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dieses „unnachahmlichen Lebens“ - nicht etwa die größte, sondern die kleinste. Wie ein Schrein, der den Diamanten der Diamanten enthält, der für sich allein unermesslich viel teurer ist als alle anderen Glanzstücke.

      Und nun der Theatercoup. Der Zauberer führt sein letztes Kunststück vor: diese Karosse ist leer. Der Illusionist entzieht sich den Schmerzen, dem Tod. Er lässt sich selbst verschwinden. Wo ist er? Sucht ihn! Ein wahres Bilderrätsel Der Künstler hat sich das unendlich lange Rollen im Wagen über das holprige Pflaster ersparen wol-len, er hat die Fähigkeit zu fliegen. Den Qualen des Körpers, den Verheerungen, die die Zeit ihm zugefügt hat, entrinnend, schwebt er oben in den Lüften, wie in der Oper der „deus tx machina“ in seiner Luftgondel. Er ist auf einem der Balkone des Hauses der Frau von Beauvais in der Rue Samt-Antoine gelandet, von wo aus er dem Schauspiel zusieht. Lächelt er selber, oder ist es seine geschminkte Mumie? Man vermag es nicht mehr zu unterscheiden. Auf welchem der drei Balkone sitzt er? Er hat den Historikern eine solche Wolke von Puder ins Gesicht gestreut, dass sie nicht mehr klar sehen können. Einige behaupten, ihn auf dem Balkon der Königinmutter zu erblicken: die beiden Liebenden, auf dem Höhepunkt ihres gemeinsamen Werks vereint, nehmen unter Tränen die jubelnden Zurufe der Bevölkerung entgegen. Andere sagen, auf dem mittleren Balkon, dem größten und am weitesten vorspringenden, habe unter einem Baldachin die Königinmutter gesessen, zu ihrer Rechten die Königin von England und deren Tochter, die spätere Herzogin von Orleans.

      Auf dem zweiten Balkon befinden sich die Hofdamen der Königinnen. Unter ihnen Marie Mancini, von innerer Erregung geschüttelt, und Madame Scarron, die dann Madame de Maintenon wird: das Gestern und das Morden, die Schauspielerinnen des Stückes, denen das Schicksal den Augenblick ihres Auftritts und Abgangs von der Bühne bezeichnet.

      Auf dem dritten Balkon „der Herr Kardinal von Mazarin, der fast die ganze Zeit Herrn von Turenne im schwarzen Habit bei sich hatte . . .“

      Als der König unter dem Balkon ankommt, lässt er sein Pferd schwenken. Mit der ihm eigenen, unnachahmlichen Würde zieht er den mit weißen Federn geschmückten Hut und grüßt lange und ehrerbietig seine Mutter und den Kardinal. Seine Mutter, die er verehrt und in der vielleicht schon die Krebsgeschwulst schwärt, an der sie fünf Jahre später stirbt. Den Kardinal, der ihn geformt und der ihm seinen Thron bewahrt, der ihm die Wege zu einer großen Regierungszeit geebnet hat und der unter seinem Purpurgewand bereits ein Leichnam ist.

      Madame Scarron, die spätere heimliche Gemahlin des Königs, sie selber also spätere Königin von Frankreich, ist fasziniert von dieser göttlichen Grußbezeigung. Am Tag darauf schreibt sie an eine Freundin, in ihren Worten offenbart sich ihre Höflings Seele. „Ich glaube nicht, dass man etwas Schöneres erleben kann. Die Königin hat sich gestern Abend, sicherlich völlig überwältigt von dem Ehemann, den sie sich erwählt hat, schlafen gelegt.“ „Völlig überwältigt“, wie ganz Frankreich, das verliebt in seinen König ist. Aber was soll das heißen: „der Ehemann, den sie sich erwählt hat“?

      In der Menschenmenge stehen auch zwei Dichter, die das Ereignis besingen: Racine, zwanzig Jahre, La Fontaine, neununddreißig Jahre alt. Racine verfasst eine höfische Ode, „Die Nymphe der Seine“, und lässt sie durch seinen Vetter Charles Perrault vorlegen. Der Verfasser der „Märchen“ wirft Racine vor, er habe die neue Königin mit Venus, der Prostituierten, verglichen. Und persönlich trägt Racine seine Ode zu Chapelain, dem allmächtigen Papst der Literatur, der wiederum den Ausdruck „die Tritonen der Seine“ bemängelt. Denn die „Tritonen“ leben nur in Salzwasser, und deswegen muss Racine die ganze Strophe umdichten. Am liebsten hätte er sie wohl alle ertränkt!

      La Fontaine hingegen, der ewige Anfänger, denkt nicht daran, irgendjemand den Hof zu machen. Dem prächtigen Maultier-Aufzug Seiner Eminenz gegenüber lässt er eher Bosheit und Spott in seinem Gedicht anklingen. Er bezeigt gallische Impertinenz, er macht deutlich, dass in jedem Franzosen, auch wenn er ein Dichter ist, ein misstrauischer Steuerzahler steckt. Was hat das alles gekostet?

      Es war nicht der Prunk allein, der Ludwigs Zuschauer mitriss. Prächtige Auftritte des Königs war man in Paris gewöhnt. Es war vielmehr die Lebenslust, die der königliche Hof auf einmal ausstrahlte. Das übermütige Selbstbewusstsein nach den Jahren des Streits und des Krieges. Seht her!, schien der König zu rufen, als er in seinem silbernen Gewand neben der Karosse seiner Gemahlin durch die Straßen ritt. Seht her, ich bringe euch den Frieden! Ich bringe euch die Jugend! Ich bringe euch die Zukunft!

      Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren statt der bisher nur alte Männer, die ihre griesgrämige Macht ausgeübt hatten. Zweiundzwanzig Jahre auch seine Gemahlin, die als süßestes aller Geschenke den Frieden mitbrachte: Maria Theresia, deren Haar wie Gold in der Sonne leuchtete. Viel mehr als das konnte man von ihr nicht sehen. Nur dieses wunderbare Haar und eine kleine weiße Hand, die - von einem großen Diamantring beschwert - aus dem Fenster winkte. Doch das genügte schon, um die Zuschauer zu begeistern. Sie sei bereits guter Hoffnung, erzählte man sich. Aber das konnte auch ein bloßes Gerücht sein - wie ganz Paris in diesen Tagen voll war von Gerüchten, eines erfreulicher als das andere. Ein zerrissenes, verunsichertes Volk fand sich selbst wieder, war aufgeregt und begeistert und glaubte endlich wieder daran, dass von nun an alles besser werden würde; dass das glorreiche Frankreich zum Wohlstand zurückkehrte, zur Einigkeit und vielleicht sogar zur Vorherrschaft über die anderen Völker des Kontinents.

      Die junge Königin habe Ludwig das Versprechen abgenommen, jede Nacht bei ihr zu beenden, erzählte einer und schwor, seine Quellen seien sicher. Wie spät es auch immer sei, dass er zu Bett gehe: Es müsse immer das ihre sein. Alle lachten. „Spanische Weisheit!“, erklärte man. Ein anderer berichtete, wenn der König Maria Theresia seine Gunst erwiesen habe, bekreuzige sie sich und riefe nach dem Segen der Heiligen Jungfrau. Bei Hofe nenne man diesen Vorgang inzwischen schon „zu Maria kommen“, weil sogar Ludwig selbst einmal gesagt habe, auch er ziehe es vor, im Zimmer seiner Gemahlin zu schlafen. Da könne man bequemer „zu Maria kom-men“. Lange Diskussionen über die Liebesgewohnheiten der Spanier folgten, die den Franzosen nach der langen Feindschaft fast genauso exotisch vorkamen wie die Völker des tiefsten Afrika.

      „Niemand vermisst mich!“, beklagte sich Anna leise, während auf der Straße die Menschen sangen und tanzten. „Ich will die Aufmerksamkeit nicht von Ihnen ablenken“, hatte sie zu Ludwig und Maria Theresia gesagt. „Deshalb werde ich einen Tag vor Ihnen inkognito nach Paris fahren und als einfache Zuschauerin an Ihrem Triumph teilnehmen.“

      Dass es ein solcher Triumph werden würde, hatte Anna allerdings nicht erwartet. Auch nicht, dass es keine einzige Stimme gab, die nach ihr rief. Bisher war sie die Königin gewesen, die Erste Dame, wo auch immer sie auftrat. Dass auf einmal niemand mehr nach ihr zu fragen schien, versetzte ihr einen Schlag, der ihr wehtat. Sie sah den Diamanten, der an Maria Theresias kleiner Hand in der Sonne blitzte, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass von nun an diese junge Frau die Stelle einnehmen würde, die bisher ihr, Anna, zugekommen war.

      Von Anfang an war Anna entschlossen gewesen, ihre Schwiegertochter und Nichte zu lieben wie ein eigenes Kind. Inzwischen fühlte sie sich allerdings ernüchtert. Maria Theresia hatte ihre Erwartungen enttäuscht. Dass sie die französische Sprache nicht beherrschte, konnte ihr nicht angelastet werden. Ebenso wenig, dass ihr Verstand unter dem Durchschnitt geblieben war. Maria Theresia war verspielt wie ein Kind. Nie war sie glücklicher, als würde sie mit ihren Schoßtieren und Zwerginnen spielen konnte, und immer stand ein Tellerchen mit Naschwerk dabei. Auch ihr Umgang mit Ludwig hatte etwas Treuherziges und Kindliches. Wenn Maria Theresia Liebe machte, tat sie es auf die gleiche naiv-sinnliche Weise, mit der sie ihre Pralinen genoss oder den Finger in die Marmelade tauchte.

      Anna, die die beiden aufmerksam beobachtete, hatte den Eindruck, dass Ludwig dennoch mit seiner Ehe zufrieden war. Doch Wie lange noch? Wie sollte sich ein Mann, der der Liebhaber von Oympia Mancini gewesen war und Marie Mancini geliebt hatte, auf Dauer mit einer Frau begnügen, die immer noch jeden Morgen klatschte, um den Hofstaat über seine nächtliche Leistungen zu informieren, und die immer noch davon überzeugt war, dass ein König nur eine Königin lieben könne?

      Sie blickte hinunter auf die Straße, wo nun hinter dem Wagen der Königin die Equipagen des Kardinals auftauchten. Auch ihnen winkte das Volk gutmütig zu. Längst hatte man