Kirche der Armen?. Группа авторов

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Название Kirche der Armen?
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063429



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wir vor vier Jahren mit den Studien zum vorliegenden BuchProjekt begannen, konnten wir nicht ahnen, wie aktuell die Bedrohung durch Armut zum Zeitpunkt der Endredaktion sein würde. Alle Religionsgemeinschaften und Kirchen stehen nun vor der Herausforderung, sich dieser prekären Situation zu stellen.

      Dabei war bereits zu Beginn unserer Forschungsarbeit das Thema Armut verstärkt in den Blick geraten. Die Banken- und Finanzkrise hatte 2008 europaweit verheerende Folgen gezeitigt. Die Beschäftigungssysteme der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union waren massiv unter Druck geraten. Anhaltende Arbeitslosigkeit, atypische Arbeitsverhältnisse, weit verbreitete Arbeit zu Niedrig- und Mindestlöhnen, prekäre Arbeitsverhältnisse infolge von dynamisierter Flexibilisierung der Arbeitswelt hatten das Armutsrisiko drastisch erhöht. Betroffen waren und sind vor allem schlecht gebildete Menschen, Frauen und Jugendliche. 2014 lag die durchschnittliche Armutsgefährdungsquote bei 17,2%, in Spanien und Griechenland waren mehr als 20% armutsgefährdet, auch in Österreich war das Armutsrisiko von 12,0% (2009) auf 14,2% gestiegen.3

      Zeitgleich hatte in dieser Krisenzeit mit Papst Franziskus 2013 ein Papst die Leitung der Katholischen Kirche übernommen, der die Verantwortung für die Armen in den Mittelpunkt seines Pontifikats stellen sollte und bis heute in seinem Einsatz für die Armen nicht müde wird.4 „Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“5, rief Papst Franziskus bei seiner ersten Audienz für Medienvertreter am 16. März 2013 aus. Zeichenhaft steht dafür der von ihm eingeführte „Welttag der Armen“, den der Papst zum Ende des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit 2016 ausgerufen hat. Erstmals begangen wurde der Gedenktag im Jahr 2017 – am 33. Sonntag im Jahreskreis, einen Sonntag vor dem Christkönigssonntag und somit in theologischer Verbindung mit dem wiederkehrenden Christus, der Gerechtigkeit herstellen wird.

      Auch wenn diese Schwerpunktsetzung bis heute vor allem in Europa insbesondere in der Frage nach den konkreten Konsequenzen dieser Forderung heftig umstritten ist, war damit auch klar: Die Bedeutung von Caritas bzw. Diakonie für Gesellschaft und Kirche hatte und hat eine neue pastorale Bedeutung bekommen. Gerade in den unruhigen und herausfordernden Zeiten der kommenden Jahre wird sie aktueller denn je sein.

      Startschuss unseres Projektes war ein universitäres Seminar zum Thema Armut von Regina Polak und Frank Sauer, aus dem zwei Abschlussarbeiten ins Buch aufgenommen wurden. Im Anschluss daran veranstalteten wir 2016 ein internationales, transdisziplinäres, interkonfessionelles und interreligiöses Symposium mit dem Titel: „Caritas und Diakonie. Befreiungspraxis im 21. Jahrhundert“. Die leitende Fragestellung lautete dabei: Wie kann die Kirche in Europa/Österreich eine Kirche der Armen werden? Wir gingen der Frage nach der Bedeutung des Themas „Armut“ für Theologie und kirchliche Praxis nach. Mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Expertinnen und Experten aus der Praxis sowie Vertreterinnen und Vertretern aus der katholischen und evangelischen Kirche sowie aus Judentum und Islam nahmen wir dabei die gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen in den Blick und reflektierten die Herausforderungen, die die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen mit sich bringt. Die meisten der in diesem Buch vorliegenden Beiträge (zumindest ihre inhaltliche Fokussierung) wie auch die Struktur des Buches wurden auf diesem Symposium entwickelt. Daraus entstand eine Kooperation zwischen dem Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät mit der Caritas Wien, die in der vorliegenden Publikation das Ziel verfolgt, aktuelle Fragestellungen und Antwortversuche zu benennen.

      So hat denn auch dieses Buch folgende Leitfrage: Wie kann die Kirche in Europa zu einer Kirche der Armen werden?

      Die Zielsetzung des Buches ist es, ein Handbuch zu zentralen Themen im Zusammenhang des Motivs „Kirche der Armen“ zu bieten – mit theologischer Vertiefung, interkonfessionellem und interreligiösem Zugang. Zugleich war es uns auch ein Anliegen, das Thema zu weiten über den Horizont der Kirchen hinaus im Blick auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Armut, ihre Ursachen und Bekämpfung, lässt sich nur multiperspektivisch und in einer Kooperation verschiedener Institutionen und Expertinnen und Experten verstehen und bekämpfen.

      Dabei steht im Zentrum unserer Überlegungen, gegen eine „Menschenvergessenheit“ in Kirche und Theologie Stellung zu beziehen. Das Thema muss aus unserer Sicht von den Nöten und der Verfasstheit der Menschen ausgehend bearbeitet werden, nicht normativ von oben.

      Das gewählte Titelbild zeigt ein Mahl aus der Vogelperspektive. Dies hat folgenden Hintergrund: Die Erfahrung und Hoffnung auf das Reich Gottes wird in den biblischen Texten oft mit Bildern vom gemeinsamen Mahl ins Bild gebracht. In allen drei monotheistischen Religionen ist das gemeinsame Essen zentral. Die gelebte Gastfreundschaft, eine egalitäre Gemeinschaft beim Feiern und Essen, die damit verbundene Freude stellen gewissermaßen schon heute eine Vorwegnahme der eschatologischen, erwarteten bzw. erhofften Zukunft dar. Die übliche Perspektive auf ein solches Mahl ist hier verändert: Es ist eine ungewohnte Perspektive, von oben – eine Sichtweise, die übliche Vorstellungen aufbricht.

      Als Herausgeber und Herausgeberin bedanken wir uns bei allen, die beim Symposium mitgewirkt und mit ihren Redebeiträgen zur Klärung der unterschiedlichen Fragestellungen beigetragen haben. Wir bedanken uns auch bei allen Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge nicht nur für ihre in den Beiträgen ausgedrückten Positionierungen, sondern vor allem auch für die Geduld im Erwarten des endgültigen Veröffentlichungsdatums.

      Besonders bedanken wir uns für Korrekturen bei Dominik Höchtl sowie für umsichtige Korrektur- und Layoutarbeit bei Monika Mannsbarth.

      Vor allem bedanken wir uns bei der Caritas der Erzdiözese Wien, die sowohl das Symposium als auch die Publikation dieses Buches großzügig gefördert hat.

      Schließlich sagen wir dem Echter-Verlag herzlichen Dank für die geduldige und sorgfältige Betreuung des Buchprojekts.

      Wien, Pfingsten 2020

      Johann Pock, Regina Polak, Frank G. C. Sauer, Rainald Tippow

      1 Oxfam International: Dignity not Destitution (2020): https://www.oxfam.org/en/press-releases/half-billion-people-could-be-pushed-poverty-coronavirus-warns-oxfam [Zugriff: 06.05.2020].

      2 Michael Landau zur Corona-Krise (29.4.2020): https://www.caritas.at/aktuell/news/detail/news/86477-corona-wir-brauchen-nicht-nur-impfstoff-gegen-das-virus-sondern-auch-rezepte-gegen-armut-un/ [Zugriff: 06.05.2020].

      3 Bundeszentrale für politische Bildung: Armutsfolgen der Banken- und Finanzkrise (2016): https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarkt-politik/55396/armutsfolgen-der-krise [Zugriff: 06.05.2020].

      4 Kirche der Armen – Weltkirche: https://weltkirche.katholisch.de/Themen/Kirche-der-Armen [Zugriff: 06.05.2020].

      5 Ansprache von Papst Franziskus: Audienz für die Medienvertreter, Vatikan, 16. März 2013, http://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2013/march/documents/papa-francesco_20130316_rappresentanti-media.html [Zugriff: 06.05.2020].

       Kirche der Armen? Eine Einleitung

      Johann Pock / Regina Polak / Frank G. C. Sauer/ Rainald Tippow

      Als Jorge Mario Bergoglio 2013 bei seiner Papstwahl den Namen Franziskus wählte, war das mit Bedacht und als Programm gewählt. „Vergiss die Armen nicht!“, soll ihm Kardinal Claudio Hummes nach seiner Wahl zugeflüstert haben. In den mittlerweile sieben Jahren seines Pontifikats hat Papst Franziskus dann das Thema der Armut und auch der armen Kirche vielfach angesprochen, aber auch symbolische Akte gesetzt, wie gleich zu Beginn seine Reise zu den Geflüchteten und MigrantInnen in Lampedusa oder nach Lesbos. Wie Laubach und Wahl in ihrem Buch