linierte blütenweiße Blatt, davon 25 vom Führer unterschrieben", hieß es im Katalog. Als Kostprobe aus der Feder des Führers wurde unter anderem Hitlers "letzte Verfügung" zitiert: "Ich bestimme hiermit: Ich selbst und meine Gattin wählen, um der Schande des Gefängnis' oder der Kapitulation zu entgehen, den Tod!" Als Schätzpreis hatte das Auktionshaus 7.000 Euro festgesetzt. Der Stern hatte für sein Konvolut einst 9,3 Millionen Mark bezahlt.

      Im Katalog schrieb das Auktionshaus weiter, die Handschrift stamme "aus derselben Quelle, aus der ein in Deutschland relativ bekanntes Wochen-Magazin vor einigen Jahren schöpfte". Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn das Tagebuch kommt zwar aus der Feder von Kujau. Aber es gehört, anders als das Auktionshaus suggeriert, nicht zu jenen 60 Tagebüchern, mit denen der Stern die deutsche Geschichtsschreibung nachhaltig beeinflussen wollte.

      Auf Nachfrage sagte ein Mitarbeiter des Auktionshauses, dass Kujau den angebotenen Band während der Haft geschrieben habe, zu der er wegen seiner Fälschungen verurteilt wurde. "Als krönenden Abschluss sozusagen", so der Mitarbeiter. Kujau war zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und nach drei Jahren wegen eines Kehlkopfleidens vorzeitig entlassen worden. Im September 2000 starb Kujau im Alter von 62 Jahren an Magenkrebs. Er hatte nicht nur Tagebücher gefälscht, sondern auch berühmte Gemälde nachgeahmt und den Chorleiter Gotthilf Fischer mittels eines gefälschten Stammbaums zum Mozart-Nachfahren erklärt.

      Ein Anruf bei Kujaus Nichte, die in der Stuttgarter "Galerie Konrad Kujau" unter anderem mit Werken des genialen Imitators handelt, fördert eine neue Fälschergeschichte zu Tage. Auch Jahre nach seinem Tod schafft es Kujau offenbar, die Leute an der Nase herumzuführen. Ein Mitarbeiter der Stuttgarter Galerie berichtet, es gebe mehrere Ausgaben des angeblich letzten Hitler-Tagebuchs. Kujau habe sie allesamt im Gefängnis angefertigt - und auch damit Schabernack getrieben.

      "Er erzählte allen, denen er es verkaufte, es sei das einzige."

      Die Rechnung des Berliner Auktionshauses, mit den Namen Hitler und Kujau in die Schlagzeilen zu kommen, ist aufgegangen. Das Haus war voller Journalisten. Nur das Interesse der Bieter hielt sich in Grenzen, es waren nicht mehr Leute als sonst im Saal. Begonnen wurde nicht wie angekündigt mit 7.000 Euro, sondern nur mit 5.000 Euro. Schon beim zweiten Gebot, 6.500 Euro, fand die Hitlerkladde einen neuen Besitzer. Ein Mitarbeiter des Auktionshauses hatte das Interesse schon zuvor eher gering eingeschätzt. "Wir wissen nicht, ob die Kranken heute Ausgang haben", sagte er der Presse. Für 1.100 Euro gingen auch vier NS-Publikationen weg, die mit handschriftlichen Namenszügen von Hitler, Göring, Himmler und Goebbels signiert sind. Auch sie stammen von - Kujau.

      Die echten Hitler-Fälschungen lagern