Sein Horizont. Con Riley

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Название Sein Horizont
Автор произведения Con Riley
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960895015



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zu lassen, ohne sich zu bemühen, ihn zu halten.«

      »Ich … das wusste ich nicht. Warum hast du nicht?«

      »Vorher etwas gesagt?« Tom umfasste sein Handgelenk, so wie Jude nur wenige Minuten zuvor den Mast umklammert hatte, sein Griff war fest aufgrund der vom Seil rauen Finger. »Weißt du noch, wie du warst, als ich dich angestellt habe?«

      Jude dachte nach und nickte dann. Die leichte Übelkeit von vorhin kehrte zurück.

      »Du warst ein Wrack, Jude. Erschöpft. Wie lange warst du zu dem Zeitpunkt schon unterwegs?«

      Auf der Suche. Er war monatelang auf der Suche gewesen, anstatt zum Spaß zu reisen oder Inselhopping zu betreiben, wie so viele Leute in seinem Alter. Er war nicht zum Sightseeing auf die Seychellen gereist oder hatte in den warmen Untiefen Goas geschnorchelt. Stattdessen hatte er den Indischen Ozean auf der Suche nach Neuigkeiten durchforstet, die er seiner Schwester nach Hause bringen konnte.

      »Jude, es hat lange gedauert, bis du deinen Kopf wieder klar bekommen hast.« Tom richtete sich auf und sprach ein Thema an, das Jude nur einmal geäußert hatte, trunken vor Trauer und Müdigkeit. »Deine Eltern sind auf See verschollen …«

      »Das weißt du nicht«, schnauzte Jude. Niemand wusste das ganz sicher.

      Toms Nicken war widerwillig. »Okay. Sie sind wahrscheinlich auf See verschollen, und du hast deswegen getrauert. Das verstehe ich. Das tue ich. Es hat dich viel Überwindung gekostet, weiterzusuchen, obwohl die Chancen, dass sie überlebt haben …« Er verzog das Gesicht, bevor er zu Ende sprach, »… schlecht bis unmöglich stehen.«

      Die Reue war wie eine Schlinge um Judes Hals. Sie zog sich mit jeder Erinnerung enger zusammen.

      »Eine Jacht von der Größe der Aphrodite kann schlimme Stürme überstehen«, sagte Tom. »Das weißt du. Aber wenn ein Schiff von solcher Größe wie das deines Vaters in den schlimmsten Taifun seit Jahrzehnten gerät, und er auch noch der einzige erfahrene Seemann an Bord ist …«

      Judes Kehle schnürte sich noch weiter zu. All das zu wissen, war in den ersten Monaten, in denen er als Crewmitglied für Tom arbeitete, schwer zu ertragen gewesen, da sein Fokus immer auf der Arbeit und dem Absuchen jedes neuen Horizonts nach einem Zeichen seiner Eltern lag. Später, mit Toms Bodenständigkeit, die ihn erdete, hatte Jude in ein ruhigeres mentales Segeln gefunden, auch wenn er immer noch in jedem Hafen nach einem Boot namens »One for Luck« suchte, an dem sein Vater jahrelang gebaut hatte.

      »Ich musste irgendwann nach Hause kommen«, brachte Jude gerade noch heraus und wünschte sich genau in diesem Moment, er wäre irgendwo anders als zu Hause. »Ich habe es Louise versprochen.«

      »Jude, das hast du schon mal gesagt, dann hast du deine Meinung geändert.«

      »Es … es schien zu früh, um aufzugeben«, sagte er. Das war erst ein paar Monate, nachdem die Polizei mitten während des Abendessens in dem Londoner Restaurant, in dem er gearbeitet hatte, aufgetaucht war. Sie hatten ihm Neuigkeiten erzählt, die sein Leben verändert hatten, und von diesem Moment an war Jude entschlossen gewesen, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Mit leeren Händen nach Hause zu kommen …

      Tom ließ Judes Handgelenk ganz langsam los. »Du kannst dir nicht die Schuld geben, dass du sie nicht gefunden hast, Jude. Oder dafür, dass du keine Wrackteile gefunden hast, wo du doch nicht mal genau wusstest, wo du danach suchen solltest. Und du kannst mir auch nicht vorwerfen, dass ich den ganzen Weg hierher gehofft habe, du würdest es dir noch einmal anders überlegen.« Jude schüttelte den Kopf, anstatt zu antworten, also fuhr Tom leise fort. »Ich will nur, dass du dir sicher bist. Wirklich sicher. Wie alt bist du? Um die zwanzig? Ehe du dich versiehst, bist du vierzig wie ich, und hast noch die halbe Welt zu erkunden. Nur weil du eine familiäre Verpflichtung empfindest, dich an ein scheiterndes Unternehmen zu ketten …«

      Der Zorn entlockte Jude mehr Worte als normalerweise. »Ich kette mich an nichts. Ich habe versprochen, dass ich zurückkomme, das ist alles. Um zu helfen, den Pub für den Sommer vorzubereiten. Und es ist kein scheiterndes Unternehmen.« Okay, die Nachrichten seiner Schwester waren in diesem Winter eine Zeit lang nicht gerade positiv gewesen, aber in letzter Zeit klang sie immer fröhlicher, wenn er zu Hause anrief. »Der Pub ist in der Vergangenheit immer gut gelaufen. Wenn die Sommertouristen erst einmal da sind, wird es wie immer laufen.« Abgesehen davon, dass seine Eltern nicht mehr hinter der Theke stehen, dachte er. Er hatte es immer noch nicht akzeptiert. »Mum und Dad hatten nie vor, ihr die Leitung des Anchor so lange zu überlassen. Es sollte nur ein einmaliges Abenteuer sein, bevor sie zu alt waren, um es zu genießen. Wir müssen den Pub nur am Laufen halten, bis sie zurückkommen. Es wird nicht für immer sein.«

      »Okay, okay. Aber frag dich Folgendes, Jude: Du hattest eine große Karriere in London, nicht wahr? Oder zumindest den Beginn einer solchen, wenn du wirklich Halbfinalist bei diesem ›Bester Koch‹-Wettbewerb warst.«

      »Das war ich.« Jetzt kam ihm dieser Wettbewerb vor, als wäre er einer ganz anderen Person passiert.

      Tom legte besorgt die Stirn in Falten. »Ich weiß, du es warst. Ich habe es nachgeschlagen, nachdem ich zugestimmt hatte, dich einzustellen«, gab er zu. »Ich habe gelesen, dass du siegessicher warst, bevor du die Nachricht über deine Eltern erhalten hast.« Er begegnete Judes Blick und hielt ihn fest. »Und ich habe gelesen, dass du, falls du den Wettbewerb gewinnen solltest, vorhattest, mit dem Preisgeld ein eigenes Lokal in London zu eröffnen. In einem Interview hast du gesagt, du seist mit dem Kochen von Pubgerichten aufgewachsen, aber du hältst die gehobene Küche für etwas Besonderes. Du hast unsere Charterkunden mit deinen Menüs ziemlich begeistert.« Tom warf einen Blick auf den Pub, in dem Jude aufgewachsen war. »Glaubst du wirklich, dass du hier etwas so Besonderes finden wirst?«

      So etwas Besonderes?

      Judes Blick glitt auch zur Vorderseite des Pubs, dessen abblätternder Anstrich im Sonnenaufgang sichtbar wurde, zu viel Wartung hier für eine Person allein. Die Schuld lastete schwer, wie der schwarze Anker, der auf das Schild über der Eingangstür des Pubs gemalt war.

      Toms Stimme wurde leiser. »Oder bist du vielleicht stattdessen entschlossen, wegen einer besonderen Person zurückzukommen? Weißt du, ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass das Interview, das ich gelesen habe, einen gewissen Unterton hatte. Darin stand, dass zwischen dir und einem anderen Kandidaten während des Wettbewerbs die Funken flogen. Rob, nicht wahr? Rob Martin?«

      Judes Gehirn beschwor ein geistiges Bild von jemandem herauf, den er so sehr versucht hatte zu vergessen.

      »Der Interviewer hat angedeutet, dass ihr beide Gegensätze seid. Er sagte, du seist todernst, wenn es ums Gewinnen geht, während dieser Rob ein Witzbold sei, der nur spielt. War es ein Fall von ›Gegensätze ziehen sich an‹, Jude? Habe ich deshalb in der ganzen Zeit, in der wir zusammen gesegelt sind, nie bemerkt, dass du jemanden abgeschleppt hast?«

      »Nein«, murmelte Jude und tat sein Bestes, um nicht zu sehen, wie sich Robs Lachfalten über Toms tiefe Falten legten, oder Robs breites Lächeln, als sich Toms Lippen leicht hoben. »Rob Martin ist nicht mein Typ.« Jude versuchte auch, den einen Kuss nicht wiederzuerleben, den sie in der Nacht geteilt hatten, bevor ein Taifun den Lauf seines Lebens veränderte. »Er nimmt den Beruf eines Kochs nicht ernst. Oder irgendetwas anderes, was das betrifft.«

      »Nein? Warum hat er dann am Wettbewerb teilgenommen?«

      »Um seinen Vater zu ärgern.«

      Tom blinzelte, also erklärte Jude die Geschichte, für die er Monate gebraucht hatte, um sie sich zu überlegen. »Sein Vater hat eine ganze Kette von Fünf-Sterne-Restaurants, von denen er erwartet, dass Rob sie übernimmt. Ich weiß nicht warum, wenn Rob sie nicht verdient. Er ist stinkfaul, aber ich schätze, Blut ist dicker als Wasser.« Und war das nicht genau der Grund, warum Jude London in dem Moment verlassen hatte, als seine Eltern verschwanden? »Er hat immer nur für die Kameras mit mir geflirtet.«

      »Also, wenn es hier nicht jemand Besonderes für dich gibt, könntest du vielleicht an mich denken? Ich glaube, wir würden gut zusammenpassen.« Tom zog ihn näher zu sich heran. »Sag mir, dass du noch nie darüber nachgedacht hast. Über