Schwarzer Freitag. Peter Schmidt

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Название Schwarzer Freitag
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847655190



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Schwerpunkt psychologische Grundlagentheorie an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte rund 40 Bücher, darunter auch mehrere Sachbücher.

      AUTORENINFO

       http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/

      1

      Die Schittecks waren moralisch und sozial zutiefst minderwertig …

      Wenn ich jetzt in der Vergangenheitsform von ihnen rede, dann weil niemand nach ihrem mysteriösen Verschwinden mehr etwas von ihnen gehört hat, außer dass sie wie ein tropischer Wirbelsturm über unser Viertel hinweggefegt sind und genauso viele Spuren der Zerstörung hinterlassen haben.

      Sie zogen vor siebeneinhalb Monaten ins Nachbarhaus ein, und seitdem hat sich mein Leben grundlegender verändert als in den vierzig Jahren zuvor. Die Schittecks haben mich mehr in Atem gehalten als ein Monsterfilm …

      Alles begann damit, dass ich im Lehnstuhl saß und für Xaveria Arbeiten im Leistungskurs Geschichte durchsah.

      Seitdem sie dreißig Kilo abgespeckt hatte und alle Anzeichen einer magersüchtigen Asketin entwickelte, fiel ihr das Korrigieren von Klausurarbeiten immer schwerer.

      Für mich dagegen hatte es sich gerade zu einer Art meditativer Rückbesinnung auf die wahren Werte des Lebens entwickelt.

      Eines der Schitteckkinder war auf den großen Apfelbaum vor unserem Wohnzimmerfenster geklettert. Es hing dort mit beiden Armen und Beinen einen starken Ast umklammernd, den Kopf nach unten wie ein Kletteraffe und musste mich so schon eine ganze Weile beim Korrigieren beobachtet haben …

      Ob es männlichen oder weiblichen Geschlechts war, konnte ich aus dieser Entfernung nicht erkennen, weil ich gerade meine Brille verlegt hatte.

      Als es eine Weile zu mir hereingestarrt hatte, rief es: "He, du vertrocknete alte Religionsschwuchtel ..."

      Was auch immer das Wort "Schwuchtel" in seiner kindlichen Vorstellung bedeuten mochte und warum es glaubte, dass ich Religionslehrer sei (ich war zwar Lehrer für Philosophie und Religion, momentan aber Leiter eines "Schulversuchs im Unterrichtsfach Ökologie" an der örtlichen Gesamtschule, einem glatten, finsteren Felssteinbau) – dies schien der Tag zu sein, an dem ich im Sinnen und Trachten der Schittecks einen festen Platz einzunehmen begann.

      Die Schittecks bestanden aus einer nicht genau zu ermittelnden Anzahl von Familienmitgliedern, und jedes von ihnen besaß die Gabe, einem Alpträume zu verursachen, gegen die gewöhnliche Alpträume wie das Zählen von Schäfchen beim Einschlafen sind.

       Ich bin zu einem Monstrum, einer kriminellen Bestie ohne Gewissen geworden, jederzeit bereit, in die Landeszentralbank einzubrechen, wenn das Risiko in einem vernünftigen Verhältnis zum Gewinn steht. Oder dem Papst obszöne Briefe zu schicken, falls es meinem seelischen Wohlbefinden dient.

      Man jagte mich durch die finstersten Höllen der Selbsterkenntnis. Ich zünde mir mit den Seiten des Neuen Testaments einen Joint nach dem anderen an und rauche Marihuana, dem Opium zugesetzt wurde. Oder noch schlimmer: Crack.

      Denn Crack, das aus Kokain mit Backpulver zu hitzebeständigen weißen Klümpchen verbacken wird, dringt innerhalb von zehn Sekunden in jene mysteriöse Bereiche des Gehirns ein, wo sich das seltsam flackernde Etwas befindet, das wir "Ich" nennen, und schädigt die normale Funktion der Gehirnnerven auf Jahre.

      Ich erwache manchmal, während ich nachts auf der anderen Seite des Erdballs unter der Dusche stehe, und frage mich, wie ich dorthin gelangt bin. Durch Telekinese oder posthypnotischen Auftrag?

      Ich glaube, ich habe noch nicht erwähnt, dass die Schittecks medial überdurchschnittlich begabt waren?

      Xaveria behauptete sogar, dass sie Hundezwinger und Igel durch die Luft fliegen lassen konnten.

      Die Schittecks waren Kraken. Böse Geister in Menschengestalt, der Hades hatte sie ausgespieen, und wenig später trieben sie in unserer friedlichen Kommune ihr Unwesen und ließen den Boden durch rauschende Feste erbeben.

      Saß man gemütlich auf der Veranda, um ein paar Psalmen zu lesen und darüber nachdenken, warum Jesus wohl so unchristlich gewesen war, den Teufel in die Gadarener Säue fahren zu lassen, so machte sich ihre Anwesenheit schon dadurch bemerkbar, dass die Gläser auf dem Tisch zu zittern begannen.

      Die Gegend hatte einen neuen Erdbebenherd bekommen …

      Nun gut, mag sein, dass ich parteiisch bin und übertreibe, und dass sie nur ein weniger ausgelassener als normale Menschen feierten. Aber soviel ist jedenfalls verbürgt:

      Ich habe in meinem Leben noch keine Familie kennengelernt, die weniger Wert auf das Urteil und die Meinung ihrer Mitmenschen legte.

      Schitteck senior war ein arbeitsloser Dieb und Betrüger. Seine Frau Elvira schien alles auf einmal zu sein, Hausfrau und Stripteasetänzerin, Medium spiritistischer Sitzungen, Wahrsagerin, Reinemachefrau.

      Aber am liebsten lag sie in ihrer Hängematte zwischen den alten Gartenbäumen und überließ die Schitteckkinder ihrer natürlichen Raubtiergesinnung. Oder sann darüber nach, womit sie eine arme Seele wie mich dem Teufel zuführen könnte ...

      Vier ihrer acht bis fünfzehn Gören lebten als sogenannte "Vollwaisen" bei sozial gesinnten Familien und tauchten nur zu Geburtstagen und ähnlich lukrativen Festlichkeiten im Hause der Schittecks auf. Das genialste Schitteckkind aber dürfte Lutz gewesen sein.

      Lutz war ungefähr zwölf Jahre alt, trug das Haupt eines frühzeitig gealterten Mannes auf den schmächtigen Schultern und galt in seiner Familie als hellster Kopf der Neuzeit.

      Er trank täglich bis zu zwanzig Tassen Kaffee oder, alternativ, fünf Literflaschen Coca-Cola, und verzehrte, bequem auf der Bordsteinkante hingeflegelt, die Flasche griffbereit, wahre Unmengen von Lakritzschnecken.

      Das Koffein schien die kreativen Zentren seines Gehirns zu stimulieren, denn wahrscheinlich war kurz darauf der Motor meiner Ökopumpe als Antrieb für einen neuen Typ von Schlauchboot zweckentfremdet worden, das heulend über den Teich jagte.

      Oder ich entdeckte, dass er mein Verandageländer an einen vorbeifahrenden Antiquitätenhändler verkauft hatte. Und einige dieser kreativen Anfälle waren auch dafür verantwortlich, dass ich nicht mehr bin, was ich war, sondern auf meine alten Tage (ich bin fünfzig, fühle mich aber eher wie achtundsechzig) die Polizei mehr fürchte als den Ausschluss aus der evangelischen Kirche.

      Jemand behauptete zwar, die Schitteckkinder besäßen gar kein Gehirn und wollte sogar das Bild einer Kernspin-Tomografie gesehen haben. Die betreffende Stelle im Kopf habe einen weißen Fleck gezeigt.

      Aber das war angesichts ihrer schöpferischen Energien wohl nur eine böswillige Verleumdung.

      Ich glaube, dass sie sehr wohl Gehirne hatten – und dass sie gleich nach der Geburt dem Teufel geweiht wurden.

      Den Schittecks war nichts heilig. Sie kippten ihre Abfälle aus dem Fenster auf die Straße und ließen das Haus um Mitternacht von Rock- und Popmusik erbeben.

      Unbarmherzig helle Scheinwerfer erleuchteten das Areal, damit jemand, der sich der Veranda näherte und höflich um ein wenig Nachtruhe bat, unweigerlich von einem aus dem Fenster fallenden Blumentopf oder dem Schuss aus einer Luftpistole getroffen wurde.

      Denn die Schittecks waren begabte Schützen, sie hatten, wie man so schön sagt, "Zielwasser getrunken". Ihre manuelle Geschicklichkeit ließ jeden professionellen Jongleur erbleichen.

      Ich sah in ihren Gesichtern die rumänische Abstammung und das – genetisch nur unwesentlich verwischte – Zigeunerblut.

      Andere dagegen behaupteten, nichts von alledem darin entdecken zu können, sondern eine eher nordische Herkunft. Wären die Schittecks gewöhnliche Asylanten gewesen – wie einfach, sie mit ein paar Eisenstangen oder Molotowcocktails aus der Stadt zu jagen.

      Aber leider