Название | Kommunikationswissenschaft |
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Автор произведения | Roland Burkart |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846357132 |
3.3.1 Die verallgemeinernde Kraft der Sprache
Die Fähigkeit des Menschen, Zeichen in ihrer Symbolfunktion verwenden zu können, manifestiert sich im Fall der sprachlichen Zeichen auf ganz besondere Weise. Auf der einen Seite bezeichnen Wörter (außersprachliche) „Gegenstände“ und treten damit als Repräsentationszeichen8 auf; sie vertreten die bezeichneten Gegenstände im Rahmen zwischenmenschlicher Kommunikationsprozesse. Dadurch „gelingt es, die Objekte der Realität aus ihrer materiellen Existenzweise zu lösen, sie situations- und zeitunabhängig und damit zu Objekten geistiger Tätigkeit zu machen“ (Steinmüller 1977: 64). Diese (oben bereits angesprochene) Bezeichnungsleistung der menschlichen Sprache versetzt uns ja bekanntlich in die Lage, sowohl Objekte, die im Augenblick der Kommunikation nicht in unserem Wahrnehmungsraum vorhanden sind (z. B. einen Eiszapfen mitten im Sommer), als auch Bereiche der Realität, die als konkrete, sinnlich wahrnehmbare Gegenstände überhaupt nicht existierten (z. B. Werte, Demokratie, Religion), in unserem Bewusstsein zu aktualisieren.
Andererseits hält aber das Wort in seiner Bedeutung stets auch das Allgemeine der Dinge und Erscheinungen fest: „Jedes Wort verallgemeinert. Dieser Behauptung stimmen die verschiedenen Richtungen der Sprachtheorie zu“ (Schaff 1968c: 99). Eine derartige Verallgemeinerung gilt sowohl für die Bezeichnungen der Gegenstände (Tisch, Auto, Mensch) sowie ihrer Eigenschaften (blau, schnell, mutig).
So bezeichne ich beispielsweise mit dem Wort „Tisch“ nicht nur den konkreten Einrichtungsgegenstand, an dem ich sitze und mein Buch schreibe, sondern zugleich auch die Klasse ebensolcher Gegenstände, die mir als Summe von Vorstellungen (wie z. B. Tischfüße mit waagrecht aufgelegter Platte, die zum Abstellen diverser Dinge dient …) im Bewusstsein präsent sind.
Für diese durch das sprachliche Zeichen repräsentierte Abstraktion ist in der Sprachtheorie der Terminus Begriff gebräuchlich. „Begriffe sind Klassen von Umwelterfahrungen“ (Göppner 1978: 63), also Vorstellungen von der Realität, die aus der Summe individueller Erfahrungen verallgemeinert worden sind. Begriffe sind eine grundsätzlich dynamische Größe, d. h., es ist möglich und wahrscheinlich, dass „neue Erfahrungen in das Begriffssystem der bisherigen Erfahrungen eingeordnet werden, bzw. dieses Begriffssystem erweitern können“ (ebd.). Es erscheint plausibel, dass dieser Prozess ein lebensbegleitender Vorgang ist. Die Begriffsbildung ist bei einem Menschen im Grunde nie endgültig und abgeschlossen. Zweifellos kann man aber den Schwerpunkt der Begriffsentstehung in der Kindheit ansiedeln. Besonders für das Kind ist ein Begriff noch sehr stark mit einigen wenigen konkreten Wahrnehmungen verbunden.
Nach Wygotski (1969: 120 ff.) vollzieht sich Begriffsbildung in drei Stufen: Zunächst besteht die Bedeutung eines Wortes in der (1) Verkettung einzelner Gegenstände, dann kommt es zu einer (2) Gruppierung und einer Verbindung zwischen den konkreten Eindrücken aber erst (3) „im Prozess einer intellektuellen Operation“ entsteht der eigentliche Begriff: Zentral ist dabei „der funktionelle Gebrauch des Wortes als Mittel zur willkürlichen Lenkung der Aufmerksamkeit, der Abstraktion, der Herauslösung der einzelnen Merkmale, ihre Synthese und Symbolisierung mit Hilfe eines Zeichens“ (ebd. S. 164).
Sehr deutlich tritt der Zusammenhang zwischen Sprache und Erfahrung bei der Analyse der kindlichen Sprachentwicklung aus der theoretischen Perspektive des Symbolischen Interaktionismus9 hervor. Eine der Grundannahmen dieses Konzepts besagt ja, dass die Bedeutungen von Umweltobjekten „soziale Produkte“ (Blumer 2015: 27) sind, d. h., aus den sozialen Interaktionen abgeleitet werden, die man mit seinen Mitmenschen eingeht. Im Sinn des Symbolischen Interaktionismus ist daher beachtenswert, dass ein Kind mit dem Akt seiner Geburt nicht nur ein Teil der jeweils vorhandenen natürlichen Umwelt wird, sondern auch (und dies vor allem) „in einen bestimmten existenten Satz von sozialen Beziehungen“ (Stryker 1976: 264) hineingeboren wird.
Im Moment des Eintritts in seine soziale Umwelt zeigt das Kind noch rein zufällige Bewegungsabläufe. Erste Reaktionen von Erwachsenen (Füttern, Hin- und Herwiegen, Trockenlegen u. Ä.), die noch mehr oder weniger dem Prinzip von „Versuch und Irrtum“ gehorchen, führen allmählich zu einer Abfolge von bestimmten Verhaltensweisen und Ereignissen, an die sich das Kind gewöhnt. „Wird diese Gewohnheit plötzlich unterbrochen (etwa beim Nichterscheinen der Mutter, wenn das Kind hungrig ist), so entsteht in seinem Bewusstsein eine Vorstellung von der unvollendeten Handlung. Indem es dann diese Vorstellung mit einem Wort oder Worten bezeichnet (vielleicht zuerst nicht mit Worten der Umgangssprache, aber später doch ihr angepasst), kann sich das Kind diese Vorstellung von da an ins Bewusstsein rufen, auch wenn es nicht in seiner Gewohnheit ‚blockiert’ wird. In unserem Beispiel besteht diese Vorstellung aus dem Bild der Mutter, die das Kind füttert. Nach zahlreichen ähnlichen Ereignissen kann es dann ‚Mutter’ als ein durch ein Symbol bezeichnetes Objekt unterscheiden“ (Rose 1967: 276).
Für die Bildung von Begriffen und deren spätere Symbolisierung durch sprachliche Zeichen erweisen sich somit gerade die ersten Umwelterfahrungen des heranwachsenden Kindes als besonders bedeutsam. Sprachliche Zeichen/Symbole und deren Bedeutungen dürfen niemals losgelöst von ihrer Umwelt, in der sie existieren (und entstanden sind), betrachtet werden. Infolge der verallgemeinernden Kraft der Sprache drücken Wörter stets eine Summe klassifizierter Vorstellungen (= Begriffe) über diese Umwelt aus, die ihre Wurzel in den individuellen Erfahrungen der jeweiligen Sprachbenützer besitzen.
Das Wissen um die verallgemeinernde Kraft der Sprache führte bislang also zur Einsicht, dass wir mit sprachlichen Zeichen nicht bloß Objekte der Realität raum- und zeitunabhängig zum Gegenstand unserer geistigen Tätigkeit machen können, sondern dass wir mit Wörtern immer auch auf Begriffe rekurrieren, die als mehr oder weniger individuell verallgemeinerte Umwelterfahrungen Bestandteil unseres Bewusstseins sind. Die Bedeutung sprachlicher Symbole ist also wesentlich von der Qualität der Erfahrung abhängig, die der jeweilige Sprachbenutzer mit den „Gegenständen“ machen konnte, auf welche die jeweiligen Wörter verweisen. Mit diesem Hinweis auf die bedeutungsprägende Kraft der Erfahrung ist auch das Verhältnis der Sprache zur Wirklichkeit angesprochen. Dieses Verhältnis impliziert weitere Besonderheiten der menschlichen Sprache, die für ihre kommunikative Funktion relevant sind.
3.3.2 Sprache und Wirklichkeit
Ausgangspunkt ist abermals der theoretische Ansatz des Symbolischen Interaktionismus – diesmal mit seiner zentralen Annahme, wonach wir nicht nur in einer natürlichen, sondern auch in einer symbolischen Umwelt leben (Rose 1967: 267). Darin kommt zum Ausdruck, dass der Mensch (im Gegensatz zum Tier) imstande war, eine Welt bedeutungsvoller Zeichen zu schaffen, die neben der (größtenteils ohne sein Zutun vorhandenen) Natur auch ein Teil seiner äußeren Umgebung geworden ist. Der Mensch gilt als ein „animal symbolicum“ (Mühlmann 1966: 16, Rath 2014: 66), das mit seiner Umwelt nicht direkt und unmittelbar, sondern vermittelt durch künstliche Symbolsysteme in Verbindung steht.10
Abb. 10: Die symbolische Umwelt des Menschen (nach Lindersmith/Strauss 1974: 85, eigene Darstellung)
Der unmittelbare Zugang zur natürlichen Umgebung ist (wie Abb. 10 verdeutlicht), gleichsam durch Symbole gebrochen. Man kann diese symbolische Umwelt als eine Art Ersatz-Umgebung denken, die gewissermaßen einen Filter zur natürlichen Umwelt bereitstellt, durch den wir die uns umgebende Realität erst betrachten und über sie verfügen können. Dabei ist allerdings „wichtig zu bemerken, dass diese Umgebung keine bloße Reproduktion oder Reflexion der Außenwelt ist. Sie ist eher eine Rekonstruktion der Welt im Sinne der Erfordernisse der menschlichen Lebensführung“ (Lindesmith/Strauss 1974: 85). Oder wie es Cassirer