Kirche der Armen?. Группа авторов

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Название Kirche der Armen?
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063429



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entstanden, die vor allem durch politische Ereignisse gefördert wurden – wie z.B. beim Aufstand in Budapest 1956, bei der Invasion der Warschauer Pakt Truppen in Prag 1968, beim Kriegsrecht in Polen in den 80er Jahren. Es war wohl mehr die politische Unzufriedenheit als die ökonomische Problematik, die dazu geführt hat, dass das Gefühl „arm“ zu sein, unter diesen politischen Umständen zweifellos weit verbreitet war. Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich: War die Charta 77 in der CSSR eine Reaktion auf die mangelnde Freiheit, so war die Bewegung „Solidarność“ auch eine Reaktion auf die Situation der Arbeiterklasse. Die Charta 77 war im Wesentlichen getragen von Intellektuellen, während die Figur von Lech Wałęsa als Elektriker in der Danziger Lenin-Werft ein Symbol für die Zustände unter der Arbeiterklasse war. Die Unterschiedlichkeit in dem, was als Ostblock bezeichnet wurde, war gerade in dieser Zeit sehr stark, so dass nur eine differenzierte Darstellung hier präzise Aussagen zur Befindlichkeit über Armut ermöglichen könnte. Für die Sowjetunion mag es daran gelegen sein, dass der größte Teil dieses Landes ohnehin durch Jahrhunderte gewöhnt war, alles andere als sozial zufriedenstellend zu leben, und daher die Leidensfähigkeit ungeheuer stark entwickelt war.

      Aus meiner jahrelangen Tätigkeit für Dissidenten in den Warschauer Pakt-Staaten, insbesondere auch im christlichen Bereich, kann ich nur feststellen, dass die Armutsfrage eine Rolle gespielt hat, zugleich aber in den Reaktionen der christlichen Kirchen äußerst unterschiedlich thematisiert wurde. Ich erinnere mich daran, dass eine Caritasorganisation im ehemaligen Jugoslawien, die in der Diözese Zagreb zu Hause war, einigen Zulauf hatte; dass es einschlägige Aktionen der katholischen Kirche im tschechischen Teil der CSSR gab; dass die katholische Kirche in ihrer Minderheitensituation in der DDR ebenso über Caritas ähnliche Einrichtungen verfügte, aber über eine „Kirche der Armen“ sprach eigentlich niemand.

       1. Das gelobte Land des Westens

      Der Fall des Eisernen Vorhangs hat dazu geführt, dass man endlich mit den reicheren Teilen Europas direkt oder indirekt in Kontakt kam. Es gab selbstverständlich Migrationsbewegungen (besonders in Polen), die davon getragen waren, dass man in einen besseren Teil des Kontinentes kommen wollte, um Arbeit und materielle Möglichkeiten zu finden. Aber auch da war die Situation unterschiedlich: Die DDR war beeinflusst durch die Teilung Deutschlands und Familienbindungen; die Polen haben ihre Bewegungsfreiheit dazu benützt, quasi halb illegal in reichere Gegenden zu kommen, und Jugoslawien ist unter dem Prätext „Osten“ hier ohnehin nicht zu sehen. Natürlich war die Relation zum „gelobten Westen“ davon gekennzeichnet, dass man alle Lebensstandardmerkmale von Auto bis Urlaub erreichen wollte, die man jeweils in der Berichterstattung durch Medien, Auskünfte durch Freunde etc. erhalten hatte.

      Aus diesem Streben nach Wohlstand nach westlichem Vorbild ist nicht zuletzt die ungeheure Sehnsucht nach der Europäischen Union entstanden, die dazu führte, dass in den ersten Jahren die Beurteilung des europäischen Integrationsprozesses allgemein durchaus positiv, idealistisch und bedingungslos gewesen ist. Darauf ist beispielsweise die ungeheure Erweiterung von 2004 und 2007 zurückzuführen, die entsprechende Migrantenströme – insbesondere im Arbeitsbereich – erzeugte, aber zugleich Nebenerscheinungen wie Kriminalität und die Entstehung von Korruption mit sich brachte.

      Besonders ist anzumerken, dass vor allem die Städte, insbesondere die Hauptstädte, sich rasch ein westliches Kapitalismuskleid überzogen, das in Hochhäusern, Unmengen von Autos und glanzvollen Hotels sichtbar war. Die Armut erschien allerdings merkbar am Stadtrand und in Richtung ländlicher Raum, wo es zu einem Teil zu einer Entvölkerung, ganz sicher aber auch zu keiner dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung gekommen ist. Darin ist einer der Gründe zu sehen, warum etwa die Kommunistische Partei in Tschechien im agrarischen Raum gegenwärtig immer noch Erfolge hat. Es sind ausgesprochene „Armutsecken“ entstanden, deren Beseitigung eine an sich intensive Regionalpolitik der Europäischen Union im Wege der Erweiterung bislang jedoch noch nicht steuern konnte. Über diesen Zustand ließe sich noch viel schreiben, wobei allein die statistischen Zahlen über Arm und Reich, über Kapitalkonzentration bei wenigen und das Entstehen einer schmalen, aber wirksamen Schichte von Oligarchen Auskunft geben. Gerade diese Entwicklung in Richtung einer Klassengesellschaft muss kritisch bemerkt werden. Interessanterweise haben dazu ebenso Sanktionen beigetragen, wie etwa z.B. die gegen Jugoslawien, wobei die Oligarchen wieder nicht nur in den Besitz aller möglichen Unternehmen kamen, sondern sich zugleich der Medien und später auch der politischen Parteien bemächtigten. Eine andere Ausdrucksform ist im Wege der Korruption festzustellen, die dann ihre eigenartigen Blüten trieb, wenn sie etwa – wie in Rumänien – zum Teil offensichtlich erfolgreich bekämpft wurde, aber politische Kräfte erzeugte, die wieder auf die Abschaffung der Korruptionsbekämpfung drängen. Kritisch muss bemerkt werden, dass das verfasste Europa dazu wenig Mittel gefunden hat, um diese Missstände selbst zu bewältigen, wenngleich auf Korruptionsbekämpfung und sozialen Ausgleich immer wieder Wert gelegt wurde. Hier reichen die politischen Mittel nicht nur der Regionalpolitik, sondern ebenso der allgemeinen wirtschaftlichen Steuerung keineswegs aus. Das alles ist wohl ein Ergebnis der nur halbherzig durchgeführten Integration, die zu wenig Einfluss auf Steuerpolitik, Budgetmaßnahmen und sozialen Ausgleich legt. Der Prozess ist noch sehr intensiv in Bewegung, wobei er sehr wesentlich die Haltung zur europäischen Integration beeinflusst, was insbesondere in der Frage der Bewältigung der Migrationsströme zu merken ist. Daraus ist die totale Ablehnung der in der EU sich eingefunden habenden Warschauer Pakt Staaten zur Frage einer Aufteilung der Migrationslasten zu verstehen. Es ist verständlich, wenn die Regierungen dieser Länder der Meinung sind, sie hätten in der Geschichte ohnehin so viele Belastungen gehabt, dass sie jetzt nicht noch zusätzliche brauchen. Das mangelnde Verständnis des Westens für diese Haltung ist eine Problematik, weil man ja jeweils die Geschichte nicht wegwischen kann, sondern mit ihr zu leben hat. Dass damit zugleich nationalistische Strömungen unterstützt werden, ist wohl selbstverständlich, was wiederum nicht auf besonderes Verständnis in anderen Teilen Europas stößt. Diese politischen Kräfte werden auch instrumentalisiert und erhalten dadurch einen falschen Zungenschlag von Nationalismus, nämlich den eines nationalen Egoismus. Wir sind weit entfernt davon, am Ende dieses Prozesses zu sein…

       2. … und die Kirche?

      Hier muss vorneweg festgestellt werden, dass die Kirchen auf der einen Seite des Eisernen Vorhangs ein begrenztes Verständnis für diesen Prozess haben. Wohl gab es eine Reihe von Maßnahmen, durch die man die Institutionen der Kirche im Osten unterstützte – insbesondere die deutsche katholische Kirche war hier beeindruckend unterwegs – wenngleich ein Großteil der Mittel vor allem in den Kirchenbau geflossen ist, nicht aber in die Errichtung sozialer Institutionen. Die unterschiedliche Befindlichkeit der Christenheit spielt hier ebenso eine Rolle. Ich war persönlich durchaus involviert, die serbische Orthodoxie für eine Art von Caritas zu gewinnen, wo aus den Grundzügen der östlichen Kirche her schon ein geringeres Verständnis für diese brüderliche Mitverantwortung vorzufinden ist. Infolge der Verarmungsprozesse in Griechenland in jüngerer Zeit hat freilich die griechisch-orthodoxe Kirche im Sinne von sozialer Verantwortung durch Ausspeisungen und andere Maßnahmen Wege organisierter Hilfeleistung entwickelt, die jenen im deutschsprachigen Raum ähneln.

      Die Entwicklung der letzten Zeit in Griechenland hat dazu geführt, dass etwa diese orthodoxe Kirche infolge der Verarmung in Griechenland Wege gefunden hat, denen wir zum Teil noch näher stehen. Generell muss aber gesagt werden, dass die Bereitschaft zum „Teilen“ in osteuropäischen Ländern schwächer entwickelt ist, weil die generelle Befindlichkeit „ohnehin schon lange gelitten zu haben“, nach wie vor dominant hervortritt. So ist etwa die Ablehnung der tschechischen Katholiken, allen voran des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, für eine Mitwirkung an der Bewältigung der Migration sehr markant, und findet eine breite Unterstützung unter den Christinnen und Christen dieses Landes. So katholisch eine große Zahl an Politikerinnen und Politikern in Polen auch ist, so wenig haben viele Verständnis dafür, dass die Aufnahme von Bedürftigen aus anderen Gegenden der Welt eine christliche Verpflichtung darstellt. Angesichts der kritischen Stellungnahme, die ich zu dieser Entwicklung mache, muss jedoch festgehalten werden, dass es in christlichen Gemeinden durchaus Engagement für arme Menschen gegeben hat, wobei die Armut der Kirchen selbst die Möglichkeiten begrenzte und eher dazu führte, dass Einzelpersonen aktiv wurden. Es muss zweifellos ebenso angeführt werden, dass die plurale Verfasstheit