BeOne. Martha Kindermann

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Название BeOne
Автор произведения Martha Kindermann
Жанр Языкознание
Серия BePolar-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752906585



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Angehörigen überhaupt in Kenntnis gesetzt wurden. Ich hoffe, dass die Spielmacher genauso gute Lügner wie skrupellose Drahtzieher sind, denn dann wähnen mich meine Eltern in Sicherheit und bekommen nachts auch mal ein Auge zu.

      »Wo sind die anderen?« Sly lenkt ein neues Thema ein, bevor Tamika erneut ihre weitere Teilnahme durch ihr loses Mundwerk gefährdet.

      »Lasst mich mal überlegen!« In Zeitlupe lehnt sie sich nach hinten, fährt mit dem Zeigefinger genüsslich über den Rand ihrer Teetasse und starrt uns minutenlang ausdruckslos an. »Der kleine Dicke und seine Bande sind mit meiner Enkelin zur Sternenwacht aufgebrochen.«

      »Zur was?«, kommt es synchron aus unseren offenen Mündern.

      »Ups, da habe ich mich wohl ein wenig verplappert.« Sie lacht. Wie konnte diese gefühlskalte und berechnende Frau nur jemals bei BePolar landen und für eine gute Sache kämpfen wollen? Sie ist genau richtig hier unten am Ende der Welt, zwischen Schrottbergen und Ausgestoßenen. Die Tante hat sie doch nicht mehr alle.

      »Bitte, Miss Daloris, wo hat Akira Berd und die anderen hingebracht?«

      »Akira?« Tamika schaut Sly entgeistert an. Mit keiner Silbe hatte unser Gegenüber ihren Namen erwähnt. »Woher kennst du denn ein Bolidenmädchen, Sequoyah?« Scheiße. Nun ist er ihr eine Erklärung schuldig. Vielleicht wird es Zeit.

      »Tja, Schätzchen, dein stattlicher Rittersmann steckt nicht in einer glänzenden Rüstung, sondern ist einer der gefragten Schläfer, die Centa Jünger so unbedingt zurück in den Palast befördern möchte.« Jetzt haben wir das Auswahlkriterium wohl gerade gefunden. »Immerhin müssen wir dir nun keinen unangenehmen Test zumuten, sondern können dich direkt in Halle 2 verfrachten. GAM?« Sie schreit so laut, dass wir vier vor Schreck zusammenfahren.

      »Ja, Chefin?« GAM steckt seinen Glatzkopf zur Wagentür hinein.

      »Bring unsere schwarze Prinzessin in die Abwrackhalle, und zwar ohne Umschweife, verstanden?«

      »Verstanden!« Gehorsam erklimmt er die drei kleinen Stufen des Wohnwagens und zerrt Tamika grob von der Eckbank. Sly hält sie an beiden Händen so fest, dass ich das Knacken ihrer Handgelenke höre, bevor sie ihm entrissen wird.

      »Nein, stopp!« Sly versucht, die beiden aufzuhalten. »Tamika hat doch nur einen Scherz gemacht. Natürlich kennt sie Akira noch aus der Akademie. Sie ist eine von uns, stimmt doch, Tamika, oder?«

      »Eine von euch?« Tamika wehrt sich nicht gegen ihren Bändiger. »Ich bin keine von euch! Ich mache nicht gemeinsame Sache mit diesen Boliden, die meinen Freund aufspießen und mich an den höchstbietenden verscherbeln wollen. Ein schönes Leben noch, ihr drei, und auf Nimmerwiedersehen.« Mit diesen Worten knallt die Tür ins Schloss und Tamika hat ihr Ticket für die nächste Runde das Klo hinuntergespült.

      Scheiße. Verdammte Scheiße. Verfluchter Mist. Ich könnte noch ewig fluchen, aber es würde rein gar nichts an unserer verfahrenen Situation ändern. Daloris genießt den Duft der Angst, der uns Zurückgebliebene umgibt. Werden wir Tamika je wieder zu Gesicht bekommen? Gut, sie ist eine schreckliche Nervensäge mit ihrem übertriebenen Mädchengehabe und wäre vielleicht an der Spitze eines mächtigen Landes etwas fehl am Platze gewesen, aber sie war – nein, sie ist – meine Freundin und es ist mir nicht egal, was GAM jetzt gerade mit ihr veranstaltet. Die Abwrackhalle. Bevor wir hier abhauen, werden wir wohl einen kleinen Umweg einkalkulieren müssen.

      »Denkt nicht mal daran!« Daloris Worte fahren mir durch Mark und Bein. Kann sie meine Gedanken lesen oder ist das Pokerface so schlecht, dass man mir mein Vorhaben von den Augen ablesen kann? »Ihr drei werdet schön hierbleiben und meiner Familie zu einem hübschen Vermögen verhelfen.«

      »Warum tun Sie das?« Sly schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch und lässt alle Anwesenden zusammenzucken.

      »Du musst schon Klartext reden, Elevenjunge. Oder bringt man euch so etwas im Palast nicht bei?« Sie ist ein wahres Ekel und würde uns dieser sperrige Tisch nicht im Zaum halten, wäre ich ihr schon längst an die Gurgel gegangen.

      »GAM ist der leibliche Vater unserer Präsidentin und Sie behandeln ihn wie einen Ochsen, der nichts weiter tut, als Ihren Wagen zu ziehen. Warum leben Sie hier in der Versenkung, wenn die mächtigste Frau im Land praktisch ein Teil Ihrer sogenannten Familie ist? Warum sperren Sie uns ein? Warum schlagen Sie Profit aus dem Elend junger Menschen und wie um alles in der Welt sind Sie so vom Weg abgekommen? Sie waren eine von uns. Eine BePolaristin und dann…«

      »Genug!« Daloris fährt Sly mit einer solchen Kraft dazwischen, dass ich Angst habe, dass sie mit purer Willenskraft den blauen Wohnwagen zum Zerbersten bringen könnte. »Du kleiner, mieser Wicht. Wie kannst du nur so mit mir reden?«

      Ich halte den Atem an, denn aus ihren Augen spricht eine Verachtung, die ich in diesem Ausmaß noch nie erleben musste. Die Luft ist verflucht dünn hier drin geworden und hochexplosiv. Bitte Sly, sei einfach ruhig und gib der Frau die Chance, sich abzureagieren.

      »Du hast keine Ahnung, von was du da sprichst. Du kennst mich nicht, du kennst GAM nicht und erst recht nicht sein verzogenes und undankbares Gör von Präsidentin. Sie und ihre dressierten Affen haben die BePolarmission zerstört. Alles zunichte gemacht, für das wir unser halbes Leben gearbeitet haben. Sie hat ihre Freunde und ihre Familie verraten und es bricht mir das Herz, dass wir auf ihre Almosen angewiesen sind, aber ich habe für einen Moment etwas in der Hand, das sie unbedingt haben will und das verleiht mir Macht.«

      »Macht, die Sie sehr begehren!« Sly, halt deinen Mund! Du Idiot. Ich schlage mir eine Hand vor mein glühendes Gesicht, denn gleich wird hier alles in die Luft fliegen.

      »Korrekt.« Mehr kommt nicht? Keine Laserstrahlen, keine Fangzähne oder Krallen? Nein?

      »Ich nehme an«, versuche ich, das Spannungsfeld zwischen den beiden aufzubrechen, »die wertvolle Fracht sind wir, die Schläfer, richtig?« Sie nickt, lehnt sich nach hinten und verschränkt die Arme vor der Brust. »Was macht uns zu etwas Besonderem?« Ein grässliches Lachen kommt aus ihrer Kehle.

      »Fangen wir mal beim Urschleim an.« Solange sie abgelenkt ist und uns ihre Märchen erzählen kann, wird keiner von uns zerfetzt, abtransportiert oder verkauft. Die Zeit sollte reichen, um einen provisorischen Fluchtplan zu erstellen. Schade, das Multitasking noch nie mein größtes Talent war. »Centa wurde Präsidentin, fand heraus, dass sie eher Repräsentantin als Landesführerin ist und lediglich das Gesicht der Nation, ohne die Macht, Veränderungen zu bewirken.« Ja, wissen wir schon. »Sie wird BePolaristin und bewilligt das Schläferprogramm, um sich ihre ganz persönlichen Kindersoldaten heranzuziehen.«

      »So einen Quatsch habe ich ja noch nie gehört!« Tam war die ganze Zeit über überraschend ruhig und diese Aussage bringt ihn auf die Palme? Wir lassen die Oma hier einfach ihre Geschichte erzählen. Ich glaube ihr doch sowieso kein Wort.

      »Quatsch, ach ja?« So, jetzt beruhigen wir uns alle wieder! Ich muss nachdenken und das funktioniert nur, wenn das Ablenkungsmanöver halbwegs planmäßig verläuft. »Ihr mögt diese Frau vergöttern, denn darauf hat ihr Bruder euch programmiert, aber lasst euch eines gesagt sein: Sie geht über Leichen, um auf ihrem goldenen Thron sitzen zu bleiben. Sie wird euch ködern, euch dressieren, euch zwingen, die Kunststückchen vorzuzeigen, euch vor dem ganzen Land blamieren und dem Volk klar machen, dass es keine qualifiziertere und bessere Herrscherin gibt und ihre Macht auf diese Weise festigen.«

      »Aber die Gesetze…«

      »Waren schon immer dazu da, gebrochen zu werden, Tam Baliette.« Tam wird plötzlich ganz klein neben mir und drückt meine Hand ein wenig zu fest. »Dachtest du, ich weiß nicht, wen ich hier vor mir habe?« Vielleicht schon, aber nicht, dass es einen Unterschied machen würde.

      »Dein Vater hatte einst so viel Potential, bis er sich wie ein Duckmäuser diesen Morenos zu Füßen warf und nach ihrer Pfeife tanzte. Als ich den Braten roch, zog ich Akira sofort aus der Gefahrenzone und verschwand mit ihr ans andere Ende des Landes. Doch er ließ zu, dass seine beiden Söhne in die Fänge dieser Hexe geraten und nun sitzt er in seinem Krankenhauskeller und hofft auf das Happy End. Wie blöd kann man sein?