Kenia Leak. Peter Höner

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Название Kenia Leak
Автор произведения Peter Höner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551089



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Er verschwand in der Dunkelheit der Zelle, das Blitzen der Knöpfe verriet seine Kehrtwendungen.

      «Nun gut. Ich liess dich gewähren. Die Marotte eines Spinners. Von wirklich entscheidenden Dingen hattest du keine Ahnung. – Doch dann, vor rund zwei Monaten beginnst du damit, eine Datenbank anzulegen. Als hättest du erst jetzt ­begriffen, wie umfassend und gewaltig elektronische Speichermedien sind. Und alles, was bis anhin mehr oder weniger offen auf deinem Schreibtisch herumlag, wird nun …», seine Stimme wurde schärfer, «verschlüsselt, katalogisiert, ergänzt, aufgefüllt, nachgeführt und … «, Kimele stand vor dem Tisch und zischte: «Verheimlicht! Aus einem Spiel, einer Marotte, wird Diebstahl. Ja, Verrat!»

      Der Minister stützte sich auf dem Tisch auf und schob sein Gesicht ins Licht der Neonröhre, als wolle er sich unter ihr durchwinden, um auf ihn loszugehen. Er holte Luft und geiferte:

      «Ich weiss nicht, was du dir von den Daten erwartest, aber indem du verheimlichst, was du zusammenklaust, leistest du Vorschub zu einem kriminellen Akt.»

      Scheinbar ruhiger zog er sich wieder zurück, schnaufte schwer und bemühte sich um einen gemässigteren Ton:

      «Du glaubst, mir zu schaden. Willst mich und meine Familie blossstellen. Wie kurzsichtig, mein Lieber, wie dumm. Deine Machenschaften schaden einzig und allein Kenia. Deinem Volk. Deiner Familie. Du verrätst dein Land. – Ist dir klar, was du da gemacht hast? Weisst du, wie so etwas genannt wird? Weisst du das?», und dann donnerte er: «Hochverrat! – Und darauf steht die Todesstrafe. Nicht nur in Krisenzeiten.»

      Kimele versuchte, ihn einzuschüchtern. Doch er kannte die Gesetze nicht. Kein Wunder für einen wie ihn, der Korruption als Schmiermittel verstand und sich über Betrug und Steuerhinterziehungen freute wie ein kleiner Junge, dem es gelungen war, einem unvorsichtigen Nachbarn ein paar Eier zu klauen.

      «An wen hast du die Daten verkauft?», drängte Kimele und versetzte der Lampe einen Stoss. «An die Amerikaner? An die Weltbank? – Noch wissen wir nicht, wem du die Daten zugespielt hast. Warum sie noch nicht veröffentlicht worden sind. Vielleicht weil deine Helfershelfer nicht so couragiert sind, wie du dir das erhofft hast? Vielleicht weil sie intelligenter sind als du? Oder weil sie festgestellt haben, wie haltlos deine Unterstellungen sind. – Ich kenne dich, Odongo, deine Selbstüberschätzung, deine Überheblichkeit. Einer wie du glaubt immer, alles richtig zu machen. Aber ich warne dich, du bist nichts, gar nichts! Ich brauche nur mit den Fingern zu schnippen und …», der Minister sog die Luft ein wie ein Ertrinkender. «Dich gibt es gar nicht. Einen Francis Ali Odongo hat es nie gegeben. – Ich bin deine letzte Chance. Du sagst mir jetzt, wo und wie ich zu den Daten komme, oder du teilst mir mit, an wen du sie weitergegeben hast», Kimele schob ein Smartphone über den Tisch, «Namen und Adressen. Hier und jetzt. – Die Aufnahme läuft.»

      Odongo fixierte das Smartphone. Auf dem Display war eine Art Tape abgebildet, ein rotes Licht suggerierte ein offenes Mikrofon, und ein wanderndes Dreieck, dass eine Aufnahme gemacht wurde. Die Dinger konnten mittlerweile wirklich alles. Er drehte das kleine Gerät in seinen Händen, genoss trotz seiner prekären Lage die Geschmeidigkeit des Materials und fand schliesslich den digitalen Button, mit dem sich die Aufnahme beenden liess. Wortlos legte er das Utensil auf den Tisch zurück.

      «Also gut, Odongo, wie viel willst du?», fragte der Minister und behielt seinen aufflammenden Zorn gerade noch unter Kontrolle.

      Er schwieg. Kimele platzte der Kragen. Seine Stimme überschlug sich:

      «Herrgott noch mal Odongo! Hast du den Verstand verloren? – Was macht dich so sicher, dass du hier wieder rauskommst? – Wenn einer schon so blöd ist, dass er sich erwischen lässt … Also! Wie viel?»

      Wütend marschierte Kimele im Dunkeln vor der Wand hin und her. Laut schnaufend rang er seinen Atem nieder, bis es ihm, scheinbar wohlwollend, fast nachsichtig gelang, seine Frage zu wiederholen und ein Angebot zu präzisieren.

      «Noch ist Zeit, Francis. Wir beide regeln das, wir beide. Zwei alte Schulkameraden. Von Mzee zu Mzee. – Du sagst mir, wie viel, und wir erhalten die Daten. – Eine Million? Zwei? – Verdammt, Odongo, jetzt mach endlich den Mund auf!»

      Der Minister stand ihm erneut gegenüber, seine Oberschenkel vor der Tischkante. Die Hose. Im kalten Licht glänzte ein Fettfleck. Wie verletzlich seine Eier waren, seitlich weggerutscht hinter einem dünnen Stückchen Stoff.

      Er schwieg, kämpfte gegen einen Hustenanfall, presste eine Hand vor den Mund, würgte den Schleim hinunter. Nur keine Schwäche zeigen. Nicht jetzt. Dass er wie ein Schuljunge vom Sitz gesprungen war, sollte ihm kein zweites Mal widerfahren, dieses Zeichen devoter Dienstbarkeit.

      Er schwieg, starrte auf den Hosenbund, studierte das Fischgratmuster des Stoffs und wartete.

      Mit einem Ruck wurden seine Arme zurückgerissen und seine Handgelenke an die Stuhlbeine gefesselt. Erschrocken wollte er aufstehen, wurde aber in den Stuhl gedrückt und mit einem Strick auf die Sitzfläche gebunden. Ein Wurm, der sich in einen Stuhl krümmte, nur Kopf und Füsse liessen sich noch bewegen.

      Kimele schob das Smartphone über den Tisch. Das Aufnahmegerät war bereits wieder eingeschaltet.

      «Francis Ali Odongo. Wie kommst du eigentlich zu deinem zweiten Namen? Hat deine Mutter mit einem Türken gevögelt? Vielleicht muss ich mal jemanden vorbeischicken, der ein paar Fragen stellt. – Du weisst, wer dir helfen kann.»

      Hosenbund und Fischgratmuster verschwanden aus dem Schein der Neonröhre. Flüchtig hörte er, wie die Türe hinter ihm ins Schloss fiel.

      Sein Kopf wurde nach hinten gebogen und eine Hand schob sich ihm übers Gesicht, umschloss seine Nase und drückte zu. Sein Kiefer klappte auf, ein Schlauch wurde ihm in den Mund gestossen und tiefer, und er spürte den kalten Wasserstrahl, der durch seine Kehle schoss.

      Man liess ihn volllaufen, ersäufte ihn. Kurz bevor er erstickte, gab man seine Nase frei und riss ihm den Schlauch aus dem Rachen. Die Sitzfläche kippte nach vorn, er knallte mit der Stirne auf die Tischplatte, der Stuhl wurde zur Decke gezogen, er hing am Haken, Kopf und Füsse baumelten über dem Tisch.

      Er erbrach Wasser und Blut, rang um Atem und spürte, wie ihm die Adern anschwollen.

      Dann knallten die Baseballschläger auf die Fussknöchel. Er hörte das Knacken der Knochen.

      Montag, 2. Mai 2016

      Restzeit: 4 T — 9 Std — 27 Min

      Der Schweizer Frühling war eine Enttäuschung. Die Begeisterung, ein geradezu rauschhaftes Entzücken, das mit einer Jahreszeit verbunden wurde, die er nicht kannte, erwies sich als ein launisches Hin und Her von heftigem Regen und wenig Sonne. Ein paar Stunden heizten das Land auf, das sich nach einem Gewitter in langen Dauerregen wieder abkühlte und in hinterhältig klaren Nächten erfror.

      Seit vierzehn Tagen wohnte Robinson Njoroge Tetu zusammen mit seiner Enkelin Naomi im Haus seines Freundes Jürg Mettler und fror. Trotz Pullover, Strickjacke und dicken Socken.

      Ob da draussen Schnee liege, wollte er von Mettler wissen. Er bezweifelte, dass alles um ihn herum grün war, wuchs und blühte. Trotz der saftigen Stängel, die ihm seine Enkelin in den Schoss legte, wehrte er sich dagegen zu glauben, was er nicht sah.

      Einmal, er stand zusammen mit Mettler in dessen Hühnerstall – auch wenn es lange her sein musste, dass hier Hühner Eier legten, es roch nach Erde, faulem Holz und Benzin –, trommelte ein Regen aufs Blechdach. Ein Prasseln, das immer heftiger wurde. Das Wasser hatte sich in Eis verwandelt. Mettler legte ihm ein paar Hagelkörner in die Hand. Der Hagelschlag dauerte nur wenige Sekunden, trotzdem jammerte Mett­ler, sein Garten gleiche einer Eiswüste und seine Salate hätten sich in grünen Matsch verwandelt.

      Der Hotelier, Hobbypilot und Detektiv als Salatgärtner? Eine merkwürdige Vorstellung, von der sich Tetu ebenso wenig ein Bild machen konnte wie von dem kalten Grün, das ihn angeblich lückenlos umgab.

      Kurz danach wurden seine Augen operiert und nun, drei Tage später, durfte er den Verband entfernen und sollte nach über zwölf Jahren wieder sehen können.

      Die