Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke
Автор произведения Sinclair Lewis
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4066338121103



Скачать книгу

      5

      Aus der Wochenschrift »Der Unverzagte«:

      »Eines der reizvollsten gesellschaftlichen Ereignisse der letzten Monate fand Dienstag abend gelegentlich des Einzugsschmauses von Dr. und Frau Kennicott statt, die ihr entzückendes Heim in der Poplar Street neu eingerichtet haben, das jetzt ganz modern gehalten ist. Der Doktor und seine junge Frau empfingen ihre zahlreichen Freunde, und eine Anzahl neuer Unterhaltungen wurde zum besten gegeben, darunter ein chinesisches Orchester in echt orientalischen Originalkostümen, welches der Herausgeber dirigierte. Angenehme Erfrischungen in echt orientalischem Stil wurden gereicht, und man sagte einstimmig, daß man sich köstlich unterhalten habe.«

      6

      Eine Woche später gaben die Dashaways eine Gesellschaft. Der Kreis der Leidtragenden rührte sich den ganzen Abend nicht vom Fleck, und Dave Dyer lieferte die »Nummer« vom Norweger und der Henne.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      1

      Gopher Prairie arbeitete angestrengt für den Winter. Ende November und den ganzen Dezember schneite es täglich; das Thermometer zeigte Null Grad und konnte auf zwanzig oder dreißig Grad Kälte fallen. Der Winter ist im nördlichen Mittelwesten keine Jahreszeit, er ist eine Industrie. Vor jeder Tür werden Schneewehren aufgerichtet. In jedem Block sah man die Hausbesitzer – Sam Clark, den reichen Herrn Dawson, alle außer dem asthmatischen Ezra Stowbody, der extravagant genug war, einen Jungen dafür anzustellen – gefährliche Leitern hinaufsteigen, Winterfenster herbeibringen und sie in den Gewänden im zweiten Stock einschrauben. Während Kennicott seine Fenster einsetzte, tanzte Carola drinnen in den Schlafzimmern umher und bat ihn, die Schrauben nicht zu verschlucken, die er wie ein absonderliches falsches Gebiß im Mund hatte.

      Das allgemeine Wintersignal war das Faktotum der Stadt – Miles Bjornstam, ein großer, dicker Junggeselle mit rotem Schnurrbart, überzeugter Atheist, Polemiker in allen Läden, ein zynischer St. Nikolaus. Die Kinder liebten ihn, und er schlich sich von der Arbeit weg, um ihnen unwahrscheinliche Geschichten vom Pferdehandel, von Seefahrten und Bären zu erzählen. Die Eltern der Kinder lachten entweder über ihn oder haßten ihn. Er war der einzige Demokrat in der Stadt. Er rief sowohl Lymann Cass, den Müller, wie den finnischen Heimstättner vom Verlorenen See beim Vornamen. Er war als der »Rote Schwede« bekannt und wurde für nicht ganz normal gehalten.

      Bjornstam konnte mit seinen Händen alles machen – Pfannen löten, Automobilfedern schweißen, erschrockene Fohlen beruhigen, an Uhren basteln, Schiffe schnitzen, die zauberhafterweise in Flaschen gingen. Jetzt war er auf eine Woche Generalkommissar von Gopher Prairie. Er war außer dem Monteur bei Sam Clark der einzige Mensch in der Stadt, der sich aufs Installieren verstand. Alles bat ihn, die Heizungen und die Wasserleitungsrohre nachzusehen. Er eilte bis in den späten Abend, bis zehn Uhr, von Haus zu Haus. Eiszapfen von geborstenen Leitungsrohren hingen am Saum seines braunen Hundefellmantels; seine Plüschkappe, die er im Haus nie abnahm, war eine undefinierbare Masse aus Eis und Kohlenstaub; seine Hände waren rissig; er kaute an einem Zigarrenstummel.

      Aber gegen Carola war er höflich. Er bückte sich, um die Heizung zu untersuchen; er richtete sich auf, sah an ihr herunter und stotterte: »Ihre Heizung muß ich in Ordnung bringen, ganz wurscht, was ich sonst noch zu tun hab'.«

      Die Farmer kamen auf selbstgemachten Schlitten in die Stadt, in den rohen Schlittenkästen hatten sie Bettdecken und Heuballen.

      Pelzmäntel, Pelzmützen, Pelzfäustlinge, Überschuhe, die fast bis an die Knie reichten, zehn Fuß lange gestrickte graue Schals, dicke Wollsocken, Segeltuchjacken, die mit weicher gelber Wolle wie mit Flaumfedern gefüttert waren, Mokassins, rote Flanellpulswärmer für die aufgesprungenen Handgelenke der Jungen – alle diese Schutzmittel gegen den Winter wurden eifrig aus den Schubläden und Schränken, in denen sie eingemottet waren, herausgezogen, und in der ganzen Stadt kreischten Jungen: »Oh, da sind meine Fäustlinge!« oder: »Sieh mal, meine Riemenschuhe!« Der keuchende Sommer und der stechend kalte Winter der Ebenen im Norden sind so scharf voneinander getrennt, daß sie mit einem Gefühl der Überraschung und des Heldenmuts diese Polarforscherausrüstung wiederentdeckten.

      Die Winterkleider schlugen sogar den persönlichen Klatsch als Gesprächsthema der Gesellschaften aus dem Felde. Es gehörte zum guten Ton, zu fragen: »Tragen Sie schon Ihre warme Wäsche?« Es gab ebensoviel Unterschiede zwischen Mänteln wie zwischen Automobilen. Die Geringeren erschienen in gelbschwarzen Hundefellmänteln, Kennicott aber strahlte in einem langen Waschbärulster und einer neuen Sealkappe. Als der Schnee für sein Automobil zu tief geworden war, übte er seine Landpraxis in einem funkelnden, eleganten, verstählten Schlitten aus, und nur seine gerötete Nase und die Zigarre sahen aus dem Pelz hervor.

      Carola selbst erregte in der Hauptstraße mit einem weiten Nutriamantel Aufsehen. Ihre Fingerspitzen liebten den seidigen Pelz.

      Ihre Hauptbeschäftigung bestand jetzt darin, in dieser automobilwahnsinnigen Stadt sportliche Veranstaltungen im Freien zu organisieren.

      Automobil und Bridge hatten nicht nur die sozialen Unterschiede in Gopher Prairie deutlicher gemacht, sie hatten auch der Liebe zur Bewegung Abbruch getan. Man sah so reich aus, wenn man dasaß und fuhr – und es war so leicht. Skilaufen und Rodeln war »idiotisch« und »altmodisch«. Das Dorf sehnte sich tatsächlich ebenso nach den eleganten Zerstreuungen der Stadt, wie die Städte nach dem ländlichen Sport; und Gopher Prairie war ebenso stolz darauf, nicht zu rodeln, wie St. Paul – oder New York – stolz darauf war, rodeln zu gehen. Mitte November veranstaltete Carola ein schönes Eisfest. Der Regenpfeifersee glitzerte in graugrünem Eis, klirrte unter den Schlittschuhen. Am Ufer klapperte das vereiste Schilf, im Wind, hingen Eichenzweige mit hartnäckigen letzten Blättern vor einem milchweißen Himmel. Harry Haydock lief Achter, und Carola war sicher, die Vollkommenheit des Lebens entdeckt zu haben. Als aber der Schnee dem Schlittschuhlaufen ein Ende machte und sie eine Schlittenpartie im Mondschein zustande bringen wollte, zögerten die Ehefrauen und wollten sich nicht von ihren Heizungen und den täglichen Bridgeimitationen der Großstadt losreißen. Sie mußte ihnen zusetzen. Sie schossen einen langen Abhang auf einem Bobsleigh hinunter, sie warfen um und bekamen Schnee in den Hals, sie riefen, sie würden es sofort wiederholen, und taten es nie wieder.

      Sie plagte eine andere Gruppe, bis man Ski lief. Sie riefen, warfen Schneeballen und erzählten ihr, es sei so lustig und sie würden gleich am nächsten Tag wieder einen Skiausflug machen; sie gingen vergnügt heim und verließen nie wieder ihre Bridgeblocks.

      Am Nachmittag desselben Tages wurde Kennicott über Land gerufen. Bea hatte ihren Abendausgang – ihren Ausgang für den Lutheranerball. Carola war von drei Uhr bis Mitternacht allein. Sie war es müde geworden, keusche Liebesgeschichten in den Magazinen zu lesen, saß an der Heizung und begann zu grübeln.

      So kam sie darauf, daß sie nichts zu tun hatte.

      2

      Carola grübelte. Die Neuheit des Stadtbesichtigens und Leutekennenlernens, die Neuheit des Eislaufens, Rodelns und Jagens hatte sie hinter sich. Bea war tüchtig, es gab keine Hausarbeit außer Nähen, Stopfen und dem Plaudern, wenn sie Bea beim Bettmachen half. Ihrer Begabung zum Erfinden von Mahlzeiten konnte sie nicht Genüge tun. In Dahl & Olesons Fleischerei machte man nicht Bestellungen – man fragte ängstlich, ob es heute außer Steak, Schweinefleisch und Schinken noch etwas anderes gebe. Die Rindfleischschnitten waren keine Schnitten, sie waren Fetzen. Hammelkoteletts waren etwas ebenso Exotisches wie Haifischflossen. Die Fleischlieferanten verluden ihre beste Ware in die Städte, zu höheren Preisen.

      In allen Läden gab es gleich wenig Auswahl. Sie konnte keinen Bildernagel mit Glaskopf im Ort bekommen; sie suchte nicht nach dem Schleier, den sie haben wollte – sie nahm, was sie bekam; und nur bei Howland & Gould gab es solche Luxusgegenstände wie Büchsenspargel. Ordnung