Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten. Petra Herczeg

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Название Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten
Автор произведения Petra Herczeg
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846356395



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und ihrer politischen Regulierung“ (Averbeck-Lietz & Löblich, 2017, S. 14) festgemacht werden. [38]

      Besonders großes Interesse sowohl der Kommunikationswissenschaftlerinnen als auch der Öffentlichkeit besteht immer an den „Wirkungen“ von Medien. Daher werden an dieser Stelle Klassiker „der Medienwirkungen“ kurz vorgestellt und besprochen:

      Paul F. Lazarsfeld hat bereits 1932 eine Hörerstudie für die RAVAG (Österreichische Radio-Verkehrs-A. G., Vorgängerin des ORF) durchgeführt. Das 52-seitige Manuskript galt jahrzehntelang als verschollen und der Herausgeber Desmond Mark schreibt, dass die Publikation „eine österreichische Pionierarbeit der Rundfunkforschung [ist], die als die Geburtsstunde der modernen Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung bezeichnet wurde“, und weiter: „Die vermutete historische Priorität der Wiener empirischen Medienforschung wird durch eine Analyse der internationalen Rundfunkliteratur der dreißiger Jahre bestätigt.“ (Mark, 1996, S. 102) Interessant ist dabei, dass auch methodische Bezüge zwischen der RAVAG-Studie und der Marienthal-Studie (siehe Kap. 3.5), die beide in den 1930er-Jahren durchgeführt wurden, festgestellt werden konnten. In der Befragung ließen die Hörerinnen und Hörer der RAVAG ihre Programmwünsche zukommen, die nach bestimmten Kriterien – wie nach den soziodemographischen Daten Wohnort, Beruf, Alter, Geschlecht – ausgewertet wurden.

      Lazarsfelds damaliger Mitarbeiter Paul Neurath schreibt dazu: „Das war sozusagen der eigentliche Moment, in dem die Forschungsrichtung der Wiener RAVAG-Studie von 1932, mit ihrem Schwergewicht auf der Differenzierung von Hörerpräferenzen nach sozialer Schichtung usw., die zukünftige Ausrichtung der amerikanischen Hörer- und im weiteren Verlauf der öffentlichen Meinungsforschung entscheidend beeinflussen sollte. Daß diese Forschungsrichtung sich dann von Amerika aus erst in Europa und schließlich auf der ganzen Welt verbreitete, führte dazu, wie Lazarsfeld Jahrzehnte später einmal als eine Art Kuriosum anmerkte, daß diese ursprünglich österreichische Forschungsrichtung nun in aller Welt, und auch in Österreich als ‚typisch amerikanisch‘ galt und zum Teil bis heute noch gilt.“ (Neurath, 1996, S. 19) In den USA war Lazarsfeld Direktor des Princeton Radio Projects und er war u. a. als Professor an der Columbia University in New York City tätig. Zahlreiche Studien zur Radioforschung wurden von ihm und seinen Mitarbeitern durchgeführt. [39]

      Einen weiteren wichtigen Schritt in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung setzte Lazarsfeld mit der Studie „The Peopleʼs Choice“ (1944). In dieser Studie wurde von Lazarsfeld et al. der US-amerikanische Wahlkampf im Jahr 1940 untersucht. Im Mittelpunkt der Studie stand die Fragestellung, wie individuelle Wahlentscheidungen zustande kommen und welchen Einfluss dabei unterschiedliche Quellen wie Medien haben. Für die damalige Zeit wurde ein Methodendesign eingesetzt, das revolutionär war: Es wurden Paneldesigns verwendet, d. h., die gleichen potenziellen Wähler wurden über einen längeren Zeitraum von Mai bis November 1940 in sieben Wellen mehrmals befragt.

      „Die Studie begründet einen Meilenstein in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung, da sie den Grundstein für einen Paradigmenwechsel legt, nämlich die Abkehr von der Annahme des Publikums als Masse, die den Einflüssen der Massenmedien ausgeliefert ist, hin zu den ‚limited effects‘ der Medien.“ (Taddicken, 2016, S. 25) Das in der Studie entwickelte Konzept „The peopleʼs choice“ ist auch heute noch in der Kommunikationswissenschaft aktuell, wenn es um die „These der selektiven Zuwendung des Publikums zu Medieninhalten, um das Meinungsführerkonzept und um die These vom Zweistufenfluss der Kommunikation geht.“ (Taddicken, 2016, S. 25) Die empirische Arbeit ist auch als „Erie-County-Studie“ bekannt – benannt nach der Erhebungsgegend, in der der Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem republikanischen Kandidaten Willkie und dem demokratischen Kandidaten Roosevelt untersucht wurde.

      Bei der Untersuchung wurden sowohl quantitative als auch qualitative Befragungsdesigns eingesetzt. Dazu wurden auch noch drei Kontrollgruppen eingerichtet, um Paneleffekte zu vermeiden. Taddicken resümiert die Bedeutung der Studie dahingehend, dass in der Untersuchung die „Idee der Massenkommunikation mit der interpersonalen Kommunikation [verbunden und] damit die Idee von ungefilterten und direkten Effekten von Medieninhalten auf Menschen in Frage“ (Taddicken, 2016, S. 33) gestellt wurde.

      Angesichts der Entwicklungen im Social Media-Bereich kann das Konzept der Meinungsführerschaft auch heute wieder als ein wichtiges theoretisches Bezugssystem in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung genutzt werden. [40]

      Eine weitere Studie, die in der Kommunikationswissenschaft und in der Öffentlichkeit eine intensive Rezeption erfahren hat, ist „The Invasion from Mars“ (1940). Ausgangspunkt dieser Studie bildete eine Ausstrahlung des Radiohörspiels „The War of the Worlds“ von Orson Welles zu Halloween 1938, das eine Adaption des gleichnamigen Romans von H. G. Wells (1898) war. Angeblich wurde durch das Hörspiel eine Massenpanik bei den Zuhörern hervorgerufen, da sie die Invasion der Marsmenschen, die dramaturgisch als Live-Reportage inszeniert wurde, für real hielten.

      „In der Kommunikationswissenschaft oftmals unreflektiert als wissenschaftlicher Beweis für die angeblich starken Medienwirkungen ins Feld geführt, wirft die Studie jedoch ein differenziertes Licht auf die Ereignisse.“ (Herbers, 2016, S. 13) Paul Lazarsfeld war zunächst selbst in die Studie involviert, da er gemeinsam mit Frank Stanton, der eine Leitungsfunktion bei CBS innehatte, zum Studio fuhr, vor dem Journalisten, Polizei und Studiomitarbeiter versuchten, die Menschen zu beruhigen. Beide führten gemeinsam ad hoc eine Studie zur „Panik“ während der Sendezeit und danach durch. Die Daten wurden nicht veröffentlicht und sind noch heute bei CBS unter Verschluss, die Studie diente allerdings Hadley Cantril als Ausgangspunkt für seine eigene Untersuchung.5

      Cantril, ein Psychologe, der im Bereich von Meinungs- und Umfrageforschung tätig war, beschäftigte sich vor allem mit den „individuellen Veränderungen in kognitiver und emotionaler Hinsicht, die sich aus der Rezeption des Hörspiels ergaben“ (Herbers, 2016, S. 16), weiter berücksichtigt wurden auch „die Handlungen, die im Anschluss oder während der Sendung von den Zuhörern durchgeführt wurden, inklusive intervenierender und kontextualisierender Variablen“ (Herbers, 2016, S. 16). Die Forschergruppe befasste sich mit der individuellen Panik und der kollektiven Panik, die zumindest im medialen Diskurs thematisiert wurde. Bei den Ergebnissen wurde deutlich, dass „das im Journalismus und in der Kommunikationswissenschaft perpetuierte Ergebnis einer kollektiven Panik in der Studie selbst nicht beschrieben wird“ (Herbers, 2016, S. 16). In der Untersuchung zeigen sich aber auch Defizite, die damit zusammenhängen, dass keine exakten Angaben über die Grundgesamtheit der Zuhörer gemacht werden konnten und die [41] Frage, die an die Zuhörer gestellt wurde, lautete: „At the time you were listening, did you think this broadcast was a play or a real news report?“ (Herbers, 2016, S. 17) Es wird eben nicht danach gefragt, ob die Menschen in Panik verfielen, sondern ob sie das Hörspiel für real oder fiktional hielten. Die Studie, die in der Kommunikationswissenschaft eine zum Teil sehr unreflektierte Rezeption erfahren hat und vor allem „im Gedächtnis jedes Erstsemesters haften“ (Neuberger, 2009, S. 239) bleibt, hat überwiegend methodische Schwächen. Denn: „Viele der Befragten gaben an, die im Radio präsentierten Ergebnisse durch eigenständige Background-Checks überprüft zu haben […]. Diese Handlungen sind in solchen (angenommenen) Krisensituationen nicht ungewöhnlich. Folgt man diesem Argument, so kann die Studie in gegenwärtigen, kommunikationswissenschaftlichen Kontexten weniger als ‚klassische‘ Wirkungsstudie verwendet werden, sondern als (historische) Beschreibung von Handlungen, die eine gewisse ‚public connectedness‘ (Couldry et al., 2007) in Zeiten der Krise ermöglichen.“ (Herbes, 2016, S. 21) Die Studie ist daher eher als eine Aneignungs- bzw. Rezeptionsstudie zu klassifizieren, die nicht als Grundlagenstudie für vermeintlich starke Medienwirkungen im Fach selbst rezipiert werden kann.