Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Sinclair Lewis |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4066338121103 |
Sie dachte flüchtig: »Es wäre schön, selbst ein Kind zu haben. Ich möchte eines. Ein kleines – Nein! Noch nicht! Es ist so viel zu tun. Und ich bin auch noch müde von meiner Stellung. Ich spür' es noch in den Knochen.«
Sie ruhte daheim aus. Sie lauschte den Dorfgeräuschen, die in aller Welt, in der Dschungel und in der Prärie die gleichen sind. Geräusche, einfach und mit Zauber geladen – bellende Hunde, Hühner, die einen gurgelnden Ton der Zufriedenheit hervorbringen, Kinder beim Spiel, ein Mann, der einen Teppich klopft, der Wind in den Pappeln, eine zirpende Heuschrecke, Schritte auf dem Weg, die lebhaften Stimmen von Bea und einem Kaufmannsjungen in der Küche, ein klirrender Amboß, ein Klavier – nicht zu nahe.
Mindestens zweimal in der Woche fuhr sie mit Kennicott ins Land, um auf Seen, die im Sonnenuntergang wie Emaille schimmerten, Enten zu jagen, oder um Patienten zu besuchen, die zu ihr als der Frau des Edelmanns aufsahen und ihr für Spielzeug und Zeitschriften dankten. An den Abenden war sie mit ihrem Mann im Kino und wurde von allen anderen Paaren lärmend begrüßt; oder sie saßen, solange es noch nicht zu kalt war, auf der Veranda, riefen Leuten, die im Automobil vorbeifuhren, oder Nachbarn, die Blätter zusammenrechten, etwas zu. Der Staub färbte sich golden im Licht der tiefstehenden Sonne; die Straße war voll vom Duft heißer Blätter.
5
Aber nebelhaft wünschte sie sich jemand, dem sie sagen könnte, was sie dachte.
An einem trägen Nachmittag, als sie trödelnd nähte und wünschte, das Telephon sollte klingeln, meldete Bea Fräulein Vida Sherwin.
Wenn man Vida Sherwin genau betrachtet hätte, würde man trotz ihrer munteren blauen Augen gesehen haben, daß ihr Gesicht leichte Linien zeigte und, wenn auch nicht bleich, so doch ohne blühende Farben war; man hätte gesehen, daß ihre Brust flach und ihre Finger von Nadel, Kreide und Federhalter rauh waren; daß ihre Blusen und glatten Tuchröcke nichts Persönliches hatten, und daß ihr Hut, den sie zu weit hinten trug, eine nüchterne Stirn frei ließ. Aber man sah Vida Sherwin nie genau an. Man konnte nicht. Ihre elektrisierende Rastlosigkeit hüllte sie in einen Schleier. Sie hatte die Lebhaftigkeit eines Wiesels. Ihre Finger flogen; ihre Zuneigung äußerte sich in Eruptionen; sie saß ganz am Rande des Stuhls vor Eifer, ihrem Zuhörer nahe zu sein, ihm ihre Begeisterung und ihren Optimismus aufzuzwingen.
Sie flog ins Zimmer und legte los: »Ich fürchte, Sie werden es für eine Schlechtigkeit halten, daß die Schulleute Sie noch nicht aufgesucht haben, aber wir wollten Ihnen zuerst Ruhe beim Einrichten lassen. Ich bin Vida Sherwin und versuche Französisch und Englisch und noch ein paar Sachen in der Hochschule zu unterrichten.«
»Ich habe gehofft, die Lehrkräfte kennenzulernen. Wissen Sie, ich war Bibliothekarin –«
»Oh, Sie brauchen mir nichts zu erzählen, ich weiß alles von Ihnen! Schrecklich, wieviel ich weiß – dieses verklatschte Dorf. Wir brauchen Sie hier so sehr. Es ist eine liebe, treue Stadt (und Treue ist doch das Schönste auf der Welt!), aber sie ist ein ungeschliffener Diamant, und wir brauchen Sie zum Polieren, und wir sind so voller Demut –« Sie mußte Atem holen und vollendete ihr Kompliment mit einem Lächeln.
»Wenn ich Ihnen nur helfen könnte – würde ich eine Todsünde begehen, wenn ich ganz leise sagte, daß ich Gopher Prairie für ein klein wenig häßlich halte?«
»Natürlich ist es häßlich. Fürchterlich! Obwohl ich wahrscheinlich der einzige Mensch in der Stadt bin, dem Sie das getrost sagen können. (Vielleicht außer dem Rechtsanwalt Guy Pollock – haben Sie ihn kennengelernt? Oh, Sie müssen! – Er ist wirklich ein reizender Mensch – intelligent und gebildet und so fein.) Aber ich mach' mir nicht viel aus der Häßlichkeit. Das wird sich ändern. Es ist der Geist, der mich hoffen läßt. Der ist gesund. Vernünftig. Aber ängstlich. Er braucht lebendige Geschöpfe wie Sie, die ihn aufwecken können.«
»Ausgezeichnet. Was soll ich tun? Ich habe darüber nachgedacht, ob es nicht möglich wäre, einen guten Architekten herkommen und Vorträge halten zu lassen.«
»Ja–a, aber meinen Sie nicht, daß es besser wäre, mit schon existierenden Einrichtungen zu arbeiten? Vielleicht klingt es Ihnen etwas dumm, aber ich dachte – Es wäre entzückend, wenn wir Sie für den Unterricht in der Sonntagsschule gewinnen könnten.«
Carola zeigte den leeren Ausdruck eines Menschen, der merkt, daß er einen völlig Fremden gegrüßt hat. »O ja. Aber ich fürchte, ich würde mich nicht gut dafür eignen. Meine Religion ist so verschwommen.«
»Ich weiß. Meine auch. Ich mach' mir nicht so viel aus Dogmen. Obwohl ich natürlich am Glauben an die Vaterschaft Gottes, die Brüderschaft der Menschen und die Führerschaft Jesu festhalte. Wie Sie natürlich auch.«
Carola sah wohlanständig drein und dachte daran, Tee zu trinken.
»Und das ist alles, was Sie in der Sonntagsschule zu unterrichten brauchen. Der persönliche Einfluß macht es. Dann haben wir den Bibliotheksausschuß. Dort könnten Sie sehr nützlich sein. Und natürlich ist unser Frauenstudierklub da – der Thanatopsis-Klub.«
»Tut man dort etwas? Oder hält man Vorträge, die aus dem Lexikon stammen?«
Fräulein Sherwin zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber doch, sie sind so ernsthaft, sie werden auf Sie eingehen, weil Sie neu und wichtig sind. Und der Thanatopsis leistet ziemlich viel Gutes – sie haben die Stadt dazugebracht, viele Bäume zu pflanzen, und sie leiten den Warteraum für die Farmerfrauen. Und sie haben so viel Interesse für Bildung und Kultur. So – wirklich, so einzigartig!«
Carola war durch nichts eigentlich Greifbares enttäuscht. Sie sagte höflich: »Ich muß mir alles überlegen. Ich muß mich zuerst eine Zeitlang umsehen.«
Fräulein Sherwin sprang auf sie zu, fuhr ihr über das Haar und starrte sie an. »Ach, meine Liebe, glauben Sie, ich weiß das nicht? Diese ersten zärtlichen Tage der Ehe – sie sind mir heilig. Das Heim, die Kinder, für die Sie da sein müssen, die ohne Sie nicht leben könnten und sich mit ihrem runzlichen kleinen Lächeln an Sie wenden. Und der Herd und –« Sie verbarg Carola ihr Gesicht, während sie sich mit dem Kissen auf ihrem Sessel zu schaffen machte, fuhr aber mit ihrer früheren Lebhaftigkeit fort:
»Ich meine nur, Sie müssen uns helfen, wenn Sie so weit sind … Ich fürchte, Sie werden mich für konservativ halten. Das bin ich auch! Es ist ja so viel zu konservieren. Der ganze Schatz amerikanischer Ideale. Festigkeit und Demokratie und Tüchtigkeit. Vielleicht nicht in Palm Beach, aber, Gott sei Dank, wir kennen solche sozialen Unterschiede hier nicht. Ich hab' nur eine gute Eigenschaft, einen überwältigenden Glauben an das Hirn und das Herz unserer Nation, unseres Staates, unserer Stadt. Der ist so stark, daß ich manchmal ein ganz klein wenig Einfluß auf die hochmütigen oberen Zehntausend gewinne. Ich rüttle sie auf und bringe sie zum Glauben an Ideale – ja, an Ideale in ihnen selber. Aber ich fang' schon wieder an zu unterrichten. Ich brauche junge kritische Wesen wie Sie, die mir einen Stoß geben können. Sagen Sie, was lesen Sie?«
»Ich habe ›Die Verdammnis der Theron Ware‹ wieder gelesen. Kennen Sie es?«
»Ja. Es ist klug. Aber hart. Der Mann wollte niederreißen, nicht aufbauen. Zynisch. Oh, ich hoffe, ich bin nicht sentimental. Aber ich kann gar keinen Nutzen an dieser hohen Kunst sehen, die uns gewöhnliche Werkarbeiter nicht ermutigt, weiterzuschuften.«
Es folgte ein fünfzehn Minuten währender Streit über das älteste Thema in der Welt: Es ist Kunst, aber ist es hübsch? Carola versuchte viel über Ehrlichkeit der Beobachtung zu sagen. Fräulein Sherwin verteidigte Lieblichkeit und vorsichtigen Gebrauch der unangenehmeren Eigenschaften des Lichts. Schließlich rief Carola:
»Es macht mir gar nichts,