Название | Kenia Leak |
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Автор произведения | Peter Höner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038551089 |
Ganz abgesehen davon, dass seine Mutter Christina solche Pläne vereiteln würde. Auch sein Vater Ali, der in Wien ein Hotel führte, wäre damit nicht einverstanden. Gut, Moody war erwachsen, aber … Nein, mit Moody hatte Tetus Schweigen nichts zu tun.
Mettler seufzte und drehte sich nach Tetu um. Er hielt sich für einen geduldigen Zuhörer, aber irgendwann verlor auch ein beredtes Schweigen an Bedeutung.
Busoni stemmte seinen Hintern hoch und rückte schwanzwedelnd ein bisschen näher. Er drehte sich umständlich, dann zwängte er die Schnauze zwischen seine Beine.
Tetu reagierte nicht.
Herrgott noch mal, er hatte auch noch anderes zu tun. In die Ferne schauen und dem Gebrumm der Insekten lauschen konnten sie auch später noch.
Busoni wollte gestreichelt werden. Seine stürmische Zudringlichkeit war immer noch diejenige eines unerzogenen Welpen. Mettler schob ihn sanft, aber entschieden unter den Tisch zurück.
Tetu rührte sich nicht.
Mettler begann seine Raucherutensilien einzupacken. Pfeife, Stopfer, Feuerzeug und Tabak wurden wieder in den Beutel gepresst. Aufbruch. Auch wenn Tetu ihm nicht zuschaute; was er hörte, waren klare Zeichen. Mettler gab ihm noch eine Minute.
«Versprichst du mir, den Mund zu halten und mich ausreden zu lassen, bis du die ganze Geschichte gehört hast?»
Tetu drehte sich nach Mettler um, und seine Finger liessen endlich auch die Nase in Ruhe. Die Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln. Seine Augen standen offen, die übergrossen, schwarzen Pupillen schwammen im Wasser. Doch der Blick war voll und von einer beängstigenden Schärfe. Als könne er sein Gegenüber durchschauen und Schicht um Schicht in sein Innerstes vordringen.
«Kimele», stiess er hervor. «Du erinnerst dich. Kenias Finanzminister Samuel Kimele.»
Restzeit: 4 T — 8 StD — 10 Min
Sie hatten die Räder ins Dickicht des Waldes geschoben, verhakten sie in den Zweigen, so dass sie um einiges besser standen als auf ihren Radständern, die im nassen Boden versanken.
Moody nahm Naomis Hand und zog sie über die Lichtung zum See. Sie zauderte, er spürte ihren Widerstand. Die junge Kenianerin vermied Berührungen, wurde nicht gerne angefasst, nicht von einem Mann, den sie erst seit ein paar Tagen kannte. Schüchtern war sie nicht. Ihrem Grossvater gegenüber konnte sie sehr energisch werden. Sie lachte gern und wusste, dass sie eine schöne Frau war.
Aber wenn sie allein waren, zerbröselte ihre Keckheit, und sie verwandelte sich in ein bebendes Etwas. Sie zitterte, und ihr Lächeln erlosch. Dabei glaubte er mehr als einen Blick erhalten zu haben, der ihm bestätigte, dass sie gern in seiner Nähe war. Auch sie musste doch zumindest ahnen, dass er nicht nur, weil ihn sein Grossvater gebeten hatte, sich um sie zu kümmern, seit bald zwei Wochen jede freie Minute mit ihr verbrachte.
Sie setzten sich auf die Bank am Ufer. Naomi löste ihre Finger aus seiner Hand und suchte in ihren Jeans nach einem Taschentuch.
Eine Finte, um von ihm abzurücken. Ein paar wenige Zentimeter, aber deutlich genug. Warum entzog sie ihm die Hand? Hielt eine Kenianerin ein Sich-bei-den-Händen-Halten bereits für einen Antrag?
Der Moorsee was so vollgelaufen, wie Moody dies noch nie gesehen hatte. Die Regengüsse der letzten Wochen überschwemmten die Ufer, der kleine Kiesstrand, der für den Badeplatz aufgeschüttet worden war, lag unter Wasser, selbst zwischen den Schilfpflanzen, die normalerweise aus dem Moorgrund ragten, schaukelte der See und gefährdete die Brutplätze der Wasservögel.
Die Natur litt unter dem unerwartet schönen Tag, dem grellen Licht, dem Temperaturwechsel. Von einem Tag auf den andern war es zwanzig Grad wärmer. Die Ufer glänzten und über dem Wasser waberte ein feiner Nebel. Die ganze Landschaft dampfte.
Sie sassen und schwiegen, als in unmittelbarer Nähe das Schilf raschelte und etwas ins Wasser platschte. Naomi erschrak und griff nach Moodys Arm, unterdrückte einen Schrei. Aus den schlanken Rohren schoss eine Schlange. Den Kopf über dem Wasser, einen Fisch im Maul, schnellte sie, ihren Körper wellenförmig aufgerichtet, fast direkt auf sie zu, änderte erst kurz vor ihren Füssen die Richtung und schlängelte sich durchs Gras. Der Fisch, fest im Griff ihrer Kiefer, sollte sich an der Luft zu Tode zappeln.
Auch Moody verkrampfte sich. Von Wasserschlangen hatte er gehört, gesehen hatte er noch keine. Das Tempo und die Wildheit des Tieres überraschten ihn.
Er legte seinen Arm um Naomi, zog sie an sich und hielt sie fest. Sie atmete schnell und stossweise, hob die Beine an, die Füsse, als ob sie jeden Bodenkontakt vermeiden müsse und ganz bestimmt nie wieder durch die Schlangenwiese zurück zu den Rädern gehen könne.
Auch er brauchte einen Moment, bis er sich beruhigte.
«Schlangen sind scheue Tiere und alle ungiftig. Hier. In der Schweiz. Um den See …», versicherte er Naomi. «Von einem Unfall habe ich noch nie etwas gehört. Im Gegenteil. Wer eine Schlange sieht, darf sich etwas wünschen.»
Und weil ihn seine Erfindung überzeugte und er merkte, dass sie sich etwas beruhigte, sich seine Umarmung gefallen liess, fragte er, was er schon lange gern gewusst hätte.
«Was erwartest du von deinem Aufenthalt in Europa? Du für dich? Die Begleitung des Grossvaters ist doch nicht der einzige Grund?»
Naomi schwieg, und weil er ihr Verstummen nicht zu deuten wusste, bohrte er nach:
«Ich weiss so wenig über dich. Dass du deinen Grossvater begleitest, dass du zwölf Jahre zur Schule gegangen bist, sogar die Matura gemacht hast, in einer Klosterschule. Dass du Schneiderin lernst und für die Kinder deiner älteren Geschwister Kleider nähst. Aber nichts über dich. Was du willst?»
Moody erschrak über die Art und Weise, wie er mit Naomi sprach. Immer ungeschickt und patzig. Als rede er mit einem Kind. Oder sei ihr Lehrer.
Schon bei ihrer ersten Begegnung war da diese Unruhe. Ihre Art, ihn anzuschauen, zu lächeln und den Blick zu senken. Wie sie sich bewegte. Ihre feinen Züge, trotz der kräftigen Nase ihres Grossvaters und dem breiten Mund. Alles an ihr verführte ihn dazu, sich vor ihr aufzuspielen. Djamila Ushindi Naomi sollte ihn, Marc René Moody, für etwas Besonderes halten. Er träumte von einer Beziehung, doch obwohl er durchaus glaubte, dass sie ihn mochte, spürte er keinen Augenblick, dass es sie in seine Nähe trieb, wie umgekehrt ihn, dem sie fehlte, sobald sie nicht um ihn war.
Hatte sie sich derart gut im Griff? Oder waren in ihrer Gesellschaft solche Gefühle nicht erlaubt? Liebe, Sehnsucht?
Sein Grossvater, dessen grosse Liebe eine Kenianerin war – seine Alice! –, behauptete, Liebe sei Unfug, überflüssiges Geschwätz. Selbst in Europa ein junges Phänomen, das sich früher niemand leisten konnte. Die Verbitterung eines alten Mannes. Eine Ausrede, um sein selbstgewähltes Eunuchentum zu verteidigen. Die Behauptung, es gebe keine glücklichen Paare und jede Liebe ende tödlich, fand Moody abartig. Da konnte der Alte solange auf Romeo und Julia verweisen, wie er wollte.
Naomi sass in Gedanken versunken. Ihr Griff, mit dem sie seinen Arm umklammert hatte, lockerte sich, und ihre Hand rutschte langsam seinen Arm entlang, vorsichtig und immer wieder nur ein kleines Stückchen, bis sie schliesslich in seiner Hand landete und sich ihre Hände umschlossen. Obwohl ihre Berührung nicht gerade natürlich und alles andere als bequem war, ihre Hände hatten sich gefunden, und lieber wäre Moody von der Bank gefallen, als seine ungeschickte Umarmung zu lockern oder Naomis Hand noch einmal loszulassen.
So, wie es war, sollte es bleiben, und bei allen Fragen, die seinen Kopf durchkreuzten, wagte er schliesslich nur die fast bescheidene Bitte, sie möge doch ein bisschen von Kenia erzählen, weil ihn nicht zum ersten Mal die Frage quälte, ob Naomi nicht längst einem andern Mann versprochen war.
Sie musste einen Freund haben, jemanden, der nach ihrer Mission mit dem Grossvater auf einer Heirat bestand. Warum sollte eine junge, gesunde und schöne Frau alleine bleiben,