Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Название Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор произведения Ludwig Bechstein
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742749215



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hausen, durch die Schärdter Höhle

       vorüber zur Bergeshöhe.

       71. Die Eppsteiner

       Es hauste vordessen in den wirren Felsenschluchten

       und dunkeln Gebirgstälern um das heutige Eppstein

       ein wilder Riese, der lauerte den Jungfrauen auf, und

       wenn er eine fing, geschah ihr mehr nach seinem Willen

       als nach dem ihren. Einstmals gelang es ihm, ein

       Fräulein von Falkenstein, welches ein edler Ritter

       minnte, hinwegzuführen. Der Ritter, welcher Eppo

       hieß, folgte eilend dem Riesen nach, mit ihm zu

       kämpfen oder ihn durch List zu besiegen, und hatte

       ein eisernes Netz, das er an einem gewissen Ort aufstellte.

       Damit der Riese, wenn er ihn wahrnehme, ihn

       nicht sogleich erkenne, mußte der Knappe Eppos Gewand

       und Rüstung anlegen, und Eppo trug die des

       Knappen. Der Riese achtete sich keinen Deut um den

       Ritter, der ihm nachfolgen wollte, er war mit all seinen

       Gedanken nur bei seiner Gefangenen und trachtete

       danach, ihr zu tun wie den andern, aber ein Schutzgeist

       war mit und bei ihr, gegen den weder des Riesen

       Stärke noch seine Zaubermacht, denn er war auch ein

       Zauberer, etwas vermochte. Voll Grimm darüber

       wandte sich nun der Riese Eppo entgegen, und da er

       diesen daherkommen sah, so gebrauchte er sich seiner

       Zauberkunst und Macht und verwandelte Eppos

       Dienstmann in einen Felsen, meinte so, seinen Feind

       für genugsam lange Zeit an eine Stelle gebannt zu

       haben, und eilte vorwärts, um auch alles Gefolge des

       Ritters unschädlich zu machen. Darüber aber stürzte

       der Riese in das eiserne Netz, zappelte darin gar gewaltig,

       konnt' es aber nicht zerreißen, und nun kam

       der Ritter in Knappentracht, der sich verborgen gehalten,

       hervor, schleppte den Riesen auf einen hohen Felsen

       und stürzte ihn von da herunter, worauf er die Gefangene

       des Riesen aus ihrem Bann befreite und sie

       zum Ehgenoß gewann. Den verzauberten Dienstmann

       konnte Eppo leider nicht lösen, der steht heute noch

       starr und steif wie ein Felsen und ist ein Felsen und

       heißt der Mannstein. Darauf erbaute Ritter Eppo eine

       neue Burg auf den Fels, von welchem herab er den

       Riesen gestürzt, und das wurde der Eppstein, und zu

       den Gewölbrippen im Tor wurden statt der gebogenen

       Steine die Rippen des Riesen eingemauert und angeschmiedet.

       Dem Ritter aber und seiner Gemahlin entsproßte

       ein gewaltig Geschlecht mannlicher Helden

       und großer Kirchenfürsten; die Ritter empfingen aus

       des Kaisers Hand das Waldbotenamt am obern Taunus

       zu Lehen, und fünf Eppsteiner behaupteten nach

       und nach den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz, drei

       davon hießen Siegfried, einer Werner und einer Gerhard.

       Dieser Gerhard, der zweite des Namens in der

       Mainzer Bischofreihe, war gar ein fester trutziglicher

       Herr, und wenn ein deutscher Kaiser anders wollte

       wie er, so schlug er an seine Tasche und rief: Potz

       Velten! Wenn ein Kaiser nicht will, wie ich will, so

       hab' ich schon einen andern Kaiser in der Tasche. –

       Einstmals, als auch ein Kaiser ihm nicht zu Willen

       war, ergriff er zornig sein Jagdhorn und schrie: Daß

       den Kaiser Gottes Marter schände! So mir's beliebt,

       so blase ich aus diesem Horne einen andern Kaiser

       heraus! – Er sprach auch solche Worte keineswegs in

       den Wind, er war es, der dem Grafen Adolf zur Kaiserkrone

       verhalf und ihm auch wieder davon half,

       doch hat es ihm später nicht geglückt, und fand Ursache

       genug, seine Keckheit zu bereuen.

       72. Blutlinde

       In der Nähe Wiesbadens steht bei der Burgtrümmer

       Frauenstein eine riesige Linde, von der die Sage geht,

       daß einst an ihrer Stelle sich gar Trauriges ereignet

       habe. Ein Fräulein aus dem Geschlechte der Frauensteiner

       liebte einen ihr nicht ebenbürtigen Jüngling

       und sah ihn oft, indem sie abends noch außerhalb der

       Burgfeste lustwandelte, an einem traulich schattigen

       Plätzchen nahe der Burgmauer, wohin ein sonst stets

       verschlossenes Pförtchen führte, zu welchem sie allein

       den Schlüssel bei sich trug. Endlich nahm ihr harter

       und stolzer Vater diese Zusammenkünfte wahr, zürnte

       heftig, überraschte die Liebenden und erschlug den

       Geliebten mit eigener Hand. Da brach die Tochter

       jammernd einen jungen Lindenschoß, steckte ihn

       durch das rinnende Blut ihres Geliebten in den Boden,

       sprach zu ihrem Vater nie wieder ein Wort und ging

       in das nächste Kloster. Täglich weinte sie um ihren

       erschlagenen Geliebten, der Lindenschoß aber schlug

       Wurzeln und trieb und ward ein Baum, und solange

       die trauernde Liebende lebte und weinte, so lange floß

       Blut aus des Lindenbaumes Gezweig, so jemand ein

       Blatt oder einen Ast abriß. Das tat aber bald niemand

       mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs

       die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke,

       und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.

       Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof,

       von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn

       des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht

       nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein

       Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein

       Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge

       Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens

       und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann

       ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter

       starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal,

       einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch

       einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt,

       völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit

       Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der