BeOne. Martha Kindermann

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Название BeOne
Автор произведения Martha Kindermann
Жанр Языкознание
Серия BePolar-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752906585



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sagst du erst jetzt? Meine Bikinifigur braucht auch in der Wildnis eine schmeichelnde Verpackung. Also los.« Er streicht sich wohlig über sein kleines Bäuchlein und trägt es übertrieben stolz für mich zur Schau. Sus und Henner, die keine fünf Meter weiter ebenfalls am Ende ihrer künstlerischen Tätigkeiten angekommen sind, verziehen das Gesicht zu einem breiten Grinsen. Das kann ja lustig werden.

      »Leute, räumt den Hof! Gleich kommt schweres Geschütz gefahren und wir brauchen jeden freien Zentimeter.« Rafael scheucht uns auf die Plätze zurück und im Handumdrehen ist der Schotterweg von jeglichen Malerarbeiten befreit.

      »Was meinst du damit, man?« Henner gesellt sich an die Seite unseres Oberspähers und reißt die Augen weit auf, als ein riesiger dunkelgrüner LKW über den unebenen Untergrund auf uns zu rollt. Wo kommt der denn her? Essenslieferung?

      Die Fahrertür schwingt auf und ein uns bekanntes Gesicht zeigt ein erleichtertes Lächeln.

      »Akira?« Sus läuft schnellen Schrittes auf sie zu? »Wir dachten, du seist untergetaucht?« Absolut. Trish und Lio haben jeden Winkel des Landes über ihre Netzwerke nach ihr abgesucht und auch keine Spur ihrer Großmutter Daloris finden können.

      Die Plane des LKW wird Stück für Stück geöffnet und ich halte die Luft an. Vorsichtig, ganz vorsichtig schleiche ich näher an den Wagen heran, denn die zarten, wenn auch Dreck verschmierten Hände, die diese Arbeit verrichten, sind mir unter Tausenden die Liebsten. Roya.

      Mit zwei großen Schritten schließe ich auf und reiße vor lauter Übermut einen Riss in die Abdeckung des Wagens. Roya ist nur noch durch diese überflüssige Plane von mir getrennt und ich kann nicht warten, bis sämtliche Knöpfe ordnungsgemäß geöffnet werden.

      »Tristan?« Es ist nur ein Flüstern aus ihrem wunderschönen Mund, aber es reicht, um alles um mich herum zu vergessen. Ich schwinge mich über die Brüstung ins Innere des Wagens und nehme ihr zerkratztes Gesicht in meine verschmierten Hände.

      »Ich war noch nie so glücklich!« Es ist mir egal, wie viele Leute uns zusehen. Es ist mir egal, ob der Zeitpunkt ungünstig ist oder es wichtigere Dinge gibt, als dieses Mädchen zu küssen. Seit Wochen sorge ich mich und nun werden wir wieder vereint.

      »Warte!« Roya legt ihre zittrigen Hände auf meine Brust und bringt mich behutsam auf Abstand. Habe ich etwas falsch gemacht? »Ich kann nicht.« Ihre grauen Augen füllen sich mit Tränen und ich muss mich mit der Zuschauerrolle zufriedengeben.

      »Roya, was hast du?« Was für eine dämliche Frage? Keine Ahnung, wo sie in den letzten Tagen war oder was sie auf dieser Reise ertragen musste, aber ich hätte es respektieren und ihr Zeit geben sollen. Ich fühle mich beschissen. So richtig beschissen.

      »Kannst du mich hier rausholen? Ich müsste ganz dringend und dann können wir reden.« Ich möchte ihre Wange streicheln, ihr sagen, dass alles gut wird und dennoch kommt nur Grütze aus meinem offenen Mund.

      »Die Toiletten hier sind nicht sonderlich luxuriös, aber Rafael…«

      »Rafael ist hier?« Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben. »Natürlich, wenn du hier bist, kann er nicht weit sein. Hol Akira! Wir müssen weg hier! Das ist eine Falle und außerdem werden wir im Regierungspalast erwartet.« Sie blickt sich nervös um und erst jetzt bemerke ich den gefesselten und reglosen Sly zu ihrer Rechten.

      »Sly? Was ist ihm denn zugestoßen?« Dass sie Rafael nicht sehen will und voreilige Schlüsse aus unserer Verbrüderung zieht, kann ich absolut nachvollziehen. Ich weiß nicht, was ihre Peiniger ihr erzählt haben, aber bis vor Kurzem war ich ebenfalls auf der Seite der Zweifler und muss erst noch Überzeugungsarbeit leisten. Aber, dass sie ihren eigenen Freund an Händen und Füßen zusammenbindet, versetzt mir einen extremen Schrecken.

      »Erkläre ich dir, wenn du uns hier raus holst! Schnell!« Sie lässt mich los und steckt den Kopf zur Plane hinaus, in der Hoffnung, Akira und die anderen Fahrgäste dieser sonderbaren Truppe zu erspähen.

      »Roya, ihr seid hier in Sicherheit. Rafael ist nicht der Spion, für den wir ihn hielten.«

      »Du!« Bitte nicht so vorwurfsvoll! »Du hast dich mit ihm aus dem Staub gemacht und Taranee aus der Zelle befreit, nachdem sie vermutlich drei unschuldige Eleven in die Luft gesprengt hat.«

      »Vermutlich«, unterbreche ich sie vorsichtig. »Vermutlich! Ich kenne auch nicht alle Details dieser wahnwitzigen Befreiungsaktion, aber die Hexe ist hier und hat bisher keinem ein Haar gekrümmt.« Roya scheint alles zu viel zu werden.

      »Was ist das für ein Lager? Was veranstaltet Rafael hier und wieso stehst du verdammt nochmal auf seiner Seite? Er ist kein BePolarist, kein friedlicher Revoluzzer und wahrscheinlich nicht einmal mein Bruder.«

      »Ich weiß«, flüstere ich und wage mich erneut sehr nahe an sie heran, »aber er ist das Beste, was Polar in diesen Zeiten widerfahren kann. Er ist ein Sternenwächter, genau wie ich und wir werden diesen verfluchten Krieg beenden, bevor er angefangen hat. Jetzt, wo du wieder bei mir bist, gibt es keine Hürden, keine überflüssigen Suchaktionen mehr. Nur dich, mich und unsere Zukunft, die ich uns wieder zurückhole, versprochen.« Ich ziehe sie in meine Arme und atme so tief ein, dass es beinahe schmerzt. Diesen Duft – Royas atemberaubenden Duft darf ich nie, nie, niemals wieder verlieren. Das schwöre ich!

      120 Sekunden

      Ich nehme Tristans Hand und lasse mich auf meine wackligen Beine ziehen. Er ist so süß zu mir, dass es mir das Herz bricht ihn zurückweisen zu müssen. Doch so sehr ich mich auch nach seiner Nähe verzehre, so viele unausgesprochene Dinge lassen die Mauer zwischen uns im Augenblick unüberwindbar werden. Ich habe Angst. Angst vor Rafael und vor dem, den er aus Tristan gemacht hat. Ich weiß nicht, wo wir uns befinden, nur dass Akira den Leuten blind vertraut und es bitter bereuen wird. Mein Bruder hat BePolar verraten, nie seine wahre Identität offenbart, war an mehreren Anschlägen auf unser Land und vermutlich sogar am Tod unserer Schwester beteiligt. Wenn Tristan sein Komplize ist, dann kann und will ich seine Fürsorge nicht. Dann will ich ganz schnell vergessen, dass ich ihn liebe und brauche. Zudem kann ich nicht außer Acht lassen, was mit Tam geschehen ist. Um ein Haar hätte ich Tristan betrogen und das habe ich im Geiste schon zu oft getan. Ich bin eine furchtbare Person, Tristan ist vom Feind umgedreht worden und Tam verschwunden. Ich kann nicht klar denken. So viele Gefühle wirken gleichzeitig auf mich ein. Wenn ich in seine tiefblauen Augen schaue, ist es Sehnsucht. Wenn ich aus diesem Wagen steige, Angst. Sobald ich meinem Bruder gegenüberstehen werde, Hass, und denke ich an Tam, den ich zurückgelassen habe, Scham.

      »Komm, es gibt ein paar Leute, die dich sicher gern begrüßen würden.« Tristan schlägt die Wagenplane beiseite, lässt meine Hand jedoch nicht los.

      »Ich werde nicht bleiben. Ich werde Akira suchen und sie überreden, weiterzufahren. Die anderen müssen gewarnt werden!« Ist das ein Lächeln, das seine Lippen umspielt? Lacht er mich aus? »Was ist bitte so komisch?«

      »So sicher wie in diesem Augenblick warst du vermutlich in den letzten zwei Jahren nicht. Lehmann und der Großteil der Akademiedozenten sind hier und auch Fenja und Elvis sind mittlerweile fester Bestandteil der Sternenwacht. Ich zeige dir alles. Komm!«

      »Fenja ist hier?«

      »Ja und ihr geht es gut. Sie ist gerade ins Basisteam, also unsere IT-Abteilung, eingeteilt worden und war während der letzten Wochen meine Partnerin in der Akademie.« Meine Augen fallen jeden Moment aus dem Kopf. »Das ist nur die Kurzversion. Alles andere später. Du wirst sicherlich sehnsüchtig erwartet.«

      Eine große Menschentraube hat sich mittlerweile um den LKW gebildet, und als ich gerade einen Fuß auf die Erde gesetzt habe, rennt Fenja übermütig in meine Arme.

      »Roya!« Ich werde im ganzen Gesicht abgeknutscht und freue mich dennoch wahnsinnig, sie zu sehen. »Lass dich ansehen. Du bist ja ganz dünn und deine Haare, verflucht, die gehen gar nicht!« Als hätten wir sonst keine Probleme.

      »Könnte sich jemand um Sly kümmern? Wir mussten ihn leider außer Gefecht setzen, bevor er uns alle über den Haufen geschossen