Oliver Hell Abschuss. Michael Wagner J.

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Название Oliver Hell Abschuss
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия Oliver Hell
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847647683



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Büro, in dem die Dienstbesprechung stattfand, war klein. Höchstens vier mal sieben Meter. Die Diensträume im Präsidium an der Bornheimer Straße in Bonn hatten die besten Zeiten hinter sich. An einer der Längsseiten befanden sich Fenster. Eines davon hatte Wendt geöffnet, da es in dem Raum stickig und zu warm war. Auf Anordnung Hells er hatte das Briefing für die Kollegen übernommen.

      Hell wollte sich bewusst im Hintergrund halten.

      Auf der Pinnwand an der Kopfseite hatte Wendt die ersten Tatortfotos angeheftet. Ein großes Foto des Toten mit dem zur Seite geneigten Kopf hing ganz oben. Darunter Bilder, die den kompletten Fundort der Leiche abbildeten.

      Die Tische in dem Besprechungsraum standen in U-Form. Wendt hatte einen Platz an der Seite ausgewählt.

      Er sortierte die wenigen Informationen, die sich bisher zusammenstellen ließen. Die Kollegen Klauk und Meinhold waren bislang noch nicht eingetroffen. Also rief er die Frau an, mit der er die letzte Nacht bis zum Anruf Hells verbracht hatte. Er brach das Gespräch sofort ab, als er Hell im Türrahmen stehen sah.

      »Ich melde mich später, o. k.?«

      Sein Chef machte einen ratlosen Eindruck. Was Wendt gut erkannte, denn Hell fühlte, dass sie erst den Rand eines großen Ganzen tangiert hatten.

      „Irgendwie ist das alles merkwürdig, oder?“, richtete er den Fokus direkt auf den Fall

      „Merkwürdig? Was denken Sie, ist daran merkwürdig?“

      Hell warf seine Mappe auf den Tisch und ließ sich auf den Stuhl gegenüber von Wendt fallen.

      „Ich habe so einen leisen Verdacht, dass wir erst die Spitze des Eisberges vor uns sehen.“

      Wendt stand auf und schloss das Fenster, da er Mühe hatte Hells Antwort zu verstehen. Auf der Straße fuhr eine Kehrmaschine entlang.

      „Wendt hat hellseherische Fähigkeiten“, witzelte Hell und musste über sein Wortspiel schmunzeln.

      Es klopfte am Türrahmen. Sebastian Klauk trat ein und nahm mit einem gutgelaunten Gesicht Platz.

      „Guten Morgen allerseits“, sagte er. Der schlaksige, junge Mann war der jüngste im Team von Kommissar Hell. Er hätte ihn als einen durchschnittlichen Kriminalisten bezeichnet, der mehr Zeit auf seinen Sport verwendete, als sich um seine Karriere zu kümmern. Hell mochte eigentlich diese lockere Einstellung, wünschte sich aber manchmal, er hätte doch ein wenig mehr Ehrgeiz.

      „Das sind Fotos vom Tatort?“, fragte Klauk und betrachtete intensiv die Fotos, „Ich habe Christina eben auf dem Flur getroffen. Sie war auf dem Weg zur Spusi. Wir sollen schon einmal anfangen, hat sie gesagt.“

      Wie auf Stichwort öffnete sich die Tür erneut. Christina Meinhold stieß sie mit einer energischen Bewegung auf, und blieb direkt im Türrahmen stehen.

      „Wir haben einen Namen“, rief sie aufgeregt in die Runde, „Der Tote heißt Robert Lohse. Er ist aktenkundig wegen schwerer Körperverletzung. Das verraten uns die Fingerabdrücke. Er wohnt hier in Bonn. Und jetzt kommt’s: Die Kollegen von der Bereitschaft erhielten vorhin einen Anruf eines Nachbarn. Dort sei eingebrochen worden.“

      Meinhold schien beim Sprechen nicht zu atmen. Sie brauchte keinem der Anwesenden die Worte genauer zu erklären. Hell reagierte sofort.

      „Christina, Sie und Wendt fahren hin und sprechen mit dem Nachbarn. Quetscht ihn aus, was dieser Lohse für ein Typ war und wann er ihn das letzte Mal gesehen hat. Und so weiter. Wir verschieben das Briefing und treffen uns gegen Mittag hier wieder. Ich erkundige mich in der Gerichtsmedizin.“

      Meinhold gab Wendt ein Zeichen und sofort setzten sich die beiden in Bewegung.

      Es war neun Uhr. Hell holte sich einen Kaffee und setzte sich in sein Büro. Er schrieb die bisher gesammelten Fakten auf einen Zettel. Anschließend ging er zu Fuß herüber zur Gerichtsmedizin. Die frische Luft tat ihm gut. Mit dem Auto hätte er um die Uhrzeit in der Bonner Rushhour zu viel Zeit verloren. Er hoffte, beim Briefing neue Erkenntnisse von Doktor Beisiegel präsentieren zu können.

      *

      Als Wendt und Meinhold in der Straße eintrafen, in der Robert Lohse wohnte, war von der Bereitschaftspolizei noch niemand zu sehen. Wendt parkte den Mazda direkt vor Lohses Haus.

      „Der Nachbar heißt Kirchner. Er wohnt Parterre. Lohse wohnt über ihm, sagt er.“ Sie griff nach ihrer Waffe. Eine Angewohnheit. Wendt grinste.

      „Keine Angst, er liegt tot und kalt im Leichenschauhaus.“

      „Haha“, antwortete sie und schüttelte ihr braunes Haar zurecht.

      Wendt klingelte. Sofort wurde die Türe aufgerissen. „Polizei?“, fragte ein dünner Mann mit wirrem Haarschopf.

      „Wendt, meine Kollegin Meinhold. Sie hatten uns benachrichtigt, Herr Kirchner?“

      Der Mann erweckte einen verstörten Eindruck.

      „Jaja, habe ich. Es ist einer oben. Ich höre das, weil ich direkt darunter wohne“, flüsterte Kirchner, als wäre er ein Verschwörer und kam den beiden Beamten dabei sehr nah. Er roch nach altem Rauch und Alkohol.

      Die beiden Polizisten schauten sich an. „Kalt und tot im Leichenschauhaus, schon klar“, frotzelte Meinhold ihren Kollegen.

      Wendt hatte jetzt als Erster seine Waffe in der Hand. Meinhold registrierte das mit einem Schmunzeln.

      Sie gingen langsam die Treppe hinauf. Wendt ging vor. Die Türe zu Lohses Wohnung war nur angelehnt. Beide lauschten. Nichts war zu hören. Wendt hielt die Waffe im Anschlag, schob die Tür auf und ging in die Wohnung hinein.

      Es roch nach abgestandener Luft. Und nach etwas anderem, Süßlichem. Er tastete sich an der Wand entlang. Meinhold blieb kurz stehen, er drehte sich um, nickte. Schon war sie bei ihm.

      Rechts und links vom Flur gingen Zimmer ab. Meinhold öffnete das Linke, Wendt machte zwei Schritte hinein mit der Waffe in der Hand.

      Niemand. Er kam wieder hinaus, stellte sich vor das Zimmer gegenüber. Er öffnete sie, Meinhold flog hinein.

      Das Bad. Niemand.

      Es gab noch ein Zimmer. Geradeaus. Wendt umklammerte seine Waffe mit beiden Händen. Er fühlte seinen Pulsschlag im Hals.

      Meinhold deutete mit einer kurzen Kopfbewegung auf die Türe. Sie war verglast. Aber man konnte nichts sehen, weil etwas von der anderen Seite über dem Glas hing. Eine Decke oder was auch immer. Rot schien es durch das Glas. Wendt legte die Hand auf die Klinke, stieß die Türe auf.

      Meinhold stürmte mit der Waffe im Anschlag hinein. „Sicher“, schrie sie ihm entgegen. Niemand befand sich in der Wohnung.

      „Was hat der unten denn gehört?“ Wendt steckte den Dienstrevolver zurück in das Holster.

      Er schüttelte den Kopf. Adrenalin wieder runterfahren, sagte er zu sich.

      „Keine Ahnung, was er gehört hat. Aber eins weiß ich, irgendetwas stinkt hier gewaltig.“

      Meinhold schaute sich um. Es gab deutliche Anhaltspunkte dafür, dass jemand dieses Zimmer durchsucht hatte. Sofern Lohse kein Messie war, der es vorzog, seine Sachen auf dem Boden zu verstreuen. Über allem lag dieser Gestank.

      „Hmh habe ich auch schon bemerkt.“

      Wendt hielt schon das Handy in der Hand und rief die Spurensicherung an.

      „Denkst du auch, dass hier jemand nach etwas gesucht hat?“

      Ihr Blick fiel auf ein kleines Buch, was auf dem zerwühlten Bett lag. Das Licht fiel nur fahl durch die halb geschlossenen, dicken Vorhänge. Meinhold zog sich ein paar weiße Einmal-Handschuhe an. Dann nahm sie das Buch in die Hand. Es war gebunden, hatte einen abgegriffenen, broschierten Einband.

      Sie öffnete das Buch, blätterte darin, schwieg. Ohne ein Wort zu sagen, gab sie es weiter an Wendt. Der schaute seine Kollegin an, begriff, dass sie etwas Außergewöhnliches gesehen haben musste.