Ganz allein – in Deinem Alter?. Rena Reisch

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Название Ganz allein – in Deinem Alter?
Автор произведения Rena Reisch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076605



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funktioniert das so: „Achte darauf, dass du nie dumm dastehst, und lass andere nie dumm dastehen“. Und so werden Anliegen und Beschwerden stets leise und beherrscht vorgetragen, das laut auf den Tisch zu hauen, um sein Recht einzufordern, wie wir es im Westen praktizieren, wird mit größter Missbilligung gesehen.

      Früher ekelte ich mich oft, wenn man mir erzählte, dass Ratten, Schlangen und Würmer auf dem täglichen Speiseplan vieler Menschen in ärmeren Ländern standen, und ich hatte sie in meiner westlichen Arroganz als „primitiv“ und „unkultiviert“ bezeichnet, bis ich die dahinterliegende Botschaft verstand: Diese Menschen waren bitterarm und hatten nichts Anderes zu essen.

      Ich empfand tiefe Ehrfurcht für die Weisheit und die Sanftheit zweier Ayurveda-Ärztinnen in Indien, die „Heilen“ völlig anders verstehen als wir hier im Westen, und die unbeschreibliche Atmosphäre beim Goldenen Felsen in Myanmar lässt mich noch heute erschauern. Der Duft der unzähligen Räucherstäbchen, die stille Friedfertigkeit der Pilger, das leise Murmeln der Gebete gemeinsam mit dem Leuchten des heiligen Felsens in der Abenddämmerung gehören zu den schönsten Momenten, die ich auf meinen Reisen erleben durfte.

      In Japan faszinierte mich die Kunst, Ästhetik in jedem Lebensbereich zu zelebrieren und mit wenigen Stilmitteln Harmonie zu erzeugen. Dem Leisen, dem Eleganten, dem Höflichen wird dort der Vorzug gegeben. In der Mode lässt man es jedoch krachen: Je schräger, desto lieber, je abgefahrener, desto begehrter, so schien mir das Bekleidungsmotto der jungen Japanerinnen und Japaner zu sein und ich bewunderte diese Kunst, die unglaublichsten Kleidungsstücke stilsicher zu kombinieren.

      Auch wenn es grob generalisierend klingt: Indien riecht anders als Thailand, Japan riecht gar nicht, Buenos Aires riecht nach Verzweiflung und Myanmar ganz und gar spirituell. Die Tierherden in der Masai Mara sind von einem magischen Zauber, in den USA gibt es selbst für rüpelhaftestes Benehmen kein einziges Naserümpfen und wir Europäer sind überempfindlich.

      Reisen ist für mich unendlich interessant. Ich reise für mein Leben gerne.

      Schon als Studentin trampte ich mutterseelenallein per Autostopp mehrmals nach Griechenland, damals noch über die „Autoput“ im ehemaligen Jugoslawien. Ich erlebte haarsträubende Verkehrssituationen, wahnwitzige Überholmanöver, Geisterfahrten auf griechischen Autobahnen, übernächtigte LKW-Fahrer und schikanierende Grenzbeamte. Damals war ich mir keiner Gefahr bewusst, so als hätte mich eine Aura der Unverwundbarkeit umgeben. Heute weiß ich, wie leichtsinnig ich war und wie unbedarft. Ich hätte zu Tode kommen können, man hätte mich vergewaltigen können, ich hätte bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt werden können. Nichts von alledem ist je passiert, jedoch haben meine Eltern nie von diesen Reisen erfahren und meinem eigenen Sohn hätte ich niemals erlaubt, per Autostopp die Welt zu erkunden.

      Im Laufe meines Reiselebens habe ich viele Individualreisen organisiert und umfangreiche Kenntnisse und viel Routine im Umgang mit Buchungsplattformen und Fluganbietern erlangt. Diese Routine kam mir bei der Organisation meiner Weltreise sehr zugute. Diese Reise war von ganz anderem Kaliber als alle meine Reisen davor.

      Diesmal war es besonders wichtig, mich möglichst gut vorzubereiten. Ein erfahrener Reisender hatte mir einmal folgenden guten Rat gegeben: „Lass’ Probleme gar nicht erst entstehen, dann brauchst du sie auch nicht zu lösen.“ Wie wahr! Denn wenn man nach einem langen Flug völlig übermüdet spätabends oder in aller Herrgottsfrühe in einer anderen Zeitzone aus dem Flugzeug wankt und den Transfer zum entlegenen Hotel noch nicht gebucht hat, ist es zu spät. Dem Stress und der Abzocke sind Tür und Tor geöffnet und nicht selten kann so ein unglücklicher Start eine ganze Reise vermiesen und viel unnötiges Geld kosten.

      Mein Bestreben war es auch immer, möglichst kostengünstig zu reisen. Denn, so sagte ich mir stets, wenn ich sparsam bin, kann ich mir viele interessante Reisen leisten, anstatt alles für eine einzige Luxusreise aus dem Fenster zu werfen.

      Auch meine Weltreise plante ich konsequent mit Blick auf Kostenoptimierung und gab für zwei Monate rund um die Welt inklusive vier Business Class-Langstreckenflügen und elf Inlandsflügen insgesamt nicht mehr als € 11.500 aus. Ich war zufrieden und mein Konto war es auch.

      3. Ein Reisegerüst muss her

      Wie legt man eine Reise an, wenn man die ganze Welt zur Auswahl hat?

      Eigentlich war die Planungsphase das Spannendste der ganzen Reise, das sage ich hier ganz offen.

      Da war ich nun, hatte vier Langstreckenflüge rund um die Welt gebucht und musste dieses Gerüst mit Ländern und Orten füllen. Manchmal stellte ich mir meine Reise wie einen menschlichen Körper vor – die großen Flugverbindungen waren das Skelett und alles, was ich noch hinzufügte, würde diesen Körper groß oder klein, dick oder dünn werden lassen.

      Nach einer Phase der Unschlüssigkeit und der Frage, wie ich die Planung überhaupt anlegen sollte, begann ich mit Australien und Neuseeland, dem Hauptteil meiner Reise, oder, um in der Körperanalogie zu bleiben, mit dem Rumpf. Außerdem erinnerte ich mich, irgendwann von Australienreisenden gehört zu haben, man solle seine Unterkünfte und Mietautos mindestens ein halbes Jahr im Voraus buchen, denn zu den Hauptreisezeiten würden diese knapp werden.

      Was wollte ich also dort erleben, was war möglich in der veranschlagten Zeit? Alice Springs und Uluru/Ayers Rock, den roten Felsen, wollte ich unbedingt sehen. So viele Bücher hatte ich über diese Stadt in der Mitte Australiens, mitten im Outback, gelesen und nun war die Gelegenheit da, die Hitze der australischen Wüste, den Staub und die rote Erde am eigenen Leib zu spüren und die magische Ausstrahlung von Uluru, dem heiligen Berg der Aborigines, zu erleben. Des Weiteren war Sydney, die Stadt mit dem wunderschönen Opernhaus und der berühmten Harbour Bridge, von der jedes Neujahr das erste Feuerwerk losgeht, ein Muss auf meiner Australienliste. Melbourne vielleicht auch noch, und dann musste ich irgendwie nach Auckland/Neuseeland kommen.

      Wie bewegt man sich in Australien, diesem riesigen Kontinent, wenn man nicht alle Zeit der Welt hat? Mit einem Airpass der australischen Qantas Airlines, der – Wunder, Wunder – auch einen Flug nach Neuseeland beinhaltet. Meine Routine bei Flugrecherchen machte sich bezahlt, der Airpass war günstig – € 562 für drei lange Flüge: Sydney – Alice Springs – Melbourne – Auckland.

      Nun kam das Schwierigste und das erwies sich als die größte Herausforderung für meinen Planungen: Die Fixflüge gaben ein Zeitkorsett vor und ich musste mit der Buchung festlegen, wie lange ich wo bleiben wollte, wenn ich diese günstigen Tickets erwerben wollte – und dies bereits neun Monate vor meiner Abreise. Mir war schon damals klar, dass ich Fehler machen würde: Waren vier Tage in Sydney zu viel oder zu wenig, reichten fünf Tage für Alice Springs und Uluru, sollte ich eine Woche in Melbourne bleiben und das dortige Umland mitsamt der Great Ocean Road, einem besonders schönen UNESCO-Weltnaturerbe-Landstrich, erkunden? Ginge sich noch etwas Anderes in Australien aus oder wollte ich lieber mehr Zeit in Neuseeland verbringen?

      Ich muss gestehen, dass ich diese Planungsphase als überaus schwierig empfand – jeder Fehler, den ich hier machte, würde sich vor Ort bitter rächen. Ich ging nochmals in mich und fragte mich, was ich wirklich wollte, und kam zum Schluss, dass mich zwar Australien in seiner riesigen Dimension sehr verlockte, meine zeitlichen Möglichkeiten jedoch eine intensive Bereisung dieses Kontinents nicht zuließen. Natürlich hätte ich die Reise zeitlich ausdehnen können, aber zwei Monate erschienen mir damals als lange genug, überhaupt, da ich ja allein unterwegs war. Also entschloss ich mich für weniger Australien und mehr Neuseeland, zumal die Naturschönheiten Neuseelands stets mit Attributen der Superlative versehen werden – traumhaft, verzaubert, mystisch, das Naturparadies auf Erden – das wollte ich mit eigenen Augen sehen und hautnah erleben.

      Also fixierte ich auch die Inlandsflüge und begann mir Gedanken über die Art der Fortbewegung in den jeweiligen Ländern zu machen.

      Die Art des Vorankommens in Neuseeland beschäftigte mich besonders.

      Dieses Land wollte ich möglichst intensiv erleben. Bus? Nein, ich bin kein Langstreckenbus-Typ. Außerdem kann man nie dort stehenbleiben, wo man möchte, um zu fotografieren oder einfach nur zu genießen. Camper? Als Einzelreisende? Auch keine wirkliche Option – das Handling erschien mir zu