Название | Finale |
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Автор произведения | Emil Zopfi |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783857919558 |
«Wird gleich kommen.»
Die italienischen Kletterer, die herumstanden, wiederholten: «Verrà fra poco.» Sie stiessen sich an, einer grinste. «Braucht ihr uns noch?»
Sie froren in ihren T-Shirts und halblangen Kletterhosen.
«Bleibt bitte hier, bis der Heli eingetroffen ist.»
«Verstehe. Ihr traut unseren Staatsorganen nicht.» Sie drängten sich an der Felswand, die noch etwas Wärme ausstrahlte, zusammen und schwatzten.
Sabine kam zurück, berichtete. Mit einem Seil gesichert, hatten sie Hina die Eisenleiter hinaufbugsiert. Volker begleite sie über den Felsrücken zurück nach Orco, werde sie ins Hotel fahren. «Sie hat eins gekifft, das hat sie wirklich beruhigt.»
Sabine setzte sich neben Felix auf den Boden. «Wie geht’s Andrea?»
«Schwer zu sagen.»
Andreas Atem ging ruhiger, so schien ihm. Von Zeit zu Zeit zog ein Schauer durch ihren Körper. Sabine sprach sie an, bekam keine Antwort.
«Habt ihr Rettungsfolien dabei?», fragte Felix den Sanitäter. «Die Verletzte friert.»
«Mal schauen.» Der Mann klappte seinen Koffer auf. Er enthielt Sauerstoffflaschen, eine Atemmaske, aber keine Spritze, kein Schmerzmittel, keine Folie, keinen Verbandstoff. Es sei sein erster Einsatz, entschuldigte er sich. Er gehöre zu einer Organisation von freiwilligen Samaritern. Er tippte mit einem Finger auf das Signet auf seiner Jacke, ein grünes Kreuz. Croce Verde Italia.
«Der Heli kommt!», rief Tom.
Vom Meer drang das Dröhnen der Rotoren herauf, schwoll an. Der Helikopter tauchte über dem Felsrücken jenseits des Tals auf, blieb über dem Grat stehen, als suche er den Weg, drehte dann gegen Orco ab und verschwand.
«Er sucht bei Feglino», rief der Sanitäter dem Feuerwehrmann zu. «Gib ihm die richtigen Koordinaten durch.»
«Keine Verbindung im Augenblick.» Der Mann fingerte an seinem Funkgerät herum, fluchte vor sich hin.
Die italienischen Kletterer riefen ihm, er solle sein Telefonino benutzen. Sie machten sich über den unerfahrenen Mann lustig. Er blieb auf dem Felsabsatz stehen, brüllte ins Mikrofon: «Pronto, pronto …»
Der Sanitäter setzte sich auf seinen Koffer. Er steckte sich eine Zigarette an, hielt Felix die Packung hin, doch er lehnte ab. Das Rotorengeräusch des Helikopters hatte ihn an jenen Morgen in der Nordostwand des Eigers erinnert. In der Dämmerung war er aufgebrochen von seinem Eisbalkon, mit steifen Gliedern von der kalten Nacht. Schritt für Schritt auf den Frontzacken der Steigeisen. Später streifte hoch über ihm die Sonne den Grat, Seilschaften kletterten darauf wie Ameisen. Er war allein, der Freund lag in der Tiefe. Er schläft, sagte er sich. Er wird erwachen, aufstehen, wir werden wieder miteinander auf Berge steigen. Er musste sich das einreden, sonst würde er seinen Pickelhammer fahren lassen, ihm folgen. Dann das vibrierende Pochen, das nicht aus seinem Herz kam. Ein rot-weisser Helikopter schraubte sich die Wand entlang hoch, überhöhte ihn, der Rotorwind peitschte ihm Schneekristalle ins Gesicht. Drohte, ihn aus dem Gleichgewicht zu schleudern. Doch er gab das Zeichen: Brauche keine Hilfe. Stieg weiter, zum Gipfel und zurück in sein anderes Leben.
Deutlich vernahm er das schlagende Dröhnen des Hubschraubers wieder, spürte den Luftzug, Staub im Gesicht. Aufgeschreckt aus den Bildern der Vergangenheit sah er den Sanitäter seine orangerote Jacke über dem Kopf kreisen. Der Heli stand wenige Meter vom Hang entfernt in der Luft, schwankte leicht, dürres Laub wirbelte auf, das Gebüsch wallte wie Brandung, eine junge Zypresse bog sich im Rotorwind. Felix konnte die Aufschrift lesen: Vigili del Fuoco. Blau war die Maschine, nicht rot-weiss. Vierzig Jahre waren vergangen.
Der Helikopter drehte weg, zog eine Schleife über dem Tal, näherte sich etwas höher wieder dem Abhang. «Er kann hier nicht landen», erklärte der Sanitäter.
«Haben sie keine Seilwinde?»
Er machte eine Kopfbewegung gegen den Felsabsatz hinaus. «Der da draussen müsste es wissen.»
Felix trat neben den Feuerwehrmann, der durch den Rotorlärm ins Funkgerät schrie. Luftstösse fuhren ihm ins Gesicht, blähten seine Kleider. Er sah den Piloten mit den Kopfhörern im Cockpit, neben ihm einen Uniformierten, der beide Hände hob. Er schien zu bedauern.
«Warum setzen sie die Seilwinde nicht ein?»
Der Feuerwehrmann gab keine Antwort, sah dem Heli nach, der abdrehte, talauswärts flog und in den Schatten tauchte. Vergeblich versuchte er nochmals Verbindung zu bekommen. Dann liess er das Funkgerät sinken, murmelte unablässig vor sich hin, Schaum in den Mundwinkeln. Es war plötzlich so still, dass Felix das Knistern der Blätter im Wind hörte.
«Was geht hier vor?»
Der Feuerwehrmann blieb stumm, hob das Funkgerät wieder ans Ohr, bekam endlich Verbindung, schrie ins Mikrofon. Felix verstand. Die Seilwinde war kaputt. Landen war unmöglich in diesem Gelände.
«Aspettiamo.» Der Mann spuckte auf den Boden. Die höhnischen Zurufe seiner Landsleute beachtete er nicht, machte ein paar Schritte zur Seite, knöpfte den Hosenschlitz auf und pisste ins Gebüsch.
Sabine trat neben Felix. «Was nun?»
«Wir müssen warten.»
Sie streckte ihre flache Hand aus. «Es beginnt zu regnen.»
Der Wind hatte nachgelassen. Im Tal glommen Lichter auf, Blaulicht pulsierte. Die Ambulanzen und Polizeiautos in der Tiefe sahen aus wie Leuchtfische am Grund des Meeres.
7
Nach Mailand lag Nebel über der Autobahn. Die Rücklichter eines Lastwagens waren das Einzige, was Daniel erkennen konnte. Er starrte auf die roten Punkte, die vor ihm im Dämmergrau dahintrieben. Es kam ihm vor, als bewegten sie sich nur noch im Schritttempo vorwärts. Immer wieder war er versucht, das Gaspedal durchzudrücken, loszupreschen. Die Vernunft hielt ihn zurück. In regelmässigen Abständen auftauchende Markierungen am Rand der Fahrbahn warnten, dass er bei dieser Sicht nicht schneller als fünfzig fahren dürfte. Sein Tacho zeigte achtzig. Bald würde die Nacht hereinbrechen, und wenn sich der Nebel bis zum Apennin hinzog, würde die Fahrt eine Stunde länger dauern.
Er schob eine cd ein, hämmerte mit einer Hand den Takt aufs Lenkrad. You’re walking. And you don’t always realize it, but you’re always falling … Laurie Anderson, Andreas bevorzugte Songwriterin. Vor einigen Jahren waren sie zusammen nach Finale gefahren, hatten eine intensive Woche verbracht. Das Meer glatt und klar, die Felsen warm, das Essen und der Wein vorzüglich. Spätherbst, die Nächte schon kühl, sternenklar. Dann war er nach San Diego berufen worden. Nach seiner Rückkehr war ihre Beziehung schwierig geblieben. Er fast rund um die Uhr in der Klinik, sie ständig unterwegs mit Gästen oder mit ihren Kumpels auf wilden Expeditionen. Zu individualistisch beide, zu egoistisch auf ihren eigenen Weg fixiert, da machte er sich nichts vor. Eine Familie gründen, Kinder in die Welt stellen? In diese Welt? Sie waren wohl nicht die geborenen Eltern.
Nach der Brücke über den Po begann sich der Nebel aufzulösen, trieb in grauen Fetzen über die Ebene. Da und dort ein Traktor auf dem Feld, ein einsames Gehöft, ein Hochspannungsmast. Daniel überholte den Lastzug, blieb auf der linken Spur. Wählte Andreas Nummer, wie schon unzählige Male seit seiner Abfahrt. Das Pfeifsignal, die synthetische Stimme: «Sie sind verbunden mit der Mailbox von …» Andreas Nummer folgte. «Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.»
Er hinterliess einen Kraftausdruck. Warum meldete sie sich nicht? Was war los? Während des Nachmittags hatte ihn von ihrer Nummer eine eigenartige sms erreicht. Es war nicht ihre Art zu schreiben. Er kannte ihre Kurzmitteilungen zu gut, ihre kleinen Orthografiefehler und geheimen Zeichen, ihre verhaltenen Gefühle. Hatte sie jemals das Wort «Liebe» verwendet, hatte er es? Er konnte sich nicht erinnern.
Andrea gestürzt. Das ist der Preis der Liebe. Il Silenzio.
Für diese paar Worte fand er keine Erklärung. Andrea stürzte nie, niemals. Nicht in Finale in einer Kletterwoche mit Anfängern. Das