Название | Kenia Leak |
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Автор произведения | Peter Höner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038551089 |
Tetu blinzelte ins Tal. Die Kamele waren ein gutes Stück vorangekommen. Und jetzt erkannte er auch einzelne Gestalten, die bei ihnen waren. Menschen in bunten Kleidern.
Er drehte sich nach Mettler um.
«Danke», sagte er und versuchte zu lächeln.
Mettler rutschte ans andere Ende der Bank. Er tat, als ob er mehr Platz für seine Beine brauche. Er ging auf Distanz. Tetu konnte sich auf sein Gespür verlassen. Besser als auf seine Augen.
«Nun, mein lieber Robinson Njoroge», eröffnete Mettler seine Befragung, wahrscheinlich mit einem Schmunzeln. «So langsam möchte ich doch wissen, warum du in die Schweiz gekommen bist? Jetzt, nach so langer Zeit? – Hat es etwas mit deiner Enkelin zu tun?»
Tetu war auf die Fragen vorbereitet. Mettler hatte bereits mehrmals versucht, ihm auf den Zahn zu fühlen, aber bislang konnte er Mettlers Neugier mit dem Hinweis auf seine Operation in die Schranken weisen. Er brauchte Zeit, jetzt war sie reif. Trotzdem war er froh, als er hörte, wie Mettler seine Pfeife auf dem Tisch ausklopfte und in seiner Hosentasche nach dem Tabakbeutel kramte. Mettler richtete sich als Zuhörer ein, und Tetu bereitete sich auf eine Rede vor, von der er nicht wusste, wie sie aufgenommen würde.
Er legte den Kopf in den Nacken, verschloss sich mit dem Zeigefinger den Mund und schwieg.
Restzeit: 4 T — 8 StD — 44 Min
Der alte Fuchs. Tat, als ob er gleich etwas sagen würde, pst! es spricht der grosse Vorsitzende. Und dann wurde geschwiegen.
Doch Mettler war vorbereitet. Er hatte seine Pfeife dabei und konnte warten. Es musste wichtig sein, was der Alte zu sagen hatte, wenn er sein Geheimnis über vierzehn Tage einfach für sich behielt. Die Augenoperation war mit Sicherheit nur ein Vorwand, gehörte aber dazu. Tetu wollte sehen, was seine Äusserungen bewirkten.
Seit 2002 lebte Tetu bei seiner Familie in Kanja, war ein freier Mann, trotzdem war es Mettler in all den Jahren nicht gelungen, seinen ehemaligen Kollegen hinter dem Mount Kenia hervorzulocken. Für eine Reise in die Schweiz hatte der Rentner keine Zeit.
Mettler zerkrümelte den Tabak in seiner Handfläche, pickte mit Mittel-, Zeigefinger und Daumen die Tabakbrösel auf und stopfte sie in den bauchigen Kopf seiner Pfeife.
Tetu wurde nach seiner Verhaftung vor mehr als zwanzig Jahren von einem Gefängnis in ein nächstes abgeschoben, er wurde verhört und gefoltert, er erblindete. Ohne seine Söhne, ohne ihn, Mettler, der sich immer wieder auf die Suche nach ihm machte, wäre Tetu wohl für immer verloren gegangen. Verschwunden, wie viele andere.
2002, als er und Alice Tetu in Kanja besuchten, um auf seine wiedererlangte Freiheit anzustossen, hatte er Tetu angeboten, ihn in die Schweiz zu begleiten, damit er sich von hiesigen Ärzten untersuchen lassen konnte. Aber Tetu lehnte ab.
Seine Rente sei ausreichend und er habe längst gelernt, mit Ohren und Nase zu sehen. Was seine Hände fänden, genüge ihm.
Mettler wiederholte sein Angebot. Er schrieb Briefe, schickte mehr als einmal Geld. Eine finanzielle Unterstützung für einen Enkel, der Anwalt werden wollte, für den Bau eines Hühnerstalls, für Fahrräder, ein Handy. Aber ausser einem mageren Danke und einem schlechten Foto von Tetu hörte er nichts mehr, ja, in den letzten drei Jahren war es sogar immer dasselbe Bildchen.
Robinson, das Kinn auf einen Stock gestützt, auf einer Bank vor seinem Häuschen.
Schliesslich blieben auch die Glückwünsche zu Weihnachten und Neujahr unbeantwortet und ihr Kontakt versiegte. Noch vor einem Monat hätte er nicht sagen können, ob Tetu überhaupt noch lebte.
Aber dann, im April dieses Jahres, konnte es plötzlich nicht schnell genug gehen. Ob Mettlers Einladung noch gültig sei? Mettler zögerte keinen Augenblick. Er freute sich auf den Besuch, auch wenn ihm von Anfang an klar war, dass Tetu andere Gründe haben musste.
Mettler schielte nach dem schwer atmenden Mann neben sich, der immer noch mit dem Finger vor dem Mund eine Antwort vorbereitete.
Sie kamen wirklich aus zwei verschiedenen Welten, und obwohl er sich einbildete, Tetu zu kennen und er Tetu seinen Freund nannte, blieb ihm dieser fremd. Das Misstrauen gegenüber den Weissen hatte Tetu schon immer den Zugang zu seiner Welt versperrt.
Das dürfte auch mit ein Grund sein, weshalb ihm die drei Kamele einen solchen Schrecken eingejagt hatten. Wasungus waren Tetu unheimlich, er glaubte, bei ihnen sei alles möglich und sie würden mit Tricks arbeiten, die er nicht durchschaute.
Mit dem Zeigefinger drückte Mettler den Tabak in den Pfeifenkopf, fischte nach seinem Feuerzeug und steckte sich die Pfeife an.
Tetu schwieg.
Geld war wohl nicht der Grund. Tetu erhielt eine Rente, er war lange genug ein treuer Diener des Staates gewesen, Polizeichef von Lamu und Lodwar. Und er besass Land. Schon in den Achtzigerjahren hatte er begonnen, Land zu kaufen, fruchtbares Land am Fuss des Mount Kenia. Von seinen Söhnen arbeiteten die meisten in der Stadt, auch seine Töchter besassen eine Ausbildung. Sein Ältester bewirtschaftete die Felder und produzierte Überschüsse, ein anderer besass einen Busbetrieb. Seine Kinder hatten etwas gelernt, waren Lehrerinnen, Ingenieure, einer hatte es sogar zu einem Anwalt mit einer eigenen Kanzlei gebracht. Seine Familie war erfolgreich. Geldsorgen kannte der Familienclan nicht.
Eine Pfeife an der frischen Luft zu rauchen, war kein besonderes Vergnügen. Sie wurde zu heiss, der Rauch brannte auf der Zunge, und der Tabak verglühte im Pfeifenkopf. Auch vorsichtiges Stopfen und langsames Ziehen halfen wenig, und Mettler befürchtete, die Pfeife sei zu Ende, noch bevor Tetu den Mund aufgemacht hatte. Aber länger als eine Pfeife war er nicht gewillt, auf eine Antwort zu warten.
Wahrscheinlich ging es um Naomi. Der Grossvater kam mit seiner Enkelin, um deren Zukunft zu regeln. Vielleicht erwartete Tetu, dass Mettler dem Mädchen einen Studienplatz organisierte. Dass Naomi intelligent war, bezweifelte er keinen Augenblick. Aber jedes Mal, wenn Mettler die junge Frau darauf ansprach, vorsichtig und um sieben Ecken, tat diese, als könne sie seine Frage nicht verstehen.
Tetu wollte die Operation abwarten. Der Arzt behielt Tetu im Spital, weil doch eine ganze Reihe von Abklärungen zu machen waren. Das konnte er verstehen und war froh, weil sie im Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen eine Menge Arbeit hatten. Der Krieg in Syrien betraf sie zwar weit weniger als andere Länder. Die Schweiz war kein EU-Land, hier lebten keine Verwandten, die es bereits geschafft hatten. Mails und Selfies, die zeigen sollten, wie willkommen sie waren, kursierten keine, und eine Kanzlerin, die versprach: «Wir schaffen das», gab es auch nicht.
Tetu räusperte sich, nahm den Finger vom Mund und … Nun wurde die Nase massiert. Daumen und Zeigefinger zwirbelten den Kolben, als könnte so der Gedankenfluss beschleunigt werden.
Mettler stopfte die Pfeife und feuerte nach, rauchen liessen sich diese letzten Krümel nicht. Ein, zwei Züge, und die Pfeife ging wieder aus.
Moody! Mark René Moody. Sein Enkel und Naomi waren fast täglich mit den Rädern unterwegs. Hatte Moody Naomi erzählt, dass er lieber in Kenia leben würde? Weil er, trotz weissem Grossvater und einer weissen Mutter so dunkelhäutig war, dass ihm niemand glaubte, dass er Schweizer sei, wohingegen ihn in Kenia wohl kaum jemand nach seiner Zugehörigkeit fragen würde? Hatte Naomi ihrem Grossvater erzählt, dass Moody die Schweiz verlassen möchte, und nun kombinierte dieser ihre Interessen mit Moodys Wünschen, weil sie sich Vorteile für Naomi ausrechneten?
Ach was. Selbst wenn Moody etwas in dieser Richtung zu Naomi gesagt