BeOne. Martha Kindermann

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Название BeOne
Автор произведения Martha Kindermann
Жанр Языкознание
Серия BePolar-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752906585



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      Tag 462

      Ich hasse tanzen!

      »Links. Rechts. Rechts. Vorn. Hinten. Vorn. Hinten. Pause.«

      Aber was ich noch mehr hasse, ist blind zu tanzen und mich auf Fenjas Anweisungen verlassen zu müssen. Was für ein dämlicher Test.

      »Und weiter geht’s! Rechts. Rechts. Rechts. Vorn. Hinten. Vorn. Hinten. Links. Links. Links…«

      Immer wieder die gleiche Leier. Ich trage eine Brille, die mir einen Waldspaziergang simuliert und tanze unterdessen auf einem digitalen Feld, welches abwechselnd bunte Quadrate aufleuchten lässt, die ich mit dem richtigen Fuß antippen muss. Problem dabei – ich sehe nichts außer Bäume. Fenja animiert mich zwar ganz passabel, aber es stresst gewaltig. So gewaltig, dass mir der kalte Schweiß von der Nase tropft und mich sicherlich gleich zum Ausrutschen bringen wird. Wann ist endlich Schluss?

      »Okay, Tristan, higher Level. Gut gemacht!« Wie bitte? Noch schwerer? Die wollen mich fertig machen. Rafael sitzt irgendwo in der Ecke und lacht sich einen ab, während ich in meinem grauen Overall zerfließe. »Gut. Also, es wird jetzt eine Drehung und ein Sprung dazu kommen. Ich sage hüpf oder dreh rechts beziehungsweise dreh links, verstanden?

      »Verstanden!« Obwohl ich keinen Bock mehr habe. »Wie schlägt sich die Hexe?«

      Schweigen.

      »Fenja? Wie viel Abstand haben wir noch zu Taranee?« Seit ihrer fiesen Aktion während der Tetrischallenge ist zwischen uns ein wilder Kampf entbrannt. Endlich haben wir es schwarz auf weiß, wer der bessere Sternenwächter ist. Ich liege mit 8400 Punkten vorn und dieses dumme Gehüpfe wird mich endgültig zum Sieger küren.

      »Das ist jetzt völlig irrelevant, Tristan. Konzentrier dich auf deine Schritte. Du solltest nicht langsamer werden.« Tolle Ansage, Frau Lebe. Ich lese zwischen den Zeilen, dass das nervige rote Biest in diesem Girliegame ziemlich gut abschneidet. Shit. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.

      »Wir machen sie fertig. Los geht’s!« Ich atme ein und aus und balle meine Hände zu kampfesbereiten Fäusten. Jetzt zeig ich denen, wer der Discoking auf der Tanzfläche ist.

      »Hüpf. Hüpf. Hüpf. Hüpf.« Hört das auch mal auf? Ich bin doch kein scheiß Känguru. »Rechts. Links. Rechts. Links. Links dreh. Rechts dreh.« Puh, ich kann nicht mehr. »Sie holt auf, Tristan. Nicht schlapp machen!«

      »Schlapp machen? Ich? Wo denkst du hin, Baby?« Ich kann nicht mehr.

      »Links dreh. Rechts dreh. Vor. Vor. Vor. Vor. Links. Rechts. Links. Rechts. Hüpf. Hüpf.« Diese dämliche Dudelmusik geht mir sowas von auf den Zünder.

      »Wann ist endlich Schluss, Fenja?« Ich habe falsch geatmet und leider ein fieses Seitenstechen.

      »Hüpf. Zehn. Hüpf. Se. Hüpf. Kun. Hüpf. Den. Aus!!!«

      Puh! Ich reiße mir die affige Brille runter und stemme erschöpft die Hände auf die Oberschenkel. Duschen ist alles, was ich will. Was für ein Alptraum. Roya hätte dieses Theater ganz sicher gefallen, aber es ist ja auch irgendwie ein Mädchending.

      »Gut, Leute, kommt zusammen!« Ich wollte duschen, Rafael, und keine endlose Ansage von dir hören. »Ich mache es kurz!«

      Mmh, so kennen wir dich. Seit ich mit Royas Bruder wieder im Reinen bin und seine Stand-up-Comedy jeden Tag mit gutem Willen erlebe, weiß ich eines ganz sicher: unter zehn Minuten kommt er niemals, aber auch wirklich niemals zum Ende.

      »Das war die letzte Challenge für heute!« Ein Raunen geht durch die Reihen der Schläfer. Heißt das, wir haben immer noch nicht alle Etappen dieser Testreihe hinter uns gebracht?

      »Und…« Komm schon, mach es nicht so spannend. »Und wir werden euch morgen mitteilen, in welchen Teams ihr bis auf Weiteres tätig werdet.« Check. Ich klatsche mich mit Fenja ab. Egal ob Kampftraining bei Tima, Mentalismus bei Pfeffi, wie wir sie mittlerweile liebevoll nennen, oder Mirco Lehmanns Panikräume – es war aufregend, es war gut, aber es ist auch schön, wenn es nun ein Ende hat.

      »Welche Teams stehen zur Wahl, Rafael?« Ja, diese Frage geistert uns allen im Kopf herum, Iso. Das Heimkind mit dem großen Herzen, welches unbedingt unsere zukünftige Kulturministerin retten mag, sehnt sich sicherlich nach einer ganz bestimmten Einsatztruppe: Die Sucher. Eine Einheit, welche vermisste Ministeranwärter und Eleven aufsprüren und rekrutieren soll. Ob er die Qualifikation für dieses Team erlangt hat, wird sich zeigen.

      »Wir werden die Sternenwacht in fünf Gruppen einteilen. Erstens: die Basis. Diese Wächter sind die Augen und Ohren unserer Operation und arbeiten vom Loft aus.« Ach ja, die IT-ler. Höchst unwahrscheinlich, dass es mich dahin zieht.

      »Zweitens: die Sucher, deren Aufgabe ich bereits nach der letzten Challenge erörtert habe. Drittens: die Späher. Sie werden sich auf einer gefährlichen Mission auf die Suche nach den Dritten begeben und deren Aufstellung und Ziele in Erfahrung bringen.« Scheiße. Das klingt wirklich gefährlich. Die Dritten, also all die aussortierten und vermutlich schwer gestörten Seelen, leben in versteckten Einrichtungen, welche über ganz Polar verteilt sind, und werden seit ihrer Geburt zu Kampfmaschinen ohne Herz und Verstand ausgebildet. Gäbe es dieses dämliche Gesetz in Polar nicht, dass nach zwei Kindern Schluss ist mit dem Projekt Fortpflanzung, wären diese Talentschmieden überflüssig. So bekommen wir es nun mit menschlichen Waffen zu tun. Unberechenbar. Roboter, durch deren Adern Blut fließt. Prost, sage ich nur zu den Glücklichen, die zu Spähern erkoren werden.

      »Viertens: die Spielmacher.« Hä? Die gibt es doch schon. Diese Irren, welche das Camp der Eleven inszenieren und ständig Leute verlieren. »Diese kleine Gruppe wird sich in die Systeme und Köpfe der Polarjahrinitiation versetzen und versuchen zu manipulieren und zu verdrehen, wo es nur geht. Sie lenken das Camp und die darauffolgende Landung zu unseren Gunsten und lassen die Schläfer gut aussehen.«

      »Ich mach’s!« Shit, hab ich das gerade laut geschrien? Verdammte Axt. So peinlich.

      »Tristan, toll, dass du dich dazu bereiterklären würdest, aber wir haben nicht umsonst Eignungstests durchgeführt. Gedulde dich also bitte.«

      Ich hab’s versaut. Verdammt. Aber genau das ist meine Bestimmung. So nah komme ich Roya in keiner anderen Einsatzgruppe. Ich säße am Regler, könnte Tag und Nacht ein Auge auf sie haben und…

      »Fünftens und letztens: die Logisten. Das Herz der Sternenwacht. Ohne sie kommt alles zum Stillstand. Sie sorgen für Nahrung, Kleidung, Technik, Fahrzeuge und so weiter. Hier sind fitte Organisationstalente gefragt, die sich auch gern die Finger schmutzig machen.« Ach nö. Kochen, backen und Klos putzen, während die anderen Abenteuer erleben? Nicht so meins.

      »Dann ruht euch jetzt aus. Ab morgen wird ein anderer Wind im Loft wehen und ich brauche ausgeruhte Wächter, damit wir uns Polar und die zukünftigen Minister zurückholen können. Be Polar!«

      »Be Polar!«, stimmen die zehn heutigen Schläfer mit ein, bevor einer nach dem anderen sein Zimmer aufsucht und in einen traumlosen Schlaf verfällt.

      Lebendig begraben II.

      Verfluchte Scheiße! Ich sollte definitiv weniger fluchen, aber das hier ist Mist. Als Daloris sagte, unser Transport nach Midden fände inmitten eines Waffentransportes als Inhalt einer Munitionskiste statt, war ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass es sich um einen ihrer bescheuerten Scherze handle, die sich nicht nach solchen anhören. Es geistern tausende von Fragen durch meinen Kopf, an dessen Stirn sich nun, zum wiederholten Male, eine Beule bilden wird. Was findet alle Welt nur immer an Kisten? Die ganze Situation erinnert mich an Morenos bescheuerten Sargtest, nachdem ich noch nächtelang von Alpträumen heimgesucht wurde. Selbst das Loch im Deckel und die Maße dieses Kastens lassen die angsterfüllten Bilder von damals wieder hochleben. Diesmal bin ich vorbereitet und habe keine Angst, da ich als Schläferin zu solch wertvoller Fracht gestempelt wurde, dass sie mich wohl kaum hier drinnen verrecken lassen werden – hoffe ich.

      »Tam?«,