Unter der Sonne geboren - 2. Teil. Walter Brendel

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Название Unter der Sonne geboren - 2. Teil
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966511872



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im Namen Gottes - es durfte nicht gebrochen werden, auch nicht in Gedanken. „Verzeih mir, Herr!“, mur-melte Philipp und bekreuzigte sich. Dann befahl er mit lauter Stimme, man solle noch vor dem Abendessen seinen Beichtvater zu ihm schicken.

      In Frankreich nannte das Volk Maria Theresia die „Braut mit dem Frieden als Mitgift“. Allein schon dafür liebte man sie. In der langen Geschichte Frankreichs war nur selten eine Hochzeit so allgemein bejubelt worden. Man glaubte fest daran: Mit dem Eheversprechen zwischen Ludwig und Maria Theresia würde eine Friedenszeit be-ginnen, ein Goldenes Zeitalter, in dem Milch und Honig flössen.

      Auch die Hochzeitsgesellschaft war sich der eigenen Bedeutung bewusst. Hatte man die Fahrt nach Süden noch als eine Art Vergnügungsreise begonnen, so änderte man nach und nach diese Einstellung und sah sich selbst als Teil eines geschichtlichen Ereignisses. Man fühlte sich wie unter einer Glasglocke: von allen gesehen, doch zugleich auch von allem getrennt. Ein kleiner Kosmos mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich immer mehr einspielten, sodass man sich nach ein paar Wochen schon nicht mehr vorstellen konnte, wieder sesshaft zu sein.

      Schon immer waren die französischen Könige durch ihr Land gezogen, doch nie war man so lange von Paris fortgeblieben. Das war schon keine Reise mehr, die als Ausnahmefall zwischen Phasen der Ruhe stattfand. Nein, die Hochzeitsfahrt Ludwigs XIV. war ein Zustand an sich. Freundschaften und Liebesbeziehungen entstanden, Feindschaften brachen aus. Kinder wurden unterwegs geboren, und Menschen erkrankten und mussten an fremden Orten zurückgelassen werden, wo sie vielleicht sogar sterben würden.

      Zu allem Erfreulichen war soeben auch noch die Nachricht eingetroffen, dass Karl II. am 31. Mai, seinem dreißigsten Geburtstag, auf den englischen Thron zurückgekehrt war. Damit war die Zeit der bürgerlichen Emporkömmlinge unter Cromwell, die seinen Vater ermordet hatten, endgültig vorbei. Das Blatt hatte sich gewendet. Das Jahr 1660 war das beste Jahr für Könige seit langer Zeit, und wenn Gott es wollte, konnte alles so wunderbar weitergehen, wie es angefangen hatte.

      Das Erscheinen der jungen Königin

      Maria Theresia erscheint in ihrem ersten französischen Kleid. Frankreich umweht sie mit seiner Luft, sie ist umhüllt von rosenroter, mit Gold und Silber bestickter Seide und umflutet vom Feuer ihrer Juwelen.

      In Saint-Jean-de-Luz nimmt Maria Theresia ihre erste französische Mahlzeit ein in dem Haus, in dem Anna von Österreich residiert.

      Am 8. Juni: Anproben. Es ist der Tag der Schneiderinnen und Friseure. Line der beiden Hauptfiguren des großen Schauspiels wird für die Bühne zurechtgemacht. Am 9. Juni: die Eheschließung in Saint-Jean-de-Luz. Vor den Häusern, in denen die Mitglieder der königlichen Familie wohnen, ist der Erdboden mit kostbaren Teppichen bedeckt. Auf beiden Seiten des Weges erheben sich weiß-goldene Säulen, die durch Girlanden verbunden sind. Die Regimenter der Schweizer und französischen Garden stehen Spaliere. Ohrenbetäubendes Geläut der Glocken. Und natürlich eine ungeheure Menschenmenge, die vor Begeisterung jubelt, als sähe sie Gott und seine Engel.

      Der Hochzeitszug bewegt sich zu Fuß voran. An der Spitze der Prinz von Conti. Dann Kardinal Mazarin, stärker noch als sonst geschminkt, parfümiert und gelockt; er verbirgt seine Schmerzen unter seinem Hermelinkragen und seinem wallenden Purpurgewand.

      Ganz allein, der König. Wie ist er gekleidet? Die Grande Mademoiselle hat plötzlich ihr Gedächtnis verloren. Sie sagt in ihren Memoiren nichts darüber. In Fontarabia hat sie genau gesehen, wie Philipp IV. angezogen war.

      Wahrscheinlich erinnert sie sich nicht mehr, weil sie Ludwig XIV. hatte heiraten wollen und weil diese Hochzeit den Zusammenbruch ihrer Träume bedeutet. „Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie er gekleidet war. Ich glaube, dass er sehr mit Gold bestickt war, und Monsieur ebenfalls. Dass ihre Hutbänder mit Diamanten besetzt waren. Ich glaube, dass Monsieur die Königin führte.“ Augenzeugen, die ein besseres Erinnerungsvermögen haben, bezeugen, dass der König ein Habit aus Goldstoff mit schwarzen Verzierungen trug.

      Maria Theresia hat zu ihrer Rechten den Herzog von Orleans, den Bruder des Königs, zu ihrer Linken ihren Ehren-Chevalier, Herrn von Bernaville. Über ihrer Silberbrokatrobe trägt sie einen lilafarbenen Samtumhang, der mit goldenen Lilien bestickt und zehn Ellen (zwölf Meter) lang ist. Diese samtene Flut wird seitlich von den Damen von Valois und Alencon gehalten, und das Ende der Schleppe von der Prinzessin von Carignan. Zwei Damen halten die Krone über dem Haupt der neuen Königin.

      Schwarze, mit Silber durchwirkte Schleier mildern die Spuren, die die Zeit bei der Königinmutter hinterlassen hat; sie bewahrt die Schönheit einer prächtigen Rose, die langsam verwelkt.

      Am Ende des Zuges geht die Grande Mademoiselle, in Schwarz, um den Hals eine aus zwanzig Reihen bestehender Perlenkette. Sie trägt Trauer um ihren Vater und um ihre dahingeschwundenen Illusionen. Als der Festzug die Kirche erreichte, hatte die Hochzeitsgesellschaft drinnen bereits ihre Plätze eingenommen. Als wären sie nicht Gäste, sondern nur Zuschauer, versuchten alle, die Neuvermählten zu sehen, als sie sich unter ihren Thronhimmel begaben, der mit den Lilien der Bourbonen bestickt und mit Helmbüschen geschmückt war. Für Königin Anna war ein separater Platz auf ei-ner mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Estrade vorbereitet, überwölbt von einem Baldachin aus dem gleichen Stoff.

      Der Bischof von Bayonne vollzog die Trauung. Maria Theresia, die sonst so leicht in Tränen ausbrach, blieb gefasst. Sie hatte erreicht, was sie immer ersehnt hatte. Doch es war nicht die Krone von Frankreich, um die es ihr ging. Viel lieber wäre sie Königin von Spanien gewesen. Nein, es war dieser junge Mann an ihrer Seite, der Einzige auf der Welt, der ihr ebenbürtig war.

      Wie allen Infantinnen war auch Maria Theresia von ihrem Beichtvater erzählt worden, dass Könige nur Königinnen lieben könnten, und Umgekehrt sei es genauso. Maria Theresia hatte es geglaubt, wie die spanischen Prinzessinnen vor ihr. Kein einziges Mal hatte sie einem anderen Mann absichtlich in die Augen geblickt. Immer hatte es nur Ludwig für sie gegeben, obwohl sie ihn noch nicht mal gekannt hatte. Als ihr ihre Zwergin zuflüsterte, Ludwig poussiere mit einer Italienerin, hatte Maria Theresia nur gleichgültig die Achseln gezuckt.

      Nach der Trauung erhoben sie sich von ihren Samtkissen. Die Damen ordneten Maria Theresias Mantel und Schleppe. Dabei blickte die junge Königin verstohlen zur Seite. Sie hatte Glück. Ihre und Ludwigs Augen begegneten einander. Maria Theresias erster Impuls war, sich schnell wieder wegzudrehen. Dann aber fasste sie sich ein Herz und schaute ihrem Gemahl geradewegs in die Augen. Auch er blickte sie an. Dann lächelte er plötzlich und neigte kaum merklich den Kopf. Maria Theresia wurde blutrot. Sie wagte nicht, Ludwigs Lächeln zu erwidern, doch während sie sich wieder abwandte, dachte sie in Dankbarkeit an ihren Beichtvater, als hätte er das wunderbare Gesetz königlicher Liebe erwirkt.

      Wolken von Weihrauch erfüllten das Gotteshaus, und die Glocken läuteten noch kräftiger als zuvor, als der Bischof mit seiner Begleitung den Neuvermählten voranschritt. Die königliche Familie und die Hochzeitsgäste schlössen sich an. Unter dem Jubel der Zuschauer traten sie durch das Hauptportal hinaus auf den sonnigen Vorplatz.

      Als sich die Kirche geleert hatte, löschten Ministranten die Kerzen, und ein Priester verschloss unter dem Beifall der Bevölkerung das Hauptportal. Bis in alle Ewigkeit, so hatte Königin Anna verfügt, sollte dieses Tor nicht mehr geöffnet werden, um die nachfolgenden Generationen daran zu erinnern, welch erhabenes und glückliches Ereignis hier stattgefunden hatte.

      Nach der Zeremonie Festmahl des Königs, der beiden Königinnen und Monsieurs. Vom Balkon herunter bedanken sich die Neuvermählten für die Zurufe des Volkes und werfen Geldstücke in die Menge.

      Es war noch Nachmittag und ganz hell, als Ludwig plötzlich erklärte, es sei nun an der Zeit, schlafen zu gehen. Niemand antwortete, nur Maria Theresia rief entsetzt: „Aber es ist doch noch viel zu früh!“

      Dann schlug sie, erschrocken über ihre eigene Auflehnung, die Hände vor den Mund, erhob sich schnell und lief in ihr Schlafgemach. Dort befahl sie ihren Kammerfrauen, die Vorhänge ganz dicht zuzuziehen und ihr danach gleich beim Auskleiden zu helfen. Auch sie schien es auf einmal eilig zu haben. „Rasch!“, trieb sie ihre Hofdamen an. „Beeilt euch! Der König erwartet mich!“

      Sie