Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Название Kommunikationswissenschaft
Автор произведения Roland Burkart
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846357132



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      Abb. 13: Phylo- und ontogenetische Menschwerdung (eigene Darstellung)

      Zunächst sind Hinweise auf den fundamentalen Stellenwert der Kommunikation im Verlauf der Anthropogenese zu geben. Neben dieser evolutionstheoretischen Dimension ist aber auch aus der sozialisationstheoretischen Perspektive von Kommunikation einsehbar zu machen, was Kommunikation für den Prozess der Persönlichkeitsgenese leistet.

      Der Angelpunkt der Betrachtungen soll in beiden Fällen jene humanspezifische Kommunikationsfähigkeit sein, die v. a. auf der Möglichkeit zur Bildung und Verwendung von Symbolen beruht: Die Tatsache, dass der Mensch Zeichen (als Vermittler von Bedeutung) nicht nur bewusst und zielgerichtet generieren, sondern auch in ihrer Repräsentationsfunktion verwenden kann, ist ja weiter oben bereits als Voraussetzung für die spezifisch menschliche Qualität von Kommunikation erkannt worden, die als symbolisch vermittelte Interaktion definiert und diskutiert wurde.

      Ihre besondere Ausprägung findet diese symbolisch vermittelte Interaktion schließlich in ihrer (im Kap. 3 ausführlich diskutierten) Sprachlichkeit: Hier ist es nicht nur die (mit der Repräsentationsfunktion eng zusammenhängende) Bezeichnungsleistung der menschlichen Sprache, sondern auch die (im Kontext sprachlicher Selbstreflexivität gegebene) Möglichkeit zur Metasprache und Metakommunikation, welche menschliche Kommunikationsprozesse von animalischen Kommunikationsereignissen grundsätzlich unterscheidbar machen.

      Evolution gilt ganz allgemein als der Prozess „allmählich fortschreitende(r) Veränderungen in Struktur und Verhalten der Lebewesen, so dass die Nachfahren andersartig als die Vorfahren werden“ (Rammstedt 1973: 187). Seit im 19. Jhdt. der Engländer Charles Darwin den Gedanken formulierte, dass der Mensch wie alle anderen Lebewesen auch das Produkt eines evolutionären Entwicklungsprozesses ist, war die (Wechsel-)Beziehung zwischen Artentstehung (bzw. Entstehung artspezifischer Fähigkeiten) und Umweltdruck in den Vordergrund getreten:2 Als Grundlage zumindest der biologischen (Weiter-)Entwicklung der Lebewesen waren nunmehr Veränderungen durch Umweltbedingungen erkannt worden (Schraml 1972: 88). Nur diejenigen Lebewesen, die sich an die jeweils vorhandenen Umweltbedingungen am besten anpassen konnten, überlebten und pflanzten sich schließlich auch fort. Die natürliche Selektion stellte sich damit als ein auf Anpassung (des jeweiligen Organismus an seine Umwelt) hin gerichteter Prozess (Wezler 1972: 304) heraus, der zur Bildung neuer Fähigkeiten oder Fertigkeiten der jeweiligen Spezies führte, um deren Überleben zu gewährleisten.

      Auf der Basis dieser Einsicht wird nunmehr die Frage nach dem Stellenwert der spezifisch menschlichen Kommunikationsfähigkeit im Verlauf der Anthropogenese zur Frage nach deren arterhaltender Funktion: Es ist also nach jenen Selektionsfaktoren zu suchen, die bei vor- und frühmenschlichen Lebewesen zur Ausbildung ebendieser Fähigkeit geführt haben müssen (vgl. dazu Soritsch 1975). In Entsprechung zu einer infolge von Umweltdruck vorangetriebenen differenzierten Entwicklung der Organismen lässt sich ja „die Entwicklung verschiedener Prozesstypen [von Kommunikation – R.B.] entlang einer evolutionären Zeitachse“ (Merten 1977: 92)3 verfolgen – dennoch: „So großartig und vielfältig die in der Natur vorhandenen Kommunikationssysteme auch sind, begriffliches Denken und verbale Kommunikation, Wissensakkumulation in einer Sprache hat im Verlauf der Evolution nur eine einzige Spezies entwickelt, nämlich der Mensch“ (Soritsch 1975: 13).

      Worin bestanden nun jene Umweltbedingungen, aufgrund derer es zur Ausbildung von begrifflichem Denken und Sprache kam? Was waren die Umstände, welche die Entwicklung ebendieser besonderen kommunikativen Fähigkeit (über-) lebensnotwendig machten?

      Zur Beantwortung dieser Frage muss man entlang der „evolutionären Zeitachse“ etwa 20 Millionen Jahre zurückgehen, als sich irgendwo auf der Welt die biologische Entwicklung der Affen aufspaltete (Darlington 1971: 16) und eine neue Entwicklungslinie entstand: die der Hominiden, der Menschenartigen.4 Diese hatten (vermutlich infolge des Zurückweichens der Urwälder und der Ausbreitung der Steppen) die Bäume des Waldes verlassen und bevölkerten nunmehr die offene Landschaft.5 Forderte der durch diesen Umweltdruck erzwungene Nahrungswechsel – anstatt nach pflanzlicher musste nunmehr nach tierischer Kost Ausschau gehalten werden – den aufrechten Gang (bipede Fortbewegung) sowie stereoskopisches Sehen (zur besseren Abstandsschätzung) heraus, so regten die allmählich entwickelten Jagdtechniken ihrerseits wieder die geistige Aktivität und damit die Vergrößerung des Gehirns an, was schließlich – begünstigt durch die infolge der aufrechten Körperhaltung für andere Tätigkeiten frei gewordenen Hände – zur Ausbildung echter Werkzeuglichkeit6 führte. Diese nachgewiesene Werkzeuglichkeit der Hominiden ist jedoch bereits eng an begriffliches Denken, an die Fähigkeit zur Abstraktion gebunden: Erst wenn situationsgebundene Leistungen von ihren zufälligen Begleitumständen abgrenzbar sind, werden konstant hervorgerufene Wirkungen (z. B. eines Werkzeuges) erkennbar. Nicht zuletzt die Notwendigkeit zur Tradition der Produktions- und Verwendungsweise derartiger Geräte mag schließlich auch die Ausbildung jener Kommunikationsfähigkeit forciert haben, die in der Sprache ihre angemessene Entsprechung erfuhr: Denn Sprache abstrahiert stets vom unmittelbaren Konkreten, ein „Wort hält […] in seiner Bedeutung stets das Allgemeine der Dinge und Erscheinungen fest […]. Es ist folglich auch eine Eigenart des Denkens, dass es sich dieser [sprachlichen – R. B.] Zeichen als Instrumente bedient“ (Schaff 1968c: 100).

      Kann der bisher angedeutete evolutionäre Entwicklungsprozess noch überwiegend als eine Reaktion auf Umweltdruck interpretiert werden, so darf spätestens seit der Ausbildung der Sprache „jenes ihm immer schon innewohnende Potential an Eigendynamik nicht übersehen werden, das sich in einer stetig zunehmenden Umweltveränderung durch gezielt-aktive Anpassungsleistungen der Hominiden (und noch mehr: des Menschen!) äußerte und äußert“ (Vogt 1979: 70). Im Hinblick auf die hier im Mittelpunkt stehende Kommunikationsfähigkeit bedeutet dies, dass Sprache – bisher vornehmlich als Resultat biologischer Evolution angesehen – nunmehr als Voraussetzung für wesentliche Markierungen der mit ihr einsetzenden soziokulturellen Evolution betrachtet werden muss: „Sprache allein ermöglichte Abstraktionsniveaus, die zur Entwicklung der materiellen Kultur und der menschlichen Gesellschaft notwendig waren“ (Campbell 1972, zit. n. Soritsch 1974: 278).

      Und man kann mit Talcott Parsons (der den Biologen Alfred Emerson zitiert) ergänzen: „Innerhalb der menschlichen Anpassungswelt ist das ‚Gen’ weitgehend durch das ‚Symbol’ ersetzt worden. Deshalb bestimmt nicht allein die genetische Konstitution der Spezies Mensch die ‚Bedürfnisse’ gegenüber der Umwelt, sondern diese Konstitution plus der kulturellen Evolution“ (Parsons 1971: 57). So wie Parsons in der Sprache eine der Grundvoraussetzungen der Evolution von Kultur und Gesellschaft (eine seiner evolutionären Universalien)7 sieht, so benennt auch Habermas (1971b) umgangssprachliche Kommunikation als eine der Eingangsbedingungen für gesellschaftliche Evolution.8

      Nun sind aber jene abstrakten (durch Sprache möglich gewordenen) Bewusstseinsleistungen, welche die soziale Evolution erst initiierten, nur dann angemessen zu begreifen, wenn man (mit Vogt 1979: 71) erkennt, dass sowohl Werkzeuglichkeit als auch Sprache ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Organisation menschlicher Arbeit besitzen (vgl. auch: Rossi-Landi 1972). Gesellschaftlich organisierte Arbeit gilt als „die spezifische Weise, in der Menschen im Unterschied zu Tieren ihr Leben reproduzieren“ (Habermas 1976a: 145). Sie tritt bei den Frühmenschen in der für sie charakteristischen Ausprägung der kooperativen Jagd (ebd.: 149) auf und war für die Ausdifferenzierung interpersonaler Kommunikation ein außerordentlich