Sepp Kerschbaumer. Josef Fontana

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Название Sepp Kerschbaumer
Автор произведения Josef Fontana
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788872838051



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auch er findet es „unverantwortlich, in der Bevölkerung eine Unzufriedenheit zu wecken und zu steigern, nur weil Südtirols Sonderrechte umkämpft und vielleicht bedroht sind“. Ebenso mutet Zallinger den Südtirolern zu, mit den Kommunisten gemeinsame Sache gegen Italien und den Westen zu machen, und er fordert schließlich unser Volk zur Selbstaufgabe auf.

      Wehe, wenn wir Zallingers Ratschläge gefolgt und die Warnungen des Kanonikus Gamper in den Wind geschlagen hätten! Und wehe unserem Volke, wenn es sich politisch von der gegenwärtigen Führung der K. B., die sich an die Richtlinien Zallingers und von Ausländern hält, weiterhin führen lässt! Wenn bei diesem verwerflichen Treiben wenigstens das geistliche Oberhaupt aus dem Spiele gelassen worden wäre!

      Als tief überzeugter Katholik und Tiroler muß ich Ihnen sagen, daß Sie mit Ihrer gegenwärtigen Handlungsweise unser Volk nicht nur um die Heimat bringen werden, sondern daß dadurch viele unseres Volkes, was noch viel schlimmer ist, in ihrem Glauben wankend gemacht werden! Mit Ihrem Vorgehen haben Sie sich ganz offen auf die Seite des Unrechtes gestellt. Denn Sie wissen genau, daß unserem Volke von italienischer Seite schwerstes Unrecht widerfahren ist. Und Unrecht verjährt nicht. Daher stellt sich jeder, der die Italiener in diesem Unrecht bestärkt und unterstützt, ebenfalls auf die Seite des Unrechts, das heißt, er handelt gegen die christlichen Grundsätze! Gegen die christlichen Grundsätze handelt z. B. der KVW, wenn er mit der ACLI zusammenarbeitet mit dem Ziel, unsere Heimat immer fester an Italien zu fesseln. Denn dadurch heißen sie indirekt das unserem Volke angetane Unrecht gut, statt dass sie nicht müde würden, dieses himmelschreiende Unrecht unermüdlich vor der Weltöffentlichkeit anzuprangern und eine Wiedergutmachung zu fordern.

      In diesem Punkte möchte ich nicht nur die dafür verantwortlichen Männer der Organisationen, sondern jeden Priester und jede geistliche Obrigkeit fragen:

      1.ob sie mit diesem Unrecht gegen unser Volk und gegen das christliche Sittengesetz einverstanden sind? Ich kann es einfach nicht glauben!

      2.ob sie es vor dem Herrgott und vor unserem Volke verantworten können, durch ein passives Verhalten oder gar durch eine Zusammenarbeit mit den Feinden unseres Volkes an diesem großen Unrecht mitschuldig zu werden?

      Am meisten zu denken müßte die Tatsache geben, daß hier das göttliche Gesetz von Recht und Gerechtigkeit in Frage gestellt ist. Ich appelliere daher an Ihr christliches und völkisches Gewissen: Schlagen Sie einen anderen „Weg“ ein, und kehren Sie von der politischen zur religiösen Ebene zurück! Besinnen Sie sich dabei Ihrer zahlreichen religiösen und völkischen Aufgaben! Diese bestehen auf der einen Seite darin, dafür zu sorgen, daß unser Volk nicht auch eine Beute des immer mehr um sich greifenden Irr- und Unglaubens wird. Und auf der anderen Seite immer und überall bereit zu sein, mutig und kompromißlos, für die natürlichen und verbrieften Rechte unsres Volkes einzutreten. Sie machen es sich dabei zu leicht, wenn alles, was nicht in das Konzept ihrer Organisationen paßt, mit dem Schlagwort „Radikalismus“ und dergleichen abgetan wird.

      Wenn Sie ein bißchen echte Heimatliebe und religiöses wie menschliches Gerechtigkeitsgefühl in sich haben, dann denken Sie an unsere Kinder, an die junge Generation Südtirols. Das Land Tirol hat in seiner wechselvollen Geschichte schon zahlreiche Prüfungen erlebt. Es hat sie bisher alle mit der Hilfe von Oben bestanden. Noch nie sind so zahlreiche Versuche zur Verirrung und Spaltung unseres Volkes unternommen worden, wie in den vergangenen 40 Jahren. Sie alle sind aber bis jetzt mißglückt. Gott sei Dank! Der gefährliche Spaltungsversuch ist dieses Mal leider von einer Seite her unternommen worden, von der aus unser Volk es am wenigsten erwartet hätte: von den katholischen Organisationen. Aber es steht in der Heiligen Schrift: „In jenen Tagen … werden viele … irre werden … falsche Propheten werden auftreten, die, wenn es möglich wäre, selbst die Auserwählten noch irreführen würden …“ Diese Worte sind zwar für eine andere Zeit. Aber wir dürfen sie wohl auch für die Nöte unseres Landes in Beziehung bringen und in diesem Sinne schließe ich meine Ausführungen mit der Bitte an unseren Herrn, er möge die Tage auch dieser unserer Drangsal abkürzen.

      Sepp Kerschbaumer, Frangart, den 26. Juni 1958

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       Berechtigte Skepsis über den Ausgang der österreichischen-italienischen Gespräche: Wird es dieses Jahr gelingen?

      Es waren harte Wahrheiten, die Sepp Kerschbaumer den Männern der katholischen Vereine vorhielt. Er scheute übrigens auch nicht die persönlich Konfrontation. Mit Direktor Fuchs ging er in einem Gespräch das Schreiben Satz für Satz durch.

      Er gestand dabei einem Verein durchaus das Recht zu, einen Kandidaten für die Wahl zu empfehlen, der dann dessen Anliegen in Rom vertrete. Aber er akzeptierte nicht, dass das Gesamtresultat einer Parlamentswahl vom Gutdünken einiger Organisationen abhing. Wäre dem so, dann könnte die SVP in Zukunft die Wahlen einfach der Brixner Kurie und den katholischen Vorfeldorganisationen überlassen.

      Enttäuscht wurden allerdings jene, die sich nun ein Abgehen der SVP vom Los von Trient erhofft hatten. Die politische Lage war so, dass ein Abweichen von dieser Linie schwer möglich war. Enttäuscht wurden auch jene politischen Auguren, die für die SVP-Landesversammlung am 12. Juli 1958 ein Messerwetzen und eine Schlammschlacht voraussagten. Der Alto Adige wusste später zu berichten, dass man bei diesem Kongress mit einer energischen Aktion des BAS gerechnet habe.94 Wer auch immer dieser „man“ war, seine Voraussage erfüllte sich nicht. Kerschbaumer meldete sich überhaupt nicht zu Wort. Luis Amplatz ermahnte lediglich die SVP, an der Forderung von Sigmundskron festzuhalten. Und nur zwei Redner erwähnten die Vorgänge um die Parlamentswahl: Der SVP-Ortsobmann von Nals, Peter Kollmann, und der Gemeindearzt von Auer, Max von Röggla. Kollmann verwies auf die Tatsache, „daß in letzter Zeit alle möglichen Vereine, die sich unpolitisch bezeichneten, versucht haben, die Tätigkeit bzw. die Entscheidungen der Partei zu beeinflussen“.95 Ihm pflichtete Röggla bei, der sich zudem „scharf gegen eine gewisse Verleumdungskampagne wandte“.96 Magnago hielt fest, dass die Politik in Südtirol ausschließlich von der SVP gemacht werden müsse, solange sie allein das Mandat von der Bevölkerung habe.

       Eine Fahnengeschichte mit Folgen

      Was hat Sepp Kerschbaumer in seinem Rundschreiben vom 28. Juni 1958 mit dem „10tägigen Urlaub“ gemeint? Einen Urlaub im wahren Sinne des Wortes hat es für ihn in diesen Jahren nie gegeben. Er führte ein Leben ohne Rast und ohne Ruh. Worauf er anspielte, war eine Fahnengeschichte, die ihm zehn Tage Arrest eingebracht hatte. Die „10 Tage Urlaub“ waren also zehn Tage Gefängnisaufenthalt.

      Das Hissen der Tiroler Fahne zum Andreas-Hofer-Tag oder zum Herz-Jesu-Sonntag war ein Akt der Selbstbehauptung. Allerdings ein Akt, der verboten war. Was nicht erlaubt war, musste dann halt unerlaubterweise geschehen. Vor solchen Feiertagen ließ Sepp Kerschbaumer Dutzende Tiroler Fahnen nähen. Für den Ankauf von Fahnenstoffen soll er große Summen ausgegeben haben. Die Fahnen wurden dann von seinen Getreuen im Schutz der Dunkelheit auf Hochspannungsmasten oder auf hohen Bäumen angebracht. Tiroler Fahnen wirkten damals aber auf die Ordnungshüter wie das rote Tuch auf den Stier. Wo sie eine erblickten, machten sie sich auf den Weg und holten sie herunter. Eigentlich hatte Kerschbaumer jahrelang gehofft, dass das Problem der Landesfahne grundsätzlich geregelt werde, und zwar so, „daß wir diese in unserer angestammten Heimat wieder ganz ungehindert und frei von jeder diskriminierenden Einschränkung hissen dürfen“, wie er einmal an Magnago schrieb.97 Sepp Kerschbaumer wollte es aber auf die Dauer nicht hinnehmen, dass die Tiroler Fahne nur bei Nacht und Nebel gehisst werden könne. Wenn, so seine Meinung, die verschiedenen Regionen Italiens ihre Fahne bei feierlichen Anlässen „mit Fug und Recht stolz zeigen“ durften, so musste es auch in Südtirol erlaubt sein, die Landesfahne zu hissen. Er wollte es darauf ankommen lassen. Ihm ist, wie er im oben erwähnten Brief an Magnago schrieb, „eines Tages die Geduld ausgegangen“. Und so dachte er sich: „Probier’s einmal, bin neugierig, was die Herren Italiener dazu für eine Miene machen werden.“98 Am Vorabend zum Andreas-Hofer-Tag von 1957 informierte er einen Dolomiten-Redakteur