Название | Die lustlosen Touristen |
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Автор произведения | Katixa Agirre |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949558085 |
Nach Abklingen der ersten Euphorie, die jeden überkommt, der seinen Fuß ins Land der Freiheit setzt, sahen sich Britten und Pears aus Geldmangel gezwungen, die erstbeste Arbeit anzunehmen, die ihnen angeboten wurde. Und während der Tenor die unwahrscheinlichsten Auftritte abnickte (darunter eine Tournee durch eine Vielzahl von High Schools in New England), willigte der Komponist ein, das Suffolk Friends of Music Orchestra zu dirigieren, ein Amateurorchester mit Sitz in der Kleinstadt Southold. Nicht ohne eine gewisse Voreingenommenheit trat der Musiker, der aus der Grafschaft Suffolk im alten England stammte, diese wenig attraktive Stelle in Suffolk County im neuen England an.
Aber es handelte sich um zeitlich begrenzte Tätigkeiten. Irgendwie mussten sie das neue Leben ja in Angriff nehmen. Auf die kleinen Aufträge würden größere folgen. Es war nur eine Frage der Zeit. Immerhin waren sie in den Vereinigten Staaten, wo die Anregungen neuer Komponisten nicht verachtet oder ignoriert wurden, wie es in Großbritannien sehr wohl geschah. Zumindest hatte man Britten das so versichert, bevor er an Bord gegangen war, bald schon werde er es mit eigenen Augen sehen, es bräuchte nur etwas Geduld.
Der berühmte Ladenbesitzer David Rothman (berühmt selbstverständlich nur in seinem Städtchen) hatte Britten für die Stelle empfohlen, kurz nachdem sie sich auf einer musikalischen Soirée in Elizabeth Mayers Irrenanstalt kennengelernt hatten. Der junge Komponist akzeptierte ohne langes Hin und Her die zehn Dollar, die ihm pro Probe geboten wurden.
Rothman, Inhaber eines gutsortierten Gemischtwarenladens, war obendrein ein begeisterter Hobbymusiker, der sich seit zartester Jugend ungemein bemühte, einer alten Geige annehmbare Klänge zu entlocken. Im Sommer 1939, als der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler bereits öffentlich unverhohlenes Interesse am benachbarten Polen zeigte, war der berühmteste emigré von Long Island so freundlich, in Rothmans Laden vorbeizuschauen, wo er mit unbeholfenem Auftreten für großes Aufsehen sorgte. Albert Einstein hatte es mit seinem amüsanten Erscheinungsbild bereits bis in jenen abgelegenen Winkel des Bundesstaats New York zur Berühmtheit gebracht. Rothman war augenblicklich klar, dass er den Nobelpreisträger nicht für sich würde einnehmen können, indem er seine spärlichen Physikkenntnisse aus der Schule hervorkramte. Und so beschloss er, das andere Thema aufs Tapet zu bringen, das den Wissenschaftler mit dem wirren Haar begeisterte, und tischte gleich kräftig und unerschrocken auf:
— Lieber Herr, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie ein großartiger Violinist sind. Wie der Zufall es will, spiele auch ich Geige, in bescheidenem Maße, so oft es mir möglich ist, sprach er den preisgekrönten Wissenschaftler an, während er ihm das dritte Paar Sandalen zum Anprobieren reichte.
Rothman machte keinen Hehl aus seinem für einen Autodidakten typischen Stolz, und so schlug Albert Einstein ihm unverzüglich ein musikalisches Stelldichein vor. Seit er für den Sommer nach Nassau Point gekommen war, hatte er noch keinen passenden musikalischen partenaire finden können. Albert Einstein langweilte sich, das ließ sich nicht leugnen. Und so brauchte er es sich nicht zweimal zu überlegen, bevor er die Gelegenheit ergriff, die sich ihm in Gestalt eines Ladenbesitzers bot. Er probierte die linke Sandale an, und sie verabredeten ein Treffen.
Rothman war beglückt, doch plötzlich auch besorgt ob seiner begrenzten künstlerischen Fähigkeiten – nun war die Bescheidenheit des Autodidakten an der Reihe –, bis ihm die Idee kam, die beiden Engländer, Benjamin Britten und Peter Pears, zu der musikalischen Verabredung dazu zu bitten. Die zwei waren die beste Wahl, denn sie würden nicht nur das musikalische Niveau des Treffens heben, sondern dienten überdies als Aushängeschild für interessante Freundschaften. Gesagt, getan. Die beiden jungen Männer sagten umgehend zu, und ihre Gastgeberin Elizabeth Mayer wurde ebenfalls eingeladen.
Die Szene kann man sich unschwer vorstellen. Mayer und Britten setzten sich ans Klavier, Pears ließ seiner Tenorstimme freien Lauf, und Einstein spielte unbeschwert und selig auf der Geige.
Benjamin und Peter waren damals zwei junge, zwei sehr junge Männer. Einer sah aus wie ein Amerikaner (Pears war blond, groß gewachsen, mit einem Repertoire recht kindlicher Gesten und Grimassen); der andere hätte als jüdischer Bibliothekar durchgehen können (Britten hatte kleine Augen, eine große Nase und war ein eher schweigsamer Typ). Beide waren ernst, rechtschaffen, im wahrsten Sinne very british. Und es war offensichtlich, dass sie es gewohnt waren, ihre Beziehung geheim zu halten4.
Die Darbietung begann mit einer gefühlvollen, wenn auch recht konventionellen Interpretation von Schuberts »Die schöne Müllerin«, doch als das Eis einmal gebrochen war, belebte sich die Nacht mit einer Reihe folkloristischer Lieder, feinsinnig von Britten selbst arrangiert. Albert Einstein würde sich immer an den rührenden Augenaufschlag von Peter Pears erinnern, wenn er die ganz hohen Töne von »The Salley Gardens«5 sang.
Und was tat der gute Rothman währenddessen? Er hatte beschlossen, sich diskret im Hintergrund zu halten, und war glücklich und zufrieden, derart illustre Personen unter seinem Dach zusammengebracht zu haben. Wie er in seinen Memoiren schreibt, war jener Abend sein glücklichster während des ganzen Sommers 1939. Das Konzert ging bis in die frühen Morgenstunden, und nachdem Pears und Britten im Wagen ihrer Gastgeberin verschwunden waren, hatte er noch Gelegenheit, die magische Zusammenkunft gemeinsam mit dem deutschen Physiker ausklingen zu lassen. Einstein holte seine Pfeife hervor, Rothman eine Flasche Bourbon, und laut seinen Memoiren sollten sich die Worte des aus Ulm stammenden Gasts als äußerst zutreffende Voraussage erweisen.
— Ein außerordentlich talentiertes Paar, die Jungs werden es sicher noch weit bringen.
— Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel, erwiderte Rothman, rückte seinen dicken Hintern auf dem Sessel zurecht und nahm einen Schluck, leicht beschämt, weil er vor seinem abstinenten Freund trank.
— Und jetzt, Albert, erzähl mir doch, was du heute Morgen so Wichtiges in den Händen hattest?
— Ach, das …, antwortete Einstein mit einem gequälten Seufzer. — Ich habe an Roosevelt geschrieben, um ihm ein paar Dinge über das Uran zu erklären. Ich weiß nicht, ob ich mich auch verständlich ausgedrückt habe. Zum Wohle aller hoffe ich, dass er mich verstanden hat. Doch lass uns diesen Moment nicht mit solch düsteren Spinnereien verderben. Alea iacta est. Habe ich dir schon erzählt, dass es meine Mutter war, die mir das Geigenspiel beigebracht hat? Und du, David, wie hast du es gelernt?
Die Geschichte belegt, Roosevelt hat besagtem Brief Einsteins großen Glauben geschenkt. Und sein Nachfolger, Harry S. Truman, hat gewisse darin enthaltene Ideen bis zur letzten Konsequenz fortgeführt. An jenem schwülen Sommertag, während eine von Britten, Pears und Einstein ausgelegte Klangspur ertönte, nahm auch eine feine Linie von Nassau Point aus ihren Anfang: eine zielsichere Linie, welche die äußerste Spitze von Long Island mit Washington D. C. verbinden und später bis nach Alamogordo weiterlaufen sollte, um schließlich den Sprung über den pazifischen Ozean zu machen.
Der Legende zufolge war Einstein die Jahre nach den Bombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki – die letzten zehn Jahre seines Lebens – von Reue geplagt.
03 Sie hatte ihn gesehen. Mal hier, mal da. Als sie endlich genug Mut beisammenhatte, fragte sie nach seinem Namen. Möglichst ohne allzu großes Interesse durchscheinen zu lassen. Man nannte ihn ihr. Einen Namen. Dann einen anderen. Sie hat nicht weiter nachforschen wollen. Das klingt nicht einmal wie ein richtiger Name. Eher wie ein Spitzname, ein Deckname. Jetzt steht er da vorne, am Altar. Ohne Bart, mit kurzem Haar – unverkennbar er. Und dann seine Stimme. Vor allem diese Stimme. Seine Stimme. Es ist nicht so sehr, was er sagt, vielmehr wie er es sagt. Dieser selbstsichere Ton. Irgendwie erinnert er sie an den gutaussehenden Geschichtslehrer aus der achten Klasse. Der dann einen Monat nach der Hochzeit ein für alle Mal miesepetrig wurde. Diese Stimme. Sie hallt von den Zementwänden der Kirche wider. Und die Gemeindemitglieder sind ganz