Sepp Kerschbaumer. Josef Fontana

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Название Sepp Kerschbaumer
Автор произведения Josef Fontana
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788872838051



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bedeutete aber nicht, dass man die Rechte der Italiener schmälern wollte. In seinem zu Neujahr 1957 ausgeschickten Rundschreiben reduzierte Sepp Kerschbaumer den ganzen Komplex der Südtirolfrage auf ein Problem. Gelöst werden müssten nicht verschiedene Probleme, „sondern nur eines, und das heißt, dass im Hause Südtirol nicht die Italiener, sondern wir die rechtmäßigen Hausherren sein und bleiben müssen“. Er verglich das Vorgehen der Italiener in Südtirol gerne mit einem impertinenten Mieter: Du bist Eigentümer eines Hauses und vermietest eine Wohnung, eigentlich mehr aus Gefälligkeit denn aus Notwendigkeit. Der Mieter aber macht sich breit und drängt dich aus allen Stockwerken hinaus, bis dir nur mehr eine Dachkammer bleibt. So weit dürfen wir es in Südtirol nicht kommen lassen. In Zusammenhang mit der dabei aufzubringenden Abwehrbereitschaft erinnerte er im oben zitierten Rundschreiben an den am 15. April 1956 verstorbenen Kanonikus: „Hat man … mit der sterblichen Hülle eines so großen geistigen Kämpfers, wie es unser allseits verehrter Kanonikus Gamper war, auch seinen Geist zu Grabe getragen? Waren sein Vorbild und seine Mahnungen in den Wind gesprochen? Haben wir wirklich keine solchen Idealisten mehr in unseren Reihen, die im Sinne Gampers weiterwirken, damit endlich unserer geliebten Heimat Recht widerfahre?“86

      Wie dachte Kerschbaumer über Gargitter? Wir können es uns denken, aber genau wissen wir es nicht. Seine Tochter Mali erinnert sich, dass er dem Bischof öfter geschrieben hat. Von seinen handschriftlichen Briefen fertigte er aber nie Abschriften an. Es findet sich auch nirgends eine Antwort des Bischofs. Es ist anzunehmen, dass er auf Kerschbaumers Schreiben gar nie reagiert hat. Er hat ihn auch nie empfangen. „Ich weiß“, erzählt der Dolomiten-Journalist Franz Berger, „dass er fünf-, sechsmal beim Bischof Gargitter in Brixen vorsprechen wollte. Vielleicht, wenn er ihn empfangen hätte, wär’s gar nie zu diesen Anschlägen gekommen. Aber er ist jedes Mal abgewiesen worden, und dann ist der Kerschbaumer eigene Wege gegangen.“ Hier dürfte Franz Berger mit seinen Annahmen zu weit gehen. Es ist unwahrscheinlich, dass es nicht zu den Anschlägen gekommen wäre, wenn Kerschbaumer mit dem Bischof hätte reden können. Der Druck war damals so stark, dass ein bloßer Gedankenaustausch mit dem Oberhirten nicht genügt hätte, um bei Kerschbaumer ein Umdenken herbeizuführen. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn sich die politischen Verhältnisse in Südtirol in kürzester Zeit grundlegend geändert hätten. Von einer solchen Trendumkehr war aber nichts zu merken. Übrigens verlor Kerschbaumer seinen Mithäftlingen gegenüber selten ein Wort über Bischof Gargitter – weder ein gutes noch ein böses. Es entsprach seinem Naturell, dass er sich über Dinge, die ihn besonders schwer bedrückten, ausschwieg.

       Die Schlacht um die Parlamentswahl von 1958

      Enthielt sich Sepp Kerschbaumer jeder öffentlichen Kritik an dem Bischof, so nahm er sich den katholischen Organisationen gegenüber kein Blatt vor den Mund. Zumindest indirekt galten seine Vorwürfe ja auch dem Oberhirten. Zum Stein des Anstoßes wurden die Aktivitäten, die katholische oder sich katholisch nennende Vereine vor der Parlamentswahl vom 25. Mai 1958 entfalteten. Sonst hörte man ja Jahr und Tag nichts von ihnen, den KVW ausgenommen. Vermutlich gab es sie nur auf dem Papier. Aber jetzt traten sie mit voller Kraft in Aktion. Ihnen ging es nun schlicht und einfach darum, Männer ins Parlament zu bringen, die eine weiche Linie vertraten. Südtirol erlebte sozusagen eine Neuauflage des Problems Dander auf Landesebene. Zum Auftakt der Kampagne benützte man ein Flugblatt des BAS. Angeblich auf Ersuchen der Senatoren Josef Raffeiner und Carl von Braitenberg veröffentlichten die Dolomiten einen ihnen zugegangenen Brief des BAS. Die beiden Senatoren wollten die anonymen Schreiber der Mühe entheben, den Brief durch ganz Südtirol flattern zu lassen, wie dies im Schreiben angedroht wurde, sie wollten damit aber auch dem Leser die Möglichkeit bieten, sich ein Urteil über jene Personen zu bilden, die sich hinter dem Decknamen BAS verbargen. Das Schreiben war in der Tat so gehalten, dass es die Angegriffenen eher sympathisch als unsympathisch erscheinen ließ. Es ist zu bezweifeln, ob es aus der Werkstatt Kerschbaumers kam. Das war eigentlich nicht seine Diktion. In einem von ihm gezeichneten Rundschreiben sprach er später selbst von einer „bedauerlichen Form“. Dass er dies nur aus taktischen Gründen getan habe, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wie dem auch gewesen sein mag, das Flugblatt nahm seinen Weg und machte Geschichte. „Wer“, so fragten die anonymen Schreiber des BAS eingangs, „soll auf die Kandidatenlisten kommen?“ Das wussten sie offensichtlich selbst nicht, denn Vorschlag machten sie keinen. Klar war für sie nur, wer n i c h t auf die Kandidatenliste kommen durfte. Auf keinen Fall jene Personen, „die unter dem Deckmantel des guten und ehrlichen Namens von Südtirol ihre schmutzigen Geschäfte treiben“. Denen dienten Südtirol und seine Not nur dazu, „ihren Geldbeutel dick zu füllen …“ „Wir haben genug von diesen Herrschaften und wollen nur eines: Abtreten! Abtreten sollt ihr auf dem schnellsten Wege und nicht mehr wiederkehren.“ Wer waren nun diese Herrschaften, die abtreten sollten und nie mehr wiederkehren? Darüber ließen die Verfasser des Flugblattes den Leser nicht im Unklaren: „Wir möchten es nicht unterlassen, diese Pharisäer beim Namen zu nennen:

      Herrn Toni Ebner, der der Ansicht ist, dass in unserer Heimat alles in bester Ordnung sei.

      Herrn Otto von Guggenberg, ein treuer Gesinnungsgenosse Ebners.

      Herrn Braitenberg, der uns schon zur Genüge bewiesen hat, wohin seine Fahne weht.

      Herrn Josef Raffeiner, der seinem Volke im Falle Sigmundskron den Dolchstoß in den Rücken versetzte.

      „Diesen Herren sagen wir noch einmal: Tretet ab so schnell wie möglich. Ihr habt immer nur persönliche Interessen verfolgt! … Zwingt uns nicht, Euch zu überzeugen, es wäre gegen Eure Interessen. Eure Sprüche kennen wir zur Genüge und wir glauben kein Wort mehr. Das Maß Eurer Lügen ist voll.“87

      Das Pamphlet kam den katholischen Wahlstrategen wie bestellt. Schon zwei Tage später erschien in den Dolomiten eine Solidaritätserklärung, unterzeichnet von Franz Fuchs und Johann Pan für die Katholische Bewegung, Franz Kemenater für den Katholischen Verband der Werktätigen und Leo von Pretz für die Arbeitsgemeinschaft christlicher Unternehmer.88 Um der „Wahrheit die Ehre“ zu geben, zählten die Unterfertigten die Verdienste auf, die sich diese Parlamentarier in der letzten Legislaturperiode erworben hatten:

      1.Die Anrechnung der Dienstjahre für die zur Zeit des Faschismus entlassenen Lehrer.

      2.Die Verpflichtung der ENTE, 110 Optantenbesitze, die in den Jahren 1941 bis 1943 ohne Bezahlung oder ohne Übergabe in sein Eigentum übergegangen waren, an die früheren Eigentümer oder deren Erben gegen Bezahlung des Schätzwertes von 1939 abzutreten.

      3.Die Gleichbehandlung der Kriegsopfer und Heimkehrer der Wehrmacht mit jenen des italienischen Heeres.

      4.Die Straßburger Rede Ebners vor dem Europarat.

      5.Das der Regierung im Jahre 1954 überreichte Memorandum.

      Recht unterwürfig dankte der Katholische Südtiroler Lehrerbund in einem eigenen Artikel den Parlamentariern für ihre geleistete Arbeit. Doch vermochten die dabei angeführten Verdienste die magere Bilanz von vier oder auch mehr Jahren parlamentarischer Tätigkeit nicht aufzubessern. Es war gewiss nicht allein die Schuld der Südtiroler Parlamentarier, dass sie nicht mehr aufzuweisen hatten. Rom war einfach zu keinen substanziellen Zugeständnissen bereit. Umso unverständlicher ist es daher, dass die alte Garde nicht bereit war, den neuen Kurs der Parteiführung mitzutragen.

      Von einer Einsicht eben keine Spur. Im Gegenteil. Die Vertreter der oben angeführten Vereine verstanden es vortrefflich, Blech für Gold zu verkaufen. Sepp Kerschbaumer erfasste sofort, dass da Gefahr im Verzug war. Noch am 30. März 1958 griff er zur Feder und schickte an Franz Fuchs, Johann Pan, Franz Kemenater und Leo von Pretz ein Schreiben:89

      Der Wahlkampf hat begonnen. Und ich muß sofort vorwegnehmen, daß er tragisch begonnen hat. Die Bezeichnung tragisch dürfte, wie Sie im folgenden schon sehen werden, meinem ganzen Schreiben den Stempel aufdrücken. Der Grund mag wohl in der einfachen Erkenntnis liegen, daß schon bei der Nominierung der Kandidaten für das Parlament und den Senat sich zwei ganz entgegengesetzte Fronten bildeten. Die eine Gruppe lehnt gewisse bisherige Parlamentarier und die Senatoren