Название | Schwarzer Freitag |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847655190 |
"Meine Nerven werden mit jeder Woche empfindlicher."
"Ich verordne Ihnen Penicillin, hochdosiert. Und ein Mittel gegen Ihre blutsaugenden Untermieter. Zweimal täglich einpudern." Er reichte mir die Hand. "Halten Sie mich auf dem laufenden. Die Schittecks sind mir immer einen Anruf wert."
5
Ich flüchtete in die Geborgenheit des Denkens. Ich versuchte das Magische Dreieck, das Feuchtbiotop, Dagmars ausbleibende Periode und meine überstandenen Geschlechtskrankheiten zu vergessen, indem ich mich ganz der Klarheit der Gedanken widmete.
Als Student hatte ich bei meinen geisteswissenschaftlichen Studien die Welt vergessen – warum sollte mir diese Fähigkeit im Alter abhanden gekommen sein? Bücher sind wie Schutzschilde gegen die Anfeindungen des Lebens.
Nicht einmal das Schittecksche Sirenengeheul konnte mich noch von meiner Daseinsanalytik abbringen.
Als um wie viel trostloser und kälter als ein gesundes Verhältnis zur Religion hatte ich damals den neumodischen Auswuchs des Nihilismus nach dem Zweiten Weltkrieg angesehen, der imstande gewesen war, so viele merkwürdige Bohemienexistenzen in Pariser Cafés und Bistros hervorzubringen!
Jetzt kam er mir geradezu befreiend gewöhnlich vor.
Alles war klar: Der Mensch ein heroisch sich gegen die Absurditäten des Schicksals aufbäumendes Mängelwesen. Und in meinem Fall hießen die Absurditäten des Schicksal offenbar Schitteck.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich mein verständnisvoll-warmherziges, von christlicher Nächstenliebe und Verantwortung für die Umwelt geprägtes Wesen für einen Moment fallenließ und (nur versuchshalber) ein Mensch vom Schlage Meursaults in Camus Roman Der Fremde wurde.
Jemand, der am Strand einen anderen niederschoss, nur weil ihn die Sonne blendete.
Aber das Allerbeste daran: Es blieb nicht mehr als ein unverbindliches Denkspiel. Man konnte ohne weitere Expeditionen durch das Reich des Denkens wieder in den Schoß der Religion zurückkehren. Es gab immer noch die Hoffnung, das Vertrauen, den Sprung in den Glauben.
"Du und dein religiöser Spleen", sagte Xaveria, als ich nachts mit offenen Augen neben ihr lag. Sie musste gerade aufgewacht sein, und dann behauptete sie gern, ich hätte im Schlaf gesprochen – vielleicht, weil sie das, was sie gehört zu haben glaubte, selber bloß geträumt hatte. "Bist du nun ein positivistischer Denker, der nur für wahr hält, was sich auch beweisen lässt, oder einer dieser armen Irren, die immer noch mittelalterliche Metaphysik treiben?"
"Ich dachte du schläfst?"
"Nicht, wenn du dich ständig von einer Seite auf die andere wälzt und Maria hilf mir jammerst."
"Das wäre die Gegenseite, der Marienkult. Ich rede nie im Schlaf, ganz zu schweigen von katholischen Anrufungen wie diesen."
"Und deine Sammlung Rosenkränze in der Schreibtischschublade?"
Damit spielte Xaveria wieder einmal in ihrer unvergleichlich feinfühligen Art darauf an, dass ich manchmal aus Gründen der Ökumene und der Verständigung unter den Christen einen katholischen Rosenkranz benutzte.
"Was hat das mit meinen nächtlichen Gebeten oder Selbstgesprächen zu tun?"
"Du rezitierst sogar vollständige Psalmen."
"Nein, ausgeschlossen – und falls doch, dann höchstens zur Entspannung."
"Deinen Glauben möchte ich haben."
"Alles bloß eine Frage der inneren Sammlung und Wahrhaftigkeit", erklärte ich, während ich im Dunkeln nach dem Glas Wasser auf der Nachtkommode tastete, um meine trockenen Lippen anzufeuchten.
"Ich habe gestern mit einem der Schitteckkinder über dich gesprochen. Nach seiner Auffassung bewegst du dich bei deinen religiösen Wahnvorstellungen hart am Rande des geistigen Abgrunds entlang."
"So? Welches der Schitteckkinder sollte denn ein so profundes Urteilsvermögen besitzen, dass es sachkundige Kommentare über meine geistige Reife abgeben könnte?"
"Deine geistige Reife ..." Obwohl es wegen der schwarzen Rollos stockfinster im Zimmer war, sah ich vor meinem inneren Auge, wie Xaveria halb aufgedeckt dalag und mit ihren zu Knochen abgemagerten Beinen lautlos lachend die gymnastische Übung "Radfahrer beim Kopfstand" absolvierte.
"Ich rede von den Kommentaren, nicht davon, welchen Stand meine geistige Reife erlangt hat. Schließlich bin ich sogar Lehrer in Sachen Weltanschauung."
"Ich glaube, du trägst die Religion und den Umweltschutz nur noch wie eine Fassade vor dir her."
"Und wozu, wenn ich fragen darf? Warum sollte ausgerechnet ich eine Fassade vor mir hertragen?"
"Weil du ohne deine weltanschaulichen Lügen nicht leben könntest."
"Man kann das Wagnis des Glaubens und eine lebenswerte Zukunft leicht als Lüge denunzieren. Dazu gehört nicht einmal viel Phantasie, nur ein wenig geistige und moralische Bequemlichkeit."
"Du hast dich verändert, seitdem die Schittecks nebenan eingezogen sind."
"Warum sollte ich mich wegen ein paar neuer Gesichter im Nachbarhaus verändert haben?"
"Ich weiß nicht", seufzte Xaveria. "Es liegt etwas in der Luft. Ich glaube, die Schittecks wollen uns verschlingen."
"Etwas mehr Gottvertrauen, wenn ich bitten darf."
"Ich vertraue lieber auf das hier", sagte sie und streckte im Dunkeln so dicht vor meiner Nase ihre Faust in die Luft, dass ich den Windzug spürte.
"Doktor Gans behauptet, die Schittecks zögen wie Zigeuner von Stadt zu Stadt. Wenn sie ein Revier abgegrast hätten, wäre sofort das nächste an der Reihe. Und bei uns ist schließlich nicht viel zu holen. BIO-EINS steht mit beiden Beinen fest im Umweltschutz. Vielleicht sind sie in ein paar Tagen wieder weg."
"Du warst beim Arzt?"
"Um ihm einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, wegen seiner neuen Praxisräume."
"Seit wann stattet man Ärzten denn Höflichkeitsbesuche ab? Man hamstert bei der Sprechstundenhilfe Kopfschmerztabletten. Man telefoniert seinen Doktor nachts wegen Fieber oder Durchfall aus dem Bett – aber ein Höflichkeitsbesuch?" Xaveria richtete sich auf und knipste misstrauisch das Nachttischlämpchen an. Sie musterte mich wie einen Kranken. "Ist es wieder die Leber? Etwa dein heimliches Trinken?"
"Ich trinke niemals heimlich", entrüstete ich mich.
"Dann müsste sich aber eine innere Wandlung bei dir vollzogen haben." Sie legte ihre Hand an meine Stirn. "Übrigens hast du leichtes Fieber – und du riechst nach Penicillin."
"Eine Wandlung? So kann man es auch ausdrücken. Ich fühle, wie ich bei soviel Verdächtigungen und menschlicher Kälte langsam in die innere Emigration gerate. Kein Wunder, wenn mich das in den Alkoholismus treibt."
"Da sieht man wieder, welchen unheilvollen Einfluss die Schittecks auf unser Familienleben haben."
"So schlimm, wie Doktor Gans behauptet, können sie eigentlich gar nicht sein. Eine der Schittecktöchter war sogar schon bei uns, um ihren Antrittsbesuch zu machen, auf gute nachbarschaftliche Beziehungen."
"So? Davon weiß ich ja noch gar nichts."
"Weil du zur Beobachtung im Krankenhaus warst."
"Und die Weingeistflasche im Geräteschuppen?"
"Die Weingeistfl...?“, fragte ich überrascht. "Das ist Alkohol, den ich zum Reinigen brauche. Du wirst einem Mann in meiner Position doch nicht unterstellen wollen, er würde heimlich im Geräteschuppen Reinigungsalkohol trinken? Außerdem ist das Zeug giftig."
"Lutz behauptet, übertriebene Religiosität führe leicht in den Alkoholismus, weil ihre vollmundigen Versprechen einfach nicht eingehalten werden können und der Mensch nach