Die lustlosen Touristen. Katixa Agirre

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Название Die lustlosen Touristen
Автор произведения Katixa Agirre
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949558085



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sind wir eben.

      Soweit ich weiß, ist mit dem Rauchen aufzuhören, psychologisch betrachtet, ein recht ähnlicher Prozess wie die Trauer um einen Freund. Tabak ist wie ein Fels. Er flößt uns Vertrauen ein. Er ist immer da, wartet darauf, dass wir ihn brauchen. Selbst wenn wir gerade nicht rauchen, allein schon, die Hand in die Tasche zu stecken und die scharfen Kanten der Schachtel in der Handfläche zu spüren, reicht normalerweise aus, um die Momente von Ruhe und Freiheit, die das Rauchen uns verschafft, wieder lebendig zu machen, sie vorzukosten. Der Tabak hört unseren Hilferuf immer, er ist die Unterbrechung inmitten des peitschenden Sturms, der letzte Gast, der ganz selbstverständlich zu einem Abendessen unter Freunden dazustößt, der Dunst, der in einer sternenübersäten Sommernacht für die gebührende Transzendenz sorgt. Er macht die guten Momente noch besser und die schlechten noch schlechter. Für ihn ist es ein Leichtes, den Knoten im Magen zu lösen, die unterdrückten Tränen fließen zu lassen. Und, falls nötig, kann er auch unser öffentliches Image passend ergänzen. Ist das nicht alles, was wir von einem guten Freund verlangen?

      Das Nikotin zählt nicht als Ausrede. Die körperliche Abhängigkeit vergeht nach den ersten vierundzwanzig Stunden. Der emotionale Prozess aber, das endgültige adiós von einem Freund, wird manchmal ein Leben lang nicht verwunden.

      Was alles lässt sich da erst über ein Auto sagen! Perfektes Totem des Kapitalismus, das innerhalb nur eines Jahrhunderts Unmengen an symbolischem Kapital angehäuft hat, ganz zu schweigen von der maßgeblichen Rolle, die es für die Identität und das Selbstwertgefühl der Männer zunächst in der Ersten Welt gespielt hat und noch immer spielt; und nun in zunehmendem Maße auch in den Ländern, die als Schwellenländer bezeichnet werden. Die perfekte und ultimative Maschine. Der größte und teuerste Gegenstand, den der Durchschnittsbürger sich je zulegen wird. Der heilige Raum, in dem die langen Stunden im Stau verstreichen. Ein Zufluchtsort auf Rädern. Die anthropomorphe Form, welche die Schnauzen der Autos im Laufe der Zeit angenommen haben, befeuert die emotionale Beziehung zwischen dem Fahrer und seiner Maschine. Lächelnde, konzentriert und feierlich dreinblickende Autos. Für die englischsprachigen Fahrer sind ihre Autos Mädchen. »Good girl!«, rufen sie ihnen begeistert zu, wenn der Motor nach einer frostigen Nacht unter freiem Himmel mit einem potenten und willigen Schnauben anspringt. Der Grund für diese Geschlechtszuschreibung ist mir nicht bekannt.

      Ja, Gustavo, du liebst deinen neuen BMW 1er wie verrückt. Farbe Bluewater. Urban line. Du liebst ihn nicht nur, du bist hoffnungslos fallen in love. Das nimmt wirklich lächerliche Ausmaße an. Ich habe dich ertappt, wie du im Internet einen Mikrofaser-Handschuh bestellt hast, für die sanfte Massage seiner sinnlichen Kurven. Einen Mikrofaser-Handschuh, bei aller Liebe!

      Kurzum: Du liebst ihn, und es gibt kein Zurück. Du würdest Rotz und Wasser heulen, wenn du ihn in einen Abgrund stürzen sähst, oder er bei nächtlichen Straßenkrawallen abgefackelt werden würde; und die Erinnerung an ihn würde dich immer wieder, in ganz unerwarteten Momenten, heimsuchen. Du bist spät an diesem Punkt angelangt, spät und mit der Inbrunst des Konvertiten. Aber warum erst jetzt? Warum nicht, frage ich mich, als du achtzehn wurdest, oder als du mit deiner Abschlussarbeit fertig warst, oder als du zu arbeiten begonnen oder die feste Stelle bekommen hast? Warum nicht damals, als du in den USA lebtest, einem Land, das einzig mit dem Vorwand, das Automobil zu benutzen, weit voneinander entfernt liegende Städte gründete? Warum nicht zu Weihnachten, oder aus Anlass eines Geburtstags? Warum jetzt, zu Beginn eines ganz normalen Sommers ohne irgendein Kreuzchen im Kalender? Und warum dieses Auto, ein brandneuer BMW? Wie bist du überhaupt zu diesem Auto gekommen? Ich will dich erinnern. Angefangen hat es damit, dass du die Anzeigenblätter nach Stichwörtern durchforstet hast. Etwas aus zweiter Hand, das brauchtest du. Du hast irgendein Gefährt gesucht, das dich von A nach B bringen kann. Einen Clio. Einen Ford Ka. Wirklich alles wäre gut genug für deine Bedürfnisse. Doch dann hast du mehr in Richtung Neuwagen tendiert, geleitet von dem Gedanken, dass es sich langfristig auszahlen würde, und hast in deinem Freundeskreis Rat gesucht. Einen Mégane, hieß es, ein Auto, das mit ein paar Extras sehr zweckmäßig sein kann. Oder einen Seat León, auch wenn der genau genommen zu aggressiv für dich ist, Gustavo, das ist nicht dein Stil. Einen Volvo? Nein, dafür bist du noch zu jung. Einen VW Polo, ideal für alle, die nichts weiter als einen verlässlichen Wagen suchen. Das interessiert mich, erzähl mir mehr. So fing es an mit deiner Obsession für deutsche Autos. Du hast sie alle in Betracht gezogen, von Bayern bis Baden-Württemberg. Du sahst dich in einem Opel und phantasiertest von einem Porsche.

      Zu guter Letzt setzte sich der kompakte Münchner durch: für Leute, die an die Marke glauben, aber jede Protzerei scheuen. Es ist ein BMW, ja, aber er ist klein, schlicht, effizient und unauffällig. Weißt du, dass deine Freunde Wetten auf dieses Thema abgeschlossen haben? Ich habe zehn Euro darauf gesetzt, dass du dir letztlich einen Audi A3 kaufen würdest. Der Wagen hat mir insgeheim besser gefallen. Die Audis kamen erst spät nach Spanien, 1993, sie brachten ihrer direkten Konkurrenz, den BMWs, jedoch eine schwere Schlappe bei. Es waren ebenfalls Premium-Autos, daran bestand kein Zweifel, ausgestattet mit bayrischer Technologie, aber sie hatten dieses junge, lässige Flair, eindeutig casual: das perfekte Auto für die überaus gut ausgebildeten jungen Leute, die bereit sind, sich alles ironisch zunutze zu machen, was der Kapitalismus ihnen zu bieten hat. Ohne eine Spur von Pomp oder Korruption. BMW brauchte ein Weilchen für eine Reaktion, schließlich schlugen sie zurück, indem sie die Welt der Werbung ein für alle Mal revolutionierten. Fährst du gern? Auf den einschlägigen Anzeigen war nie auch nur ansatzweise ein Auto zu sehen. Eine Landstraße, eine Hand, die aus dem Fenster hängt, Reminiszenzen an eine Kindheit auf Rädern, die Lichter der Stadt, die bei zunehmender Dämmerung nach und nach angehen. Der Erfolg kam sofort und war durchschlagend. Ganze Heerscharen entdeckten plötzlich, dass sie liebend gern Auto fahren und dass man ein Auto lieben kann. Das war nicht nur möglich, es war sogar erstrebenswert.

      Auch du fährst gern, Gustavito, nicht wahr? Habe ich deshalb die zehn Euro verloren? Natürlich fährst du gern. Erinnerst du dich, dass du gleich nach dem Losfahren gesagt hast, ich dürfe dich am Steuer ablösen, falls wir einmal zwischendrin auf einen Kaffee anhalten? Naja, inzwischen haben wir schon angehalten und einen erbärmlichen Kaffee und einen trockenen Donut in einem staubigen Dorf in der Provinz Burgos zu uns genommen. Und wieder zurück im Wagen habe ich nichts gesagt, aber du hast dich auch gehütet, mir das Steuer anzubieten. Deshalb, weil du mein Fahrer bist, wegen deinem konzentrierten Blick auf die Straße und deiner Entschlossenheit, hast du das Schild als Erster gesehen.

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      Wir sind also schon da. Álava, oh, Álava. Mein Herz macht einen kleinen Sprung und ich fange an zu singen. ¿Acaso eres tú la séptima hija? En el norte, bosques imponentes; en el sur, campos desnudos.1

      Aus Respekt gegenüber meiner Gesangsdarbietung schaltest du die Musik aus. Ich weiß, dass dir meine Stimme gefällt. Meine ruinierte Stimme. Meine halb vergessenen Melodien. En un lugar semioculto de la campiña alavesa, hay un humilde molino de bella rusticidad2 … Auch das gehört zu unserem kleinen ethnographischen Ausflug. Dafür bist du doch mitgekommen, oder nicht? Dann musst du es auch aushalten. Ja, ich weiß, ich singe gut, aber schauen wir mal, ob du noch vier weitere Strophen von Donnay aushältst. Dieser baskische Komponist war in seiner Jugend Anarchist und hat später miserable Liedtexte verbrochen.

      Tatsächlich, du schaffst das. Und wie. Deine Laune scheint sogar noch besser zu werden. Bald können wir ausruhen. Ich werde mich entspannen, und wenn ich erst einmal entspannt bin, halte ich auch den Mund. Doch für den Augenblick schließt du dich dem Konzert an, du lernst schnell. Als wir endlich die erste Zufahrt nach Vitoria nehmen, singen wir gerade gemeinsam eine schöne Habanera. Wir sind da. Wir sind fast da. Ganz nah am Ziel. Hast du etwas gespürt? Habe ich etwas gespürt? Nehmen wir mal an, das haben wir. Nehmen wir mal an, wir haben es beide gemerkt.

      Blancas como palomas, se ven las casas allá en la aldea3

      02 Es war zu Beginn jenes schrecklichen Jahrs 1939, als Benjamin Britten und Peter Pears in Amerika landeten und