Название | Bella mia |
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Автор произведения | Donatella Di Pietrantonio |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956141072 |
»Dann nehme ich gleich ein paar mehr und wechsle auch bei meinem Mann die Blumen aus, seine vertrocknen allmählich.«
»Wenn du zwei Sträuße nimmst, kriegst du Rabatt. Gehst du bei dieser Kälte zum Einkaufen?«
Ja, an Werktagen geht sie gewöhnlich einkaufen. Gemüse und frisches Obst für uns, vom Bauernstand, und dann rasch nach Hause zum Kochen, mit dem Bus um halb zwölf, denn danach fährt keiner mehr.
Sie hat sich an die Wohnung gewöhnt, benutzt sie, soweit es nötig ist. Am Anfang konnte auch sie den Gestank nach Neuem kaum ertragen. Im Lauf eines Monats hat sie die Räume dann mit den zarten Gerüchen ihrer gesunden Küche erfüllt. Beim Einzug vor mehr als zwei Jahren wussten wir schon, dass wir im Kühlschrank den Spumante der Regierung vorfinden würden. Meine erste Tat war, die Flasche ohne Schütteln zu öffnen, indem ich den Korken mit Daumen und Zeigefinger herausdrehte, damit er ja nicht knallte. Dann kippte ich den Inhalt ins Spülbecken und hielt dabei den Flaschenhals direkt über den Abfluss. Während das Rohr noch gluckerte, warf ich die Flasche in den Abfalleimer. Meine Mutter sah mir respektvoll zu und verfolgte alle meine Bewegungen.
Einige alte Männer aus den Wohnblöcken vier und fünf versuchen inzwischen, das Brachland rund um die C.A.S.E.* zu bebauen, sie säen zur richtigen Zeit, legen einen Gemüsegarten an; zur Straße hin gibt es mehrere davon, eine Reihe akkurater Rechtecke. Zur Erntezeit gehen die Alten mehr oder weniger alle auf einmal hinunter, unterhalten sich von Tomatenstrauch zu Tomatenstrauch, kommentieren das Wetter und zeigen dem Nachbarn den Parasitenbefall auf den Schalen. Am Sonntagmorgen, dem grausamsten der Woche, beobachte ich sie, während ich am Fenster eine Zigarette rauche. Sie bewegen sich langsam zwischen ihren Pflanzen und dem leichten Dunst, der von der erschütterten Erde aufsteigt. Wenn sie wieder heraufkommen, mustere ich auf der Treppe verstohlen die Farben des Gemüses in den Körben, die sie ihren Frauen bringen. Mich erstaunt diese Treue zu dem verräterischen Boden.
Im Herbst kehren sie sorgfältig das Laub zusammen, obwohl der boshafte Wind die Blätter mit ihren kratzigen eingerollten Rändern sofort wieder auf den betonierten Platz zurückweht. Sie können nützliche von unnützen Beschäftigungen unterscheiden und wechseln in beiden ab in dem unaufhörlichen Bemühen, die Zeit auszufüllen. Zum Schneeschippen benutzen sie die modernen leichten Schaufeln aus Plastik mit breitem Blatt. Sie stoßen bei der Arbeit Dampfwolken aus, die Kälte lässt die tiefen Falten auf ihren von Herzbeschwerden geröteten Gesichtern erstarren.
Meine Mutter macht sich ihren grünen Daumen hier nicht zunutze, wir gehen sowieso bald wieder, sagt sie, und es würde ihr leidtun, die gewachsenen Gottesgaben zurückzulassen, wie sie es nennt. Auf unserem Balkon gibt es im Sommer bloß blühende Geranien, denn die können wir mitnehmen. Sie gießt sie täglich, lockert die Erde oder schneidet verdorrte Triebe ab. Geranien duften nur, wenn man sie berührt.
Sie will sich nicht an das provisorische Quartier gewöhnen; ich merke, wie vorsichtig sie die Beziehungen zu den Nachbarn dosiert, damit sie ja nicht zu eng werden. Nur an die Mutter, die ihr Kind überlebt hat, wendet sie sich mit zurückhaltender, mitfühlender Zuneigung, wenn die Frau manchmal den Kopf aus dem Abgrund hebt.
Die Wohnung hat drei Räume; ein Schlafzimmer habe ich Marco abgetreten, als er vor zwei Jahren zu uns gezogen ist, das andere ist für mich und meine Mutter. Sie hält alles sauber und in Ordnung, zeigt aber die Distanziertheit dessen, der mit überirdischer Geduld darauf wartet, das Haus im Dorf herzurichten. Ein seltsamer Traum für einen Menschen, der nicht mehr jung ist; sie sagt, das sei sie Papa schuldig, seine Familie wohnte seit Generationen dort, und er hatte das Haus vor ihrer Hochzeit allein restauriert. Vorsichtig erinnere ich sie daran, dass Papa schon lange tot ist, dass er nichts von dem Erdbeben weiß und auch nie etwas von dem eventuellen Wiederaufbau erfahren wird. Ach was, von da oben sieht er alles, antwortet sie streng, mit dem gleichen Blick wie damals, als ich zu ihr sagte, dass ich nicht zur Firmung gehen würde. Nach einer Weile setzt sie sich, schließt beinahe die Augen und öffnet im Geist die alte, mit dem Lappen geölte Haustür, tritt in den engen, leicht nach Moder riechenden Flur und setzt den Fuß auf die erste Stufe der steilen Treppe, die nach oben führt, wo unsere Zwillingsstimmen kreischen, die von Olivia höher und fröhlicher. Damals, als wir alle lebendig waren.
* Complessi Antisismici Sostenibili ed Ecocompatibili – Erdbebensichere, nachhaltige und umweltverträgliche Wohnblöcke
3
Ich begegne einer der Patrouillen, die die gesperrte Rote Zone bewachen, und gehe zwischen den vereinzelten morgendlichen Passanten ein paar Häuserblöcke weiter. Dann muss ich nicht einmal das Absperrgitter beiseiteschieben, sondern drücke mich nur flach an die Wand und tauche in den Schatten der verbotenen Gasse ein. Ich gehe bergauf, schon schwer atmend. Ab und zu weht von den vom nächtlichen Regen noch durchnässten Stützbalken ein übler Geruch nach faulendem Holz herüber. Als ich in die Via Mezzaluna einbiege, nehme ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, etwas Dunkles, Haariges, vielleicht ein kleines Tier, das plötzlich davonhuscht. Um zu meiner alten Werkstatt zu gelangen, muss ich an dem Haus entlanggehen, das seine Fassade verloren hat und das übrig gebliebene Innere zeigt, Konserven und Nudelpackungen in der Küche, im Bad den zerbrochenen Spiegel, der kubistische Variationen des Himmels einfängt, im weit offen stehenden Schrank die Kleider, die noch auf den Bügeln hängen und ihre Ärmel von der beharrlichen Sonne bleichen lassen. Ein Lichtschalter ohne Wand baumelt an einer Leitung. Übelkeit steigt auf, ich schlucke sie runter. Es ist dieses leichte Schwanken, ich muss nur den Blick abwenden und weitergehen.
Ich arbeitete im Erdgeschoss eines nun unzugänglichen Palazzos, Kategorie E. Ich schließe das eiskalte Schloss auf, das die beiden Hälften des Tors zusammenhält, doch dann muss ich den scheinbar nachgiebigeren Flügel mit beiden Händen aufstoßen, auch das genügt nicht, ich muss mit der Schulter, mit dem Knie nachhelfen, um die Reibung des Nussholzes am Boden zu überwinden. Überlaut hallt das Quietschen in der unfassbaren Stille. Instinktiv strecke ich die Hand aus, um rechts das Licht anzuknipsen, das nicht aufleuchten kann. Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte weiter hinein, warte, bis ich mich an das Halbdunkel gewöhne. Die Schuhe stoßen klirrend gegen Tongefäße und wirbeln Staub auf, ich kann es riechen. Auswendig finde ich das einzige Fenster, und diesmal gehen die Läden willig auf.
Nach dem Erdbeben war ich nie wieder hier. Als ich mich entschlossen hatte, meine Tätigkeit anderswo wieder aufzunehmen, habe ich jemanden beauftragt, den Brennofen und einige andere Sachen abzuholen, das Allernötigste. Bei einer Manufaktur in Castelli habe ich neue Halbfabrikate zum Bemalen gekauft und auch neue Pinsel, Glasur und Farben, auch ein paar Schmuckelemente. Auf dem Markt der Piazza d’Armi habe ich eine große Plastikwanne zum Mischen der Glasur und einen langen Holzlöffel zum Umrühren erstanden.
Nur die fertigen, in Kartons verpackten Stücke sind heil geblieben, dort hinten stehen sie, ich könnte sie mitnehmen und den Inhalt verkaufen. Aus den großen Regalen an den Wänden dagegen sind fast alle Gegenstände herausgefallen, von den durch das Erbeben schrägen Brettern heruntergerutscht. Am Boden haben die Scherben gestrichelte Linien gezogen, die genau die Umrisse des großen Raums nachzeichnen, nur etwas enger. Auf der einen Seite liegen die Bruchstücke der Schrühware, weiter vorn die glasierten Flaschen, die noch trocknen mussten, und auf der anderen Seite, schon fertig zum Brennen, die Teller mit den Hähnen und die Apothekengefäße mit Motiven aus dem 16. Jahrhundert. Diese Arbeiten sind verloren.
Ich hebe eine Scherbe auf und lese unter einer Beere meine nach dem E abgebrochene Signatur. Wie durch ein kleines Wunder finde ich dann ein unbeschädigtes Glöckchen, das in einer meiner Gummilatschen gelandet ist. Ich puste es ab, während ich es langsam drehe und aus nächster Nähe die Einzelheiten des Blumenfrieses verfolge. Es war für Ostern 2009 bestimmt. Ich prüfe, ob der winzige Klöppel noch funktioniert. Das leise Geklingel wirkt wie ein Wecker, ich verliere Zeit, dazu bin ich nicht hergekommen. Ich stecke das Glöckchen ein und suche nach den Zeichnungen.
Die Ordner liegen in der Mitte des Tisches neben den Dosen und Farbproben