Название | Schwarzer Freitag |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847655190 |
"Meine Frau ist nicht da", murmelte ich geistesabwesend – Freud würde behaupten, um Tanja unbewusst darauf hinzuweisen, dass meine Wohnung sturmfrei sei. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt guten Gewissens das Gegenteil hätte behaupten können. Aber so verhält es sich nun mal mit den unbeleuchteten Tiefen unseres Bewusstseins.
Tanja war ein dürrer Klepper und so knochig, dass man sie, ohne weiter darüber nachzudenken, sofort zum Frühstück einlud.
Ihr Katzenblick erinnerte mich auf frappierende Weise an Charlotte Rampling, deshalb nannte ich sie fortan in Gedanken nur noch Charlotte.
Charlotte, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Char-lot-te: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Char.Lot.Te – falls es erlaubt ist, vorzugreifen und für meine Liaison einen berühmten Dichter zu zitieren.
Die schlichten Worte eines Lehrers der Philosophie wären Charlottes Reizen sicher nicht gerecht geworden. Mein Leben lang habe ich von knochigen Frauen geträumt. Doch das Schicksal hat mich bis zum Auftauchen der Schittecks und Xaverias Hungerkuren nie erhören wollen.
Sie werden sich vermutlich fragen, was einen asketischen Denker wie mich schon nach zwei, drei Wochen Bekanntschaft mit den Schittecks dazu bringen konnte, soviel Fleischeslust zu entwickeln?
Dasselbe habe ich mich auch gefragt – und des Rätsels Lösung schließlich mangels besserer Erklärungen den geheimnisvollen hormonellen Ausdünstungen der Schitteckfrauen zugeschrieben. Vielleicht war es auch nur der Hunger, die Austrocknung.
Doch anders als Dagmar machte Charlotte (Tanja) keine Anstalten, ihre Bluse zu öffnen. Ich entdeckte, dass die Schitteckkinder alle verschieden waren. Nicht nur äußerlich, das wäre schließlich zu erwarten gewesen, sondern auch charakterlich. Vielleicht kamen sie auf unterschiedliche Väter heraus.
Meine begeisterte Bemerkung über ihre Blumen konnte ihr nur ein unmerkliches Lächeln entlocken.
"Darf ich Ihnen etwas von unserem Lebkuchen anbieten? Leider habe gestern nichts mehr zum Frühstück besorgen können."
"Gern, wenn er nicht von Weihnachten ist."
Als ich mit dem Tablett zurückkam, saß sie am Fenster und sah deutlich fülliger aus als vorher in ihrem grau-schwarzen Leinenkostüm (ein Eindruck, den ich mir erst später erklären konnte).
Sie verzehrte eindreiviertel Karton von dem süßen Zeug, und danach die Bruchstücke der Glasur, die sie mit ihren spitzen, muschelfarben lackierten Fingernägeln aufpickte, um sie sich Krümel für Krümel mit zurückgelegtem Kopf und herausgestreckter rosa Zunge einzuverleiben.
In meinem Unterleib heulten Alarmsirenen so laut und schrill wie die Weckinstrumente der Schittecks.
Ich sagte mir, mein augenblicklicher Zustand von Verwirrtheit könne nur durch die Ausdünstung eines besonders gefährlichen weiblichen Hormons hervorgerufen werden – dieses und keines anderen.
Denn gewöhnlich reagierte ich auf weibliche Schönheit wie jeder x-beliebige Mann meines Alters. Unter gebildeten Männern unserer Kreise pflegen die Kommentare niemals vulgär oder schwülstig sein. Es war eine Vergiftung, die mich augenblicklich in die Verblödung und Unzurechnungsfähigkeit führte.
Das Gefühl, Charlotte beim Essen zuzusehen, übertraf jeden gewöhnlichen sexuellen Kontakt. Als ich den dritten Karton heranschleppte, entschuldigte ich mich undeutlich murmelnd dafür, dass er bereits angebrochen war.
"Ist Ihnen nicht gut?" Sie stemmte ihre Arme in die knochigen Hüften und wandte keinen Blick mehr von mir. Ich studierte mit bebenden Lippen ihre tiefliegenden Augen, ihre schlanke Nase, so aristokratisch wie die einer spanischen Gutsbesitzerstochter.
Ich sah in ihnen die Glut, die im Mittelpunkt der Erde brennt. Ich hörte Nachtigallen singen, Gebirgsbäche plätschern. Ihre rosafarbene Zunge umschlang ein Stück Lebkuchen. Ich war von der Zwangsvorstellung besessen, meine Gedanken seien mir von der Stirn abzulesen.
"Nein, wieso?"
"Sie machen so einen entrückten Eindruck."
"Sicher, weil ich noch nicht gefrühstückt habe."
"Hier, möchten Sie?“, fragte sie mit vollem Mund und hielt mir den angebrochenen Karton Lebkuchen hin.
"Nein, danke. Mir bekommen nur biologisch angebaute Lebkuchen. Das Zeug da ist ein Geschenk meiner Klasse. Meine Schüler schenken mir bei jeder Gelegenheit Lebkuchen. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen jetzt unsere Sammlung alter Klassenfotos?"
"Alte Fotos, gütiger Himmel ... aber was tut man nicht alles für
gute nachbarschaftliche Beziehungen", seufzte sie.
"Sie werden begeistert sein. Die meisten meiner früheren Zöglinge sind jetzt Bankdirektoren, Manager, Theateragenten, Bürgermeister, Kardinäle oder Vorstandsvorsitzende."
"Also ausgemachte Krämerseelen, wollen Sie sagen?"
"Bitte?"
"Kein rechtschaffener Mensch wählt solche Berufe."
"Und Ihr Vater? Kommen wir mal auf Ihren Herrn Vater zu sprechen. Wovon lebt er eigentlich? Wie ernährt er seine Familie?"
"Mein Vater ist ein professionelles Überlebensgenie. Haben Sie schon mal was von Robin Hood gehört? Er sorgt für die Armen – und zwar auf Kosten der Reichen."
"Sicher, ich verfüge über eine solide Bildung. Außerdem war Robin Hood so etwas wie ein Vorläufer der Umweltbewegung. Er lebte mit seinen Getreuen im Wald und kämpfte für mehr Gerechtigkeit."
"Tatsächlich?“, fragte sie überrascht. "Auf Umweltschutz wäre ich nie gekommen. Also gut, dann zeigen Sie mir schon ihre lächerlichen Fotoalben. Haben Sie zufällig Pontechelly-Pralinen im Haus?"
"Pontechelly-Pral...? Nein."
"Trüffel in Cognaccreme. Gott, ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Die ganze Nacht über diese laute Musik. Pontechellys sind wie Aspirin für mich." Charlotte presste stöhnend ihre durchscheinenden weißen Finger gegen die Schläfen.
"Sie haben die Nacht bis zum Morgengrauen in einer dieser lauten Diskos zugebracht, stimmt's? Ich könnte den Delikatessenhändler an der Straßenkreuzung herausklingeln und ihm ein paar Pontechellys abluchsen."
"Wenn Sie das für mich tun würden, Paul ... das wäre wirklich großartig!" Charlotte (Tanja) schlang ihre dünnen Ärmchen um mich.
"Er wird fuchsteufelswild werden. Es ist dreiviertel fünf."
"Bis Sie da sind, ist es sechs."
"Er öffnet erst um neun."
"Ich würde sehr, sehr nett zu Ihnen sein", beteuerte sie. "Ich würde Ihnen das niemals vergessen. Schmerzen sind meine Achillesferse. Ich kann nicht mal vertragen, wenn mir der Friseur den Nacken ausrasiert."
"Dann sollten Sie vielleicht ein Desensibilisierungstraining belegen. Das könnte Ihnen die Angst nehmen. In der Gemeinde werden kostenlose Kurse abgehalten."
"Doch nicht etwa bei der Kirchengemeinde, Paul?"
"Und warum nicht, wenn ich fragen darf?"
"Das Weihwasser würde in den Becken verdampfen. Und die Kruzifixe fielen von den Wänden. Wir sind keine gewöhnliche Familie. Wir sind ... na ja, wir sind ziemlich überzeugte Atheisten."
"Bei den Evangelischen geht es viel nüchterner zu. Das finden Sie gar kein Weihwasser. Und Sie wären nicht der erste Atheist, der einen Kurs bei der Kirchengemeinde belegt. Wir hatten schon Huren, Päderasten und Leichenschänder. Die Kirche ist für alle da."
"Lieber nicht. Aber ein paar Pontechellys würden mir wirklich helfen."
Also machte ich mich seufzend auf den Weg durch den grauen Morgendunst.
Dazu war ich gezwungen, unser intaktes Viertel zu verlassen und in die Zone außerhalb von BIO-EINS vorzudringen.