Название | Die kapitalistische Gesellschaft |
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Автор произведения | Boike Rehbein |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846357651 |
Der Kapitalismus widerspricht prinzipiell den beiden Formen des Marktes, weil sein Ziel von Anfang an die Konzentration des Gewinns in einer privilegierten Gruppe ist. Das Ziel ist im heutigen Finanzkapitalismus in höchstem Maße erreicht, weil eine kleine Gruppe von Großkapitalisten als unsichtbares Kollektiv gemeinsam alle Großunternehmen besitzt, wie ich weiter unten zeigen werde. Durch die Kollektivierung des Kapitals ist die Sicherung der Herrschaft und der Gesellschaftsordnung in höchstem Maße erreicht. Dennoch bestehen Unsicherheit und Konkurrenz fort. Die kapitalistische Gesellschaft entwickelte sich aus der internen und externen Expansion des Kapitals. Dadurch enthält sie einerseits ständige Innovation und andererseits die Möglichkeit sozialen Aufstiegs über Kapitalakkumulation. Man könnte sagen, sie werde die Geister, die sie rief, nicht mehr los. Der Widerspruch zwischen Stabilität und Konkurrenz ist ein Grundmerkmal der kapitalistischen Gesellschaft.
Neu am westlichen Kapitalismus gegenüber den früheren Formen des Kapitalismus war die staatliche Institutionalisierung. Der König erhebt nicht mehr Anspruch auf den gesamten Grundbesitz, es gibt keinen erblichen Herrschaftsanspruch mehr, der Herrscher finanziert seine Privatausgaben nicht mehr durch einen willkürlich festgelegten Tribut. Der Staat ist keine Privatangelegenheit des Herrschers mehr, sondern wird ein formalisierter Apparat. Der Apparat wurde gleichzeitig mit der Entstehung des westlichen Kapitalismus Gegenstand des Kampfes zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, aus dem meist die Gruppe der Kapitalisten siegreich hervorging. Der König wird ersetzt durch den Staat, der in letzter Instanz Eigentümer des Bodens und des Geldes ist. Der Staat wiederum wird von der Gruppe der Kapitalisten maßgeblich beeinflusst. Seine Schulden sind im Besitz von Privatpersonen. Die meisten seiner zentralen Aktivitäten dienen der Kapitalvermehrung. Im Kapitalismus bilden die Kapitaleigentümer eine herrschende Klasse, die den Staat und seine Institutionen instrumentalisiert, um Gewinn zu machen und dadurch ihre herrschende Position zu bewahren.
3 Kapital und Arbeit
Im vorangehenden Kapitel wurde die Entwicklung wichtiger Elemente des Kapitalismus nachgezeichnet. Die Eigenschaften des Kapitalismus in europäischen Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts werden oft mit historisch getrennten Phänomenen vermischt, beispielsweise der Aufklärung, allgemeinen Bürgerrechten und der Institution des freien Markts. All diese Phänomene sind aber nicht direkt voneinander abhängig und begannen im Westen zu unterschiedlichen Zeiten. Keine einzelne Eigenschaft definiert den gesamten Kapitalismus. Wir können jedoch erst von einem entfalteten Kapitalismus sprechen, wenn zumindest die im vorangehenden Kapitel diskutierten Eigenschaften entwickelt sind. Nun müssen wir ihren Zusammenhang untersuchen.
Eine der wichtigsten Eigenschaften des heutigen Kapitalismus ist die Beschäftigung von Lohnarbeitern durch das Kapital. Das geschah, wie das vorangehende Kapitel aufgezeigt hat, in großem Stil nicht vor dem 19. Jahrhundert. Die Menschen werden in diese Gesellschaftsform integriert, indem sie zu Lohnarbeitern werden und alle gleichermaßen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um zu überleben. Das ist allerdings ein Nebenprodukt des Kapitalismus. Nur in der Phase der Industrialisierung besteht eine hinreichende Nachfrage nach formal freier Arbeitskraft. In den Phasen davor und danach bestehen für Menschen ohne Arbeit die Optionen Verelendung und staatliche Unterstützung. Allerdings sind die Menschen in der postindustriellen Phase potentiell freie Arbeitnehmer und potentiell gleiche Mitglieder einer Demokratie, nicht mehr Menschen ohne Bürgerrechte.
Die vom Land vertriebenen Menschen hatten bis zur Industrialisierung in den Städten und in der Industrie keine Arbeit. Das Kapital wurde nicht in die Produktion investiert, sondern in Grundeigentum, Finanzinstrumente und den Handel, insbesondere in den Fernhandel. Erst als der Kolonialhandel nicht mehr so profitabel zu werden begann sowie Absatzmärke in Europa und den Kolonien anwuchsen, investierten Kapitalisten in Arbeit und Maschinen. Das begann nicht vor dem 18. Jahrhundert. Der größte Teil des Kapitals blieb allerdings bis heute in Land und Finanzen investiert. Auch der Handel verlor seine Bedeutung mit dem Industriekapitalismus nicht.
Die marxistische Annahme einer polaren Gesellschaftsstruktur von Kapitalisten und Arbeitern ist daher nicht zutreffend – wenn man wie MarxMarx, Karl unter Kapitalisten Industrielle und unter Arbeitern Lohnarbeiter in der Produktion versteht.1 Diese Gruppen waren immer nur Minderheiten, auch heute. In einem anderen Sinne aber trifft die Annahme zu. Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen mit Kapital (weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung) und diejenigen ohne Kapital, die für ihren Lebensunterhalt auf die Unterstützung der Kapitaleigentümer, auf Lohnarbeit, angewiesen sind.2 Diese Struktur hat Karl Marx in seinen Frühschriften erläutert. Er schrieb, dass für den Arbeiter nur ein Leben existiere, wenn er ein Kapital finde, das ihn beschäftigt.3 Seine Bemerkung verdient eine genauere Untersuchung.
3.1 Was ist Kapital?
Wenn von „Kapital“ die Rede ist, erklärt man meist nicht, was gemeint ist. Häufig meint man Vermögen oder Besitz. Als Kapital kann aber nur ein Vermögen bezeichnet werden, das gewinnbringend investiert wird. Im Alltag sind wir der Meinung, dass jeder Mensch über Kapital verfügt oder zumindest prinzipiell verfügen kann. Tatsächlich ist der Besitz von Kapital im Sinne eines mit dem Ziel von Gewinn investierten Eigentums auf eine winzige Gruppe beschränkt. Wir werden uns mit dieser Gruppe weiter unten eingehender beschäftigen.
Das Einkommen kann man in Konsum verwandeln (und damit gleichsam verlieren) oder verwahren (sparen). Die Arbeiterschaft muss den größten Teil ihres Einkommens für notwendigen Konsum aufwenden – auch wenn die Definition des Notwendigen sich im Laufe der Zeit ändert. Wenn das Einkommen für den Konsum verbraucht ist, muss die Arbeitskraft erneut verkauft werden. Bleibt darüber hinaus noch etwas übrig, kann es gespart werden. Weder das ersparte noch das für den Konsum aufgewendete Geld ist Kapital. Nur wenn das Ersparte so investiert wird, dass es einen nicht konsumierten Profit abwirft, der über der Wachstumsrate liegt, sich also vermehrt, verfügt man über potentielles Kapital.
Allerdings sind nicht einmal alle Menschen, die über potentielles Kapital verfügen, im ökonomischen Sinne als Kapitalisten zu bezeichnen. Wer ein paar Aktien eines Großunternehmens besitzt, hat keinen Einfluss auf die Firmenpolitik und den Aktienkurs. Es handelt sich lediglich um eine andere Art des Sparens, nicht um eine kontrollierbare Investition. Kleine Sparer sind den Großaktionären und der Unternehmensleitung vollkommen ausgeliefert. Sie sind keine Kapitalisten. Das zeigt sich auch an den Profitraten. Während kleine Sparer froh sind, wenn sich ihr Geld überhaupt vermehrt, streben die Kapitalisten stets Profitraten von mehreren Prozent pro Jahr an. Die Sparer vermehren ihr Vermögen kaum, die Kapitalisten erzielen in Deutschland einen Gewinn von mindestens 4,6 Prozent auf ihre Geldvermögen.1 Ferner finanzieren Kapitalisten ihren Lebensunterhalt aus dem Profit, während die Sparer für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Schließlich sind Kapitalisten nur in Verbindung mit einer sozialen Klasse zu interpretieren. Darauf werde ich im Verlauf des Kapitels mehrfach zurückkommen.
Die Kapitalisten stellen dem Rest der Bevölkerung Kapital gegen eine Art Nutzungsgebühr zur Verfügung. Ein geringer Teil der Nutzer setzt dieses Kapital selbst als Investition ein, muss aber eine Nutzungsgebühr abführen. Wer Boden nutzt, bezahlt eine Pacht. Wer Maschinen benutzt, bezahlt eine Pacht. Und wer Geld leiht, muss einen Zins entrichten. Die Nutzer versuchen, das Kapital so einzusetzen, dass sie selbst einen Gewinn machen. Auf diese Weise sichern sie sich ihr Überleben. Die Mittel zum Überleben kaufen sie jedoch letztlich wieder vom Kapitalisten, so dass ihr Lohn oder Gewinn an den Kapitalisten zurückfließt. Der große Rest der Bevölkerung erarbeitet mittels des Kapitaleinsatzes seinen eigenen Lebensunterhalt und den Profit der Kapitaleigner. Und die Kosten für den Lebensunterhalt fließen an die Verkäufer der Lebensmittel zurück, also an die Kapitaleigner.
Es ist wichtig, sich diesen Punkt genau klarzumachen. Ein beträchtlicher Teil der Einkommen und Vermögen der Menschen, die keine Kapitalisten sind, landet letztlich bei den Kapitalisten. Wir alle bekommen nur Konsumgüter zur Verfügung gestellt. Aus dieser Perspektive macht es keinen Unterschied, ob jemand 1800 oder 8000 Euro netto im Monat verdient. Bei 1800 Euro liegt der bundesdeutsche Durchschnitt für Haushalte, mit 8000 Euro gehört man zu