Kenia Leak. Peter Höner

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Название Kenia Leak
Автор произведения Peter Höner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551089



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Hier suchte sie niemand, und davor, dass ich sie mir anschaue, waren sie ebenfalls sicher.»

      «Wenn der Blinde nicht für eine Augenoperation in die Schweiz geflogen wäre.»

      «Das weiss keiner.»

      «Ausser deiner Familie.»

      «Nein. Auch Naomi nicht. – Überdies sind wir unter einem falschen Namen ausgereist.»

      «Gut, ja, aber was ich nicht verstehe. Warum, warum in drei Teufels Namen, warum willst du diesen Dreck aufmischen?»

      Ein Motorrad überholte sie, ein Verrückter, der wie ein Geschoss an ihnen vorbeiraste. Mettler schüttelte den Kopf, grinste und gab Gas. Ein Kindskopf. Oder wollte er ihm Angst einjagen?

      Tetu starrte auf die Strasse, die von der Schnauze des Wagens gleichsam gefressen wurde, und versuchte sich irgendwo festzuhalten. Am Gurt, der sich über seinem Bauch spannte, an der gepolsterten Armlehne in der Tür, am Hebel der Handbremse.

      «Finger weg!», fauchte Mettler, doch nachdem der Motorradfahrer mit roten Bremslichtern die nächste Ausfahrt genommen hatte, erkundigte er sich wieder nach Odongo.

      «Was meinst du? Odongo? Wurde er gefoltert? Niemand weiss, ob er geplaudert hat. Und was. Namen. Daten. – Zimperlich sind Kimeles Leute nicht. Das weiss keiner so gut wie du. – Ich verlange, dass Naomi ab sofort täglich ihren Vater ­anruft.»

      «Wie bitte?»

      Wovor hatte Mettler solche Angst? Oder war es Vorsicht?

      «Und wenn Odongo die Daten an weitere Personen gegeben hat?», bohrte Mettler weiter. «Wenn es Kopien gibt?»

      «Das haben sich Elisabeth und ihr Mann auch gefragt. Sie haben sich nach London abgesetzt. Wenigstens für ein paar Wochen …»

      «Und in London sind sie sicher? Wie du in der Schweiz?»

      «Du glaubst doch nicht … So mächtig sind diese Leute nicht …»

      «Und ob! Wenn du dir da nur keine falschen Hoffnungen machst. Er hat zwar keinen Ministerposten mehr, aber …» Mettler seufzte. «Was muss Kimele befürchten, wenn seine Machenschaften auffliegen? Und zu welchen Mitteln greift er, um einen erneuten Skandal zu verhindern?»

      Mittlerweile waren so viele Fahrzeuge um sie herum, rechts und links, vor und hinter ihnen, dass abzusehen war, dass die rasende Lawine demnächst zum Stehen kommen musste. Mettler schwamm im Strom der vielen Wagen, die alle glänzten, als wären sie eben erst aus der Fabrik gekommen, selbst die Lastwagen blitzten im Sonnenlicht. Und alle fuhren mit Mettler um die Wette.

      Bevor sie aufgebrochen waren, hatte er Mettlers Wagen bewundert. Er hielt ihn für ein brandneues Fahrzeug. Die einwandfreien Lederpolster, der Lack ohne Rost und Kratzer. Mettler lachte und behauptete, es handle sich um einen «alten Herrn», fünfzehn Jahre alt mit über 200'000 Kilometern, und dann zeigte er ihm eine Schramme bei der Tür und eine so winzige Beule, dass sie sich bücken und drehen mussten, um sie in der spiegelglatten Oberfläche überhaupt zu sehen.

      Warum machte Mettler seinen Wagen schlecht? Als ob er ein schlechtes Gewissen hätte, schämte er sich für seinen Reichtum?

      Und dann standen sie im Stau, und Tetu atmete auf. Wenn der Alfa hielt, fand er ihn fast gemütlich und die Vorstellung, dass sie nur eine Handbreit über der Strasse hockten, verlor ihren Schrecken.

      «Du bist in Kenias Gefängnissen fast verreckt», brauste Mettler auf und schlug mit der Faust aufs Lenkrad. «Du bist erblindet, und mich hat man ausgeraubt. Das Hotel in Lamu, meine Ersparnisse, alles weg. Aber wir leben noch, Njoroge. Wir leben noch. Und das soll so bleiben. Wenigstens noch für ein Weilchen.» Und wieder ein Schlag aufs Lenkrad. «Njoroge! Robinson! Verdammt! Freu dich, freu dich, dass du wieder sehen kannst, und lass die Finger davon. – Wir wissen, dass wir recht hatten. Damals. Der Goldhandel ist ein paar Jahre später aufgeflogen, die Gerichte bestätigten unseren Verdacht. Aber hat sich etwas geändert? Hat sich auch nur irgendetwas verbessert? Kamen Kimele und seine Leute hinter Gitter? Haben sie auch nur einen Shilling von ihren geklauten Millionen zurückgegeben? Irgendeinen verdammten, einzigen Shilling?» Er drehte sich wütend nach ihm um und funkelte. «Sie haben mit dem Finger auf andere gezeigt und weitergemacht. Immer weiter. Und immer noch einen Zacken unverschämter. Der Kimeleclan ist reicher als Kenia verschuldet. Kein Leak hat ihnen je geschadet.»

      Mettler trommelte auf die Armaturen, riss ein Handy aus der Halterung und schleuderte es auf den Rücksitz. So ausser sich hatte Tetu seinen Freund noch nie erlebt.

      «Gut!», brüllte Mettler, «schauen wir uns die Dateien an. Offline. Meinetwegen. Auf einem neuen Computer, der noch von keiner Suchmaschine registriert wurde. Vielleicht ist ja ­alles vollkommen harmlos. Bankbelege, Verträge, E-Mails. Nutzloses Zeug, mit dem niemand etwas anfangen kann und das nichts beweist, kein einziges Verbrechen. Nichts.»

      «Und Odongo ist umsonst gestorben», knurrte Tetu. Und beide wussten sie, dass sie sich etwas vormachten.

      Bei der nächsten Abzweigung verliessen sie die Autobahn und zwängten sich durch eine Strasse mit Einkaufscentern. Wohin er schaute, mehrstöckige Klötze mit riesigen Werbeaufschriften, hässliche Bauten ohne Wohnraum, in denen es für jeden Bereich ein ganzes Haus gab. Garten, Möbel, Büro, Küchen, Bau und Hobby, Kleider, Schuhe … Und Elektronik. Da wollten sie hin.

      Afrikanisches Zwischenspiel Nr. 1

      In der Fieberakazie lärmten bereits die Webervögel, mit Geschrei und Geflatter versuchten die Männchen ein Weibchen in eines ihrer kugeligen Nester zu locken. Die kleinen, gelben Vögel bauten immer gleich mehrere Brutstätten. Sie bauten so lange, bis alle Weibchen ein Nest bezogen hatten, und weil alle Männchen so viele Weibchen wie möglich beglücken wollten, entstanden Wohnkugeln ohne Ende. Leer stehende Wohnungen. Was für ein Luxus, den sich die frechen Kerle da leisteten.

      Samuel Kimele sass im Bademantel hinter seinem Schreibtisch im Büro seines Landhauses am Naivasha See. Die Nähe seiner Farmen, eine seiner Touristen-Lodges auf der anderen Seeseite und die Moi South Lake Road hinter dem Haus taten ihm gut. Wenigstens seine allernächste Umgebung verbürgte Dauer und Zugehörigkeit.

      In der Nähe der geöffneten Fenster sass ein junger Mann in einem Sessel. Schwarze Hose, weisses Hemd, den Kittel hatte er über einen Fauteuil gelegt. Wenn er nicht gähnte, ass er Mandeln, mit denen er ab und zu auf einen Vogel zielte.

      Der Datendiebstahl Odongos richtete, noch bevor die Dateien überhaupt publik wurden, einen Schaden an, über den Kimele jeden Überblick verloren hatte. Auf einem Blatt Papier versuchte er, sich Klarheit zu verschaffen. Doch alle Gedankenspiele missrieten zu unübersichtlichen Kritzeleien. Wütend zerknüllte er seine Zettel und knallte sie in den Papierkorb.

      Er stand auf und defilierte im schwingenden Bademantel vor schweren, dunklen Büchergestellen hin und her und verlangte eine Zusammenfassung.

      «Das hilft dir auch nicht weiter, Pa», sagte der junge Mann und drehte sich nach seinem Grossvater um.

      «Eine Zusammenfassung! Ich möchte sie hören.»

      «Bitte: Der Whistleblower Odongo hat sich im Gefängnis erhängt. Die gestohlenen Dateien sind verschwunden. Schluss, aus. Ein Sturm im Wasserglas.»

      «Schön wär’s», murrte der Minister und schnürte den Ba­demantel zu. «Etwas genauer, wenn ich bitten darf.»

      «Gut. Wir haben alles getan, um herauszufinden, wer im Besitz der Dateien sein könnte. Wir sind jedem Verdacht nachgegangen, haben Journalisten, die Kollegen Odongos, seine Verwandten und seine Nachbarn ausgequetscht», der Junge kickte ein paar Mandeln in die Akazie, «ausser zwei vagen Vermutungen haben wir nichts. – Soll ich dir das jetzt alles vorkauen?»

      «Ich höre.»

      «Verdacht Nummer 1: Die Journalistin Elisabeth Kyengo könnte die Dateien erhalten haben. Eine Frau! Dem Staate wohlbekannt. Eine aufmüpfige Schlampe um die dreissig, die für ihren reisserischen Journalismus und für ihren Aufruf zum Sexstreik bekannt geworden ist. Lysistrata!»

      Der