Название | Deutschland ein Rechtsstaat? |
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Автор произведения | Nikolaus Orlop |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076957 |
2. Richterliche Überheblichkeit
Ein solches Beispiel ist ein Richter, ein Senatsvorsitzender eines Oberlandesgerichts. Dieser äußerte sich im Rahmen eines allgemeinen Gesprächs unter Juristenkollegen zur Frage der Problematik von Parteivorträgen in der Gerichtsverhandlung im Rahmen eines umfassenden Beweisverfahrens. Es ging vor allem um die Auffassung einer Partei, die aus verfahrensrechtlichen Gründen nach der Zivilprozessordnung nur von Rechtsanwälten vor den Obergerichten vorgetragen werden kann. In diesen Verfahren, die in der Regel Berufungsinstanzen sind, werden alle tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, von der Beibringung von ausführlichen Gutachten über zusätzliche Zeugeneinvernahmen bis hin zu richterlichen Stellungnahmen und der allgemeinen Beweiswürdigung. Bezüglich der richtigen Entscheidungsfindung des Oberlandesgerichts äußerte sich der betreffende Senatsvorsitzende sinngemäß wie folgt: „Wenn wir uns im Senat eine Meinung gebildet haben, dann bleiben wir bei dieser Auffassung und vertreten sie auch konsequent weiter. Und ganz gleich, selbst wenn der Anwalt eine andere Auffassung vertritt, bleiben wir trotzdem bei unserer Meinung. Und wenn die Auffassung des Anwalts richtig ist, dann bleiben wir dennoch bei der von uns einmal gefassten und vertretenen Meinung“.
Soweit dies, wenn auch im Einzelfall, die offizielle Auffassung eines Gerichts über den richtigen Verlauf einer Verhandlung sein soll, wie kann man sich da als Staatsbürger verhalten? Wie soll man dann die Notwendigkeit eines gerichtlichen Verfahrens überhaupt bewerten? Selbst wenn dies lediglich ein krasser Einzelfall sein mag, was haben eigentlich Rechtsstreitigkeiten, die in heftigen Diskussionen – mündlich oder schriftlich – versuchen, der Wahrheit näher zu kommen, dann noch für einen Sinn? Eine derartige Verfahrensweise in Gerichtsverhandlungen erinnert fatal an eine diktatorische Herrschaft, in der der oberste Repräsentant praktisch nach Gutsherrenart entscheidet, wie der zu behandelnde und beurteilende Rechtsfall zu lösen sei.
Wer glaubt, derartige Fehlerquellen in der Justiz lassen sich erst nach langjähriger Berufserfahrung feststellen, unterliegt leider einer Fehleinschätzung.
3. Vorgefasstes Strafurteil
Als angehender Jurist ist man am Ende seiner Ausbildung bei verschiedenen Justizstellen eingesetzt, um eventuell ausgefallene Mitarbeiter zu ersetzen, wie beispielsweise als Protokollführer in einer Gerichtsverhandlung. Oder man nimmt aus Gründen der Weiterbildung als Zuhörer an einer Strafverhandlung teil.
An einer durchschnittlichen Strafverhandlung vor einem Amtsgericht mit einem Einzelrichter nahm der Autor teil und befand sich pünktlich im Beratungszimmer des Vorsitzenden. Kurz vor Beginn der Verhandlung kam der Staatsanwalt in das Beratungszimmer. Beide, sowohl der Richter als auch der Staatsanwalt, kannten sich offensichtlich gut. Sie begannen in Anwesenheit des jungen Juristen sofort ein Gespräch, in dem der Richter, zum Staatsanwalt gerichtet, meinte: „Welche Strafe geben wir (!) dem Angeklagten?“ Danach machte er einen Vorschlag. Der Staatsanwalt gab durch Nicken sein Einverständnis kund. Der Ausgang der Strafverhandlung stand damit fest und erfolgte auch so. Die Anwesenheit eines Dritten störte beide nicht, zumal aus einem Beratungszimmer nichts nach außen dringen darf.
Der in der Verhandlung auftretende Rechtsanwalt – ein übrigens später sehr berühmt gewordener Strafverteidiger – hatte somit keinerlei Chancen, das Ergebnis der Verhandlung vielleicht doch noch in die von ihm vorgesehene Richtung zu lenken. So etwas kommt auch bei anderen Gerichten vor, wie sich zeigen wird.
4. Beratungsresistenter Richter
In zivilen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Vorsitzende Richter nicht die vorgefasste Auffassung wie der geschilderte Senatsvorsitzende des Oberlandesgerichts besitzt, ist dennoch häufig festzustellen, dass Richter in vielen Fällen geradezu als beratungsresistent erscheinen.
In einem Streit zwischen einer Bauherrin und ihrem Architekten war es zu einem unausweichlichen Gerichtsverfahren gekommen. Die Bauherrin hatte dem Architekten eine Reihe von Baumängeln vorgeworfen, die sich dann später in der Verhandlung bis auf einen als nicht gravierend herausstellten. Allerdings hatte der Architekt gegen die Bauherrin eine nicht unbeträchtliche Summe eingeklagt, die sich hauptsächlich aus dem vereinbarten Honorar zwischen den Parteien, also dem Architekten und der Bauherrin ergab. In der Vergangenheit war die Gebührenordnung für Architekten und Ingenieure aufgehoben und stattdessen die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) erlassen worden.
Nach Durchsicht sämtlicher Unterlagen, auch des vertraglich geschlossenen Architektenvertrages, stellte sich heraus, dass die Parteien eine unwirksame Honorarvereinbarung geschlossen hatten, so dass lediglich die gesetzlichen Gebührensätze galten. Der Gesetzgeber hatte in der angesprochenen HOAI festgelegt, dass eine freie, über die Summe der gesetzlichen Gebühr hinausgehende Vereinbarung zwischen dem Architekten und dem Bauherrn nur wirksam ist, wenn diese Vereinbarung bei Beginn des Auftragsverhältnisses geschlossen wurde.
Der Sinn der Vorschrift, oder wie der Jurist sagt, die „ratio legis“, ist klar. Eine derartige Vereinbarung solle nur dann gelten, wenn sie zu Beginn des Vertragsverhältnisses vereinbart wurde. Denn der Bauherr kann sich, soweit das Auftragsverhältnis noch nicht entscheidend begonnen hat, gegebenenfalls an einen anderen Architekten wenden, der eventuell mit einem geringeren Architektenhonorar einverstanden ist. Wie sich aus den Unterlagen ergab, war die betreffende Honorarvereinbarung ein halbes Jahr, also sechs Monate nach dem Ausführungsbeginn, geschlossen worden. Dies war das einschlägige Argument für den Beklagtenvertreter, der damit hoffte, den Prozess zu gewinnen, in welchem der Architekt sein (überhöhtes) Honorar einklagte.
Die damals eingeführte und geltende Vorschrift in der Honorarordnung für Architekten besagte, dass diese Vereinbarung nur dann wirksam ist, wenn sie bei Auftragserteilung geschlossen wurde. Dabei muss der Zeitpunkt der Honorarvereinbarung natürlich nicht exakt auf den Tag des Baubeginns fallen. Entscheidend war, dass diese Vereinbarung zwischen den Parteien in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Auftragserteilung geschlossen worden war. Das konnte selbstverständlich auch ein oder zwei Wochen danach noch geschehen sein. Dies versuchte der Anwalt des Bauherren dem Vorsitzenden einer Baukammer, die eigentlich ausschließlich Bausachen zu entscheiden hatte, klar zu machen. Denn ein halbes Jahr nach Auftragsbeginn konnte nicht mehr von einem zeitlichen Zusammenhang gesprochen werden. Der Richter ging auf dieses Argument überhaupt nicht ein. Er schaute den Anwalt immer nur verständnislos an. Lediglich ein erfahrener Baufachspezialist aus Augsburg erklärte:
„Herr Kollege, Sie haben selbstverständlich völlig Recht: Aber Sie werden niemals Recht bekommen.“
Das Oberlandesgericht München in der Berufungsinstanz hat dann dem Spuk ein Ende gemacht und die anwaltliche Auffassung des Beklagtenvertreters ohne weiteres bestätigt.
Die berechtigte Frage hierbei ist: kann es sein, dass ein Richter bei einer zweifellos einfachen Rechtsfrage, die jeder Student in der Examensprüfung richtig beantworten könnte, einfach nicht in der Lage ist, das Gesetz richtig anzuwenden? Oder handelt es sich hierbei um eine typische richterliche Willkür? Die Unkenntnis, die hierbei wohl vermutlich vorlag, kann dann aber innerhalb der deutschen Justiz doch sehr erschreckend sein.
5. Gericht und Verwaltung handeln gemeinsam rechtwidrig
Im folgenden Fall waren eine fachkompetente Behörde, das Arbeitsamt München, eine große Strafkammer mit einer Staatsanwaltschaft und ein Sozialgericht auf dem besten Wege, mit ihrem rechtswidrigen Verhalten einen mittelständischen Betrieb in die mögliche Insolvenz und damit in den finanziellen Ruin zu treiben.
Ein Bauunternehmen im Süden von München, vertreten durch einen Geschäftsführer, konnte die eigene Belegschaft wegen des Preisverfalls nicht mehr beschäftigen und hatte deswegen Kurzarbeit angemeldet. Die genehmigte und ausgezahlte Summe belief